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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Kunstleben einzuführen. Zugleich wurde so jede der drei Künste in den Rahmen
eines geschlossenen abgerundeten Bildes gebracht und dadurch sowohl der Ueber-
blick als das Verständniß für jede derselben und ihre historische Entwickelung
wesentlich erleichtert. Dreierlei freilich war erforderlich, wenn das.schwierige
Unternehmen gelingen sollte. Einmal eine gebildete und freie von keinerlei
Parteiaiisicht voreingenommene Anschauung, welche jede Kunstepoche in ihrer
Eigenthümlichkeit zu fassen und zu würdigen weiß; dann einsichtige Kenntniß zur
treffenden Auswahl des massenhaften Materials; endlich das Talent eleganter
Ausdrucksweise und lebendiger Schilderung. Daß Lübke diese Bedingungen zu
erfüllen Verstanden, ebendies hat seinen Werken ihren verdienten Erfolg verschafft.

Unter diesen Umständen war es ein Kleines, gegen dieselben den Vorwurf
zu erheben, den man ihnen wohl von fachwissenschaftlicher Seite gemacht hat:
daß sie nämlich nur zum geringsten Theile auf eigenen Forschungen beruhten,
auch keine neuen fruchtbaren Anschauungen herzubrächten und lediglich das reich
aufgehäufte Material geschickt zusammentrugen und zu einem ansprechenden Bilde
verarbeiteten. Eine Bemerkung, die um so grundloser ist, als sie das eigentliche
Verdienst dieser Arbeiten ganz übersieht. Der Fortschritt jeder Wissenschaft und
namentlich ihre Ausbreitung ist immer dadurch bedingt, daß zu Zeiten die klare
Summe ihres Besitzstandes gezogen wird. Die neu hinzugekommnen Posten
müssen eingetragen, alte, welche ungiltig geworden, getilgt, die Rechnung von
neuem gemacht und ein neuer Ueberblick über den Bestand des Vermögens
gegeben werden. Eine Arbeit, die nicht blos dem größeren Publikum, sondern
auch dem Fachmann zu gute kommt, der doch nicht in jedem Augenblicke das
Gesammtergcbniß der Untersuchungen zur Hand hat. Und grade jetzt gilt es
ja, die Einsicht und Anschauungsfähigkeit der weiteren Kreise für die verschie¬
denen Kunstweisen der Vergangenheit heranzubilden. Denn inmitten der zer¬
fahrenen Bestrebungen der Gegenwart muß so der künstlerische Sinn geweckt
und gereist, muß ihm andrerseits die historische Kenntniß der gesammten Cultur
als die solide Basis neuer Kunst und Gesittung verschafft werden. Das be-
streiten nun auch die praktischen Naturen nicht mehr, daß unse-r Zeitalter die
neuen und eigenthümlichen Lebensformen, an deren Ausbau es kaum die erste
Hand gelegt hat, nur auf dem Fundament der immer tiefer, immer weiter
gehenden Bildung zu errichten Willens und im Stande ist.

Daher finden wir nun auf fast allen Gebieten des Wissens eine doppelte
Thätigkeit: die der Specialsorschungen und die der zusammenfassenden, die
Wissenschaft mit dem Leben vermittelnden übersichtlichen Darstellung. Es liegt
in der Natur der Sache, daß sich diese zwiefache Arbeit an verschiedene Kräfte
Vertheilt und daß nicht ein und derselbe Geist zu beiden in gleichem Maße be¬
fähigt ist. Wer das Gesammtbild entwirft und die Ergebnisse zieht, wird nicht
jedem einzelnen Zug bis in seine intimsten Fäden, nicht den feineren Detail-


Grenzboten IV, 1"66. 34

Kunstleben einzuführen. Zugleich wurde so jede der drei Künste in den Rahmen
eines geschlossenen abgerundeten Bildes gebracht und dadurch sowohl der Ueber-
blick als das Verständniß für jede derselben und ihre historische Entwickelung
wesentlich erleichtert. Dreierlei freilich war erforderlich, wenn das.schwierige
Unternehmen gelingen sollte. Einmal eine gebildete und freie von keinerlei
Parteiaiisicht voreingenommene Anschauung, welche jede Kunstepoche in ihrer
Eigenthümlichkeit zu fassen und zu würdigen weiß; dann einsichtige Kenntniß zur
treffenden Auswahl des massenhaften Materials; endlich das Talent eleganter
Ausdrucksweise und lebendiger Schilderung. Daß Lübke diese Bedingungen zu
erfüllen Verstanden, ebendies hat seinen Werken ihren verdienten Erfolg verschafft.

Unter diesen Umständen war es ein Kleines, gegen dieselben den Vorwurf
zu erheben, den man ihnen wohl von fachwissenschaftlicher Seite gemacht hat:
daß sie nämlich nur zum geringsten Theile auf eigenen Forschungen beruhten,
auch keine neuen fruchtbaren Anschauungen herzubrächten und lediglich das reich
aufgehäufte Material geschickt zusammentrugen und zu einem ansprechenden Bilde
verarbeiteten. Eine Bemerkung, die um so grundloser ist, als sie das eigentliche
Verdienst dieser Arbeiten ganz übersieht. Der Fortschritt jeder Wissenschaft und
namentlich ihre Ausbreitung ist immer dadurch bedingt, daß zu Zeiten die klare
Summe ihres Besitzstandes gezogen wird. Die neu hinzugekommnen Posten
müssen eingetragen, alte, welche ungiltig geworden, getilgt, die Rechnung von
neuem gemacht und ein neuer Ueberblick über den Bestand des Vermögens
gegeben werden. Eine Arbeit, die nicht blos dem größeren Publikum, sondern
auch dem Fachmann zu gute kommt, der doch nicht in jedem Augenblicke das
Gesammtergcbniß der Untersuchungen zur Hand hat. Und grade jetzt gilt es
ja, die Einsicht und Anschauungsfähigkeit der weiteren Kreise für die verschie¬
denen Kunstweisen der Vergangenheit heranzubilden. Denn inmitten der zer¬
fahrenen Bestrebungen der Gegenwart muß so der künstlerische Sinn geweckt
und gereist, muß ihm andrerseits die historische Kenntniß der gesammten Cultur
als die solide Basis neuer Kunst und Gesittung verschafft werden. Das be-
streiten nun auch die praktischen Naturen nicht mehr, daß unse-r Zeitalter die
neuen und eigenthümlichen Lebensformen, an deren Ausbau es kaum die erste
Hand gelegt hat, nur auf dem Fundament der immer tiefer, immer weiter
gehenden Bildung zu errichten Willens und im Stande ist.

Daher finden wir nun auf fast allen Gebieten des Wissens eine doppelte
Thätigkeit: die der Specialsorschungen und die der zusammenfassenden, die
Wissenschaft mit dem Leben vermittelnden übersichtlichen Darstellung. Es liegt
in der Natur der Sache, daß sich diese zwiefache Arbeit an verschiedene Kräfte
Vertheilt und daß nicht ein und derselbe Geist zu beiden in gleichem Maße be¬
fähigt ist. Wer das Gesammtbild entwirft und die Ergebnisse zieht, wird nicht
jedem einzelnen Zug bis in seine intimsten Fäden, nicht den feineren Detail-


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[0287] Kunstleben einzuführen. Zugleich wurde so jede der drei Künste in den Rahmen eines geschlossenen abgerundeten Bildes gebracht und dadurch sowohl der Ueber- blick als das Verständniß für jede derselben und ihre historische Entwickelung wesentlich erleichtert. Dreierlei freilich war erforderlich, wenn das.schwierige Unternehmen gelingen sollte. Einmal eine gebildete und freie von keinerlei Parteiaiisicht voreingenommene Anschauung, welche jede Kunstepoche in ihrer Eigenthümlichkeit zu fassen und zu würdigen weiß; dann einsichtige Kenntniß zur treffenden Auswahl des massenhaften Materials; endlich das Talent eleganter Ausdrucksweise und lebendiger Schilderung. Daß Lübke diese Bedingungen zu erfüllen Verstanden, ebendies hat seinen Werken ihren verdienten Erfolg verschafft. Unter diesen Umständen war es ein Kleines, gegen dieselben den Vorwurf zu erheben, den man ihnen wohl von fachwissenschaftlicher Seite gemacht hat: daß sie nämlich nur zum geringsten Theile auf eigenen Forschungen beruhten, auch keine neuen fruchtbaren Anschauungen herzubrächten und lediglich das reich aufgehäufte Material geschickt zusammentrugen und zu einem ansprechenden Bilde verarbeiteten. Eine Bemerkung, die um so grundloser ist, als sie das eigentliche Verdienst dieser Arbeiten ganz übersieht. Der Fortschritt jeder Wissenschaft und namentlich ihre Ausbreitung ist immer dadurch bedingt, daß zu Zeiten die klare Summe ihres Besitzstandes gezogen wird. Die neu hinzugekommnen Posten müssen eingetragen, alte, welche ungiltig geworden, getilgt, die Rechnung von neuem gemacht und ein neuer Ueberblick über den Bestand des Vermögens gegeben werden. Eine Arbeit, die nicht blos dem größeren Publikum, sondern auch dem Fachmann zu gute kommt, der doch nicht in jedem Augenblicke das Gesammtergcbniß der Untersuchungen zur Hand hat. Und grade jetzt gilt es ja, die Einsicht und Anschauungsfähigkeit der weiteren Kreise für die verschie¬ denen Kunstweisen der Vergangenheit heranzubilden. Denn inmitten der zer¬ fahrenen Bestrebungen der Gegenwart muß so der künstlerische Sinn geweckt und gereist, muß ihm andrerseits die historische Kenntniß der gesammten Cultur als die solide Basis neuer Kunst und Gesittung verschafft werden. Das be- streiten nun auch die praktischen Naturen nicht mehr, daß unse-r Zeitalter die neuen und eigenthümlichen Lebensformen, an deren Ausbau es kaum die erste Hand gelegt hat, nur auf dem Fundament der immer tiefer, immer weiter gehenden Bildung zu errichten Willens und im Stande ist. Daher finden wir nun auf fast allen Gebieten des Wissens eine doppelte Thätigkeit: die der Specialsorschungen und die der zusammenfassenden, die Wissenschaft mit dem Leben vermittelnden übersichtlichen Darstellung. Es liegt in der Natur der Sache, daß sich diese zwiefache Arbeit an verschiedene Kräfte Vertheilt und daß nicht ein und derselbe Geist zu beiden in gleichem Maße be¬ fähigt ist. Wer das Gesammtbild entwirft und die Ergebnisse zieht, wird nicht jedem einzelnen Zug bis in seine intimsten Fäden, nicht den feineren Detail- Grenzboten IV, 1«66. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/287>, abgerufen am 02.07.2024.