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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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geschichtlichen Vergangenheit den modernen Geist bereichert hat. den fruchtbaren
Boden für das neue Culturleben bereitet haben. Und so hat er auch, indem
er uns von der künstlerisch en Thätigkeit früherer Zeitalter ein deutliches Bild
entworfen, das eigene Kunstvermögen des Jahrhunderts in doppelter Hinsicht
gefördert. Nicht nur hat er zur Bildung des ästhetischen Sinnes beigetragen,
sondern diesem auch die mustergiltigen Formen früherer Kunstweisen als Grund¬
lage des neuen Schaffens zu freier Verarbeitung überliefert. Er hat das Material
gleichsam zugehauen und geschmeidige, dessen die Kunst bedarf, um den neu¬
gewonnenen Inhalt des Lebens auszuprägen.

Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet werden die kunstgeschichtlichen Werke,
die in dieser bewegten Zeit erschienen sind, dennoch auch für weitere Kreise ihr
Interesse haben. Vorausgesetzt natürlich, daß sie, für diese geschrieben, über die
enge Grenze des Fachwissenschaftlichen hinausgehen. Ebendies aber, die Behand¬
lung der Kunstgeschichte, welche die Kunst als einen wesentlichen Factor des
alle Volksclassen^ umschlingenden Culturlebens, daher als Gemeingut aller Ge¬
bildeten im weitesten Sinne des Wortes betrachtet, grade dies ist nun zum
unumgänglichen Ersvrdermß geworben. Seit mit Lessing und Winckelmann die
kritische und historische Forschung das Wesen der Kunst, seit die Philosophie in
Kant den echten Begriff des Schönen entdeckt und Schiller die ästhetische Stim¬
mung als den vollen Einklang aller Gemüthskräfte bezeichnet hat: seitdem ha<
sich immermehr das Bewußtsein ausgebreitet, daß die Kunst eine bedeutsame
Aeußerung des gesammten Volkslebens ist. Seitdem aber ist auch der Kunst¬
geschichte als Wissenschaft die Einsicht immer mehr aufgegangen, daß sie einer¬
seits die Kunst in ihrer tieferen Beziehung zur Entwickelungsgeschichte des mensch¬
lichen Geistes, ihren Verlauf durch die verschiedenen Perioden in seinem inneren
und geschichtlichen Zusammenhang zu fassen, daß sie andrerseits die so gefaßten
Ergebnisse ihrer Forschung den weitesten Kreisen zu übermitteln hat.

Nach dem Vorgange von Kugler und Schnaase hat sich neuerdings namm¬
lich Lübke durch eine solche Behandlung der Kunstgeschichte entschiedene Ver¬
dienste erworben. Ganz abgesehen von seinem "Grundriß der Kunstgeschichte",
der als selbständiger Nachfolger des kuglerschen Handbuches mit Benutzung der
"euesten Forschungen die gesammte bildende Kunst in ihren großen geschichtlichen
Linien und in ihren Hauptdenkmälern vorführt, haben vorab seine Geschichte
der Architektur und neuerdings die der Plastik sich den weiten Leserkreis,
für den sie bestimmt sind, wirklich gewonnen. Es war ein glücklicher Griff,
nachdem Kugler, und Burkhardt die Geschichte der Malerei in ihrem ganzen
Verlaufe geschildert hatten, nun ebenso die Geschichte der Architektur und die
der Sculptur -- welche letztere zudem in zusammenhängender Folge bisher noch
nicht betrachtet war -- dem Gebildeten überhaupt mitzutheilen und ihn so durch
die eingehendere Darstellung der einzelnen Kunstgebiete tiefer in das gesammte


geschichtlichen Vergangenheit den modernen Geist bereichert hat. den fruchtbaren
Boden für das neue Culturleben bereitet haben. Und so hat er auch, indem
er uns von der künstlerisch en Thätigkeit früherer Zeitalter ein deutliches Bild
entworfen, das eigene Kunstvermögen des Jahrhunderts in doppelter Hinsicht
gefördert. Nicht nur hat er zur Bildung des ästhetischen Sinnes beigetragen,
sondern diesem auch die mustergiltigen Formen früherer Kunstweisen als Grund¬
lage des neuen Schaffens zu freier Verarbeitung überliefert. Er hat das Material
gleichsam zugehauen und geschmeidige, dessen die Kunst bedarf, um den neu¬
gewonnenen Inhalt des Lebens auszuprägen.

Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet werden die kunstgeschichtlichen Werke,
die in dieser bewegten Zeit erschienen sind, dennoch auch für weitere Kreise ihr
Interesse haben. Vorausgesetzt natürlich, daß sie, für diese geschrieben, über die
enge Grenze des Fachwissenschaftlichen hinausgehen. Ebendies aber, die Behand¬
lung der Kunstgeschichte, welche die Kunst als einen wesentlichen Factor des
alle Volksclassen^ umschlingenden Culturlebens, daher als Gemeingut aller Ge¬
bildeten im weitesten Sinne des Wortes betrachtet, grade dies ist nun zum
unumgänglichen Ersvrdermß geworben. Seit mit Lessing und Winckelmann die
kritische und historische Forschung das Wesen der Kunst, seit die Philosophie in
Kant den echten Begriff des Schönen entdeckt und Schiller die ästhetische Stim¬
mung als den vollen Einklang aller Gemüthskräfte bezeichnet hat: seitdem ha<
sich immermehr das Bewußtsein ausgebreitet, daß die Kunst eine bedeutsame
Aeußerung des gesammten Volkslebens ist. Seitdem aber ist auch der Kunst¬
geschichte als Wissenschaft die Einsicht immer mehr aufgegangen, daß sie einer¬
seits die Kunst in ihrer tieferen Beziehung zur Entwickelungsgeschichte des mensch¬
lichen Geistes, ihren Verlauf durch die verschiedenen Perioden in seinem inneren
und geschichtlichen Zusammenhang zu fassen, daß sie andrerseits die so gefaßten
Ergebnisse ihrer Forschung den weitesten Kreisen zu übermitteln hat.

Nach dem Vorgange von Kugler und Schnaase hat sich neuerdings namm¬
lich Lübke durch eine solche Behandlung der Kunstgeschichte entschiedene Ver¬
dienste erworben. Ganz abgesehen von seinem „Grundriß der Kunstgeschichte",
der als selbständiger Nachfolger des kuglerschen Handbuches mit Benutzung der
«euesten Forschungen die gesammte bildende Kunst in ihren großen geschichtlichen
Linien und in ihren Hauptdenkmälern vorführt, haben vorab seine Geschichte
der Architektur und neuerdings die der Plastik sich den weiten Leserkreis,
für den sie bestimmt sind, wirklich gewonnen. Es war ein glücklicher Griff,
nachdem Kugler, und Burkhardt die Geschichte der Malerei in ihrem ganzen
Verlaufe geschildert hatten, nun ebenso die Geschichte der Architektur und die
der Sculptur — welche letztere zudem in zusammenhängender Folge bisher noch
nicht betrachtet war — dem Gebildeten überhaupt mitzutheilen und ihn so durch
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/286>, abgerufen am 30.06.2024.