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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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seine Augen waren groß, funkelnd und lachend, die Nase schön und anmuthig.
lang und gerade wie ein Armbrustschaft, das Gesicht voll und farbig, die Ohren
tadellos, groß und hart und roth, der Mund schön und geistreich, die Zähne
weißer als Elfenbein; das Kinn war wohlgeformt, zu größerer Schönheit leicht
gespalten; er hatte einen geraden, großen und dicken Hals, an dem man keinen
Knochen und keine Sehne sah; er war breitschulterig und von starken Muskeln;
seine Hände waren groß, hart und stark, die Finger lang und ihre Gelenke
glatt; die Brust war mächtig, die Weichen schmal, die Hüften stark und eckig;
er hatte runde und innen breite Schenkel, nicht vorstehende Knie, lange, gerade
und glatte Beine, gewölbte und sehnichte Füße. So aufmerksam war man
also schon im dreizehnten Jahrhundert auf jede Einzelheit der leiblichen Er¬
scheinung, so bewußt der Ausdrucksfähigkeit der Augen und des Mundes und
alles dessen, was am Körper des Mannes den Eindruck der Kraft und der Ge¬
wandtheit, des jugendlichen Feuers und der frischen Fülle hervorbringt.

In den höfischen Kreisen, in welche Flammea uns einführt, genügen in¬
dessen hohe Geburt und körperliche Vorzüge nicht, um das höchste Ansehn zu
verschaffen; auch mit werthvollen Geistesgaben, den edeln Neigungen, welche
den Ritter zieren, und der sichern Gewandtheit, die er sich im Verkehre mit
guter Gesellschaft erwirbt und bewährt, hat es sein Bewenden keineswegs. Es
kommt dazu eine gewisse schulmäßig erworbene Bildung. Unser Wilhelm hat
die Schule von Paris in Francien besucht und sich daselbst eine Kenntniß der
sieben Künste erworben, welche ihn befähigen würde, überall selbst Schule zu
halten; zu lesen und zu singen in der Kirche versteht er so gut als irgendein
Kleriker; ein tüchtiger Meister hat ihn in den Künsten des Fechlbodens unter¬
wiesen, und als etwas Besonderes wird noch angeführt, daß er, der sieben Fuß
hoch war, ein zwei Fuß höher an der Wand angebrachtes Lichtstümpfchen mit
dem Fuße erreichen konnte. Ist es ein Wunder, wenn mancherlei Kenntniß
sich auch bei den niedern Ständen verbreitete, wenn eine tüchtige Herbergs¬
mutter z. B. sich mit ihren Gästen aus Burgund, aus Francien, aus Deutsch¬
land und aus der Bretagne in der Sprache dieser Länder zu unterhalten ver¬
mochte, wie Frau Bellapila, die Badewirthin in Bourbon? Für die Schläge
auf den Rücken und das Zusammenpressen der Fingernagel, welches Beides uns
in Flammea als Schulzüchtigung bezeichnet wird, trug man denn doch etwas
davon, was allgemein geschätzt zu werden anfing.

Doch wir wollen die Ausbeutung unseres Romanes für die Kenntniß der
Gesellschaft, aus welcher er hervorgegangen, nicht weiter verfolgen und schweigen
von den Turnierbräuchen, den Tänzen, den Badeeinrichtungen, dem Festkalender,
der Stellung der Frau dem Gatten gegenüber, dem im geselligen Verkehr
herrschenden Tone und zahlreichen andern Dingen, über welche diese einzige
Quelle schon uns Aufschlüsse oder wichtige Bestätigungen für bereits Bekanntes


seine Augen waren groß, funkelnd und lachend, die Nase schön und anmuthig.
lang und gerade wie ein Armbrustschaft, das Gesicht voll und farbig, die Ohren
tadellos, groß und hart und roth, der Mund schön und geistreich, die Zähne
weißer als Elfenbein; das Kinn war wohlgeformt, zu größerer Schönheit leicht
gespalten; er hatte einen geraden, großen und dicken Hals, an dem man keinen
Knochen und keine Sehne sah; er war breitschulterig und von starken Muskeln;
seine Hände waren groß, hart und stark, die Finger lang und ihre Gelenke
glatt; die Brust war mächtig, die Weichen schmal, die Hüften stark und eckig;
er hatte runde und innen breite Schenkel, nicht vorstehende Knie, lange, gerade
und glatte Beine, gewölbte und sehnichte Füße. So aufmerksam war man
also schon im dreizehnten Jahrhundert auf jede Einzelheit der leiblichen Er¬
scheinung, so bewußt der Ausdrucksfähigkeit der Augen und des Mundes und
alles dessen, was am Körper des Mannes den Eindruck der Kraft und der Ge¬
wandtheit, des jugendlichen Feuers und der frischen Fülle hervorbringt.

In den höfischen Kreisen, in welche Flammea uns einführt, genügen in¬
dessen hohe Geburt und körperliche Vorzüge nicht, um das höchste Ansehn zu
verschaffen; auch mit werthvollen Geistesgaben, den edeln Neigungen, welche
den Ritter zieren, und der sichern Gewandtheit, die er sich im Verkehre mit
guter Gesellschaft erwirbt und bewährt, hat es sein Bewenden keineswegs. Es
kommt dazu eine gewisse schulmäßig erworbene Bildung. Unser Wilhelm hat
die Schule von Paris in Francien besucht und sich daselbst eine Kenntniß der
sieben Künste erworben, welche ihn befähigen würde, überall selbst Schule zu
halten; zu lesen und zu singen in der Kirche versteht er so gut als irgendein
Kleriker; ein tüchtiger Meister hat ihn in den Künsten des Fechlbodens unter¬
wiesen, und als etwas Besonderes wird noch angeführt, daß er, der sieben Fuß
hoch war, ein zwei Fuß höher an der Wand angebrachtes Lichtstümpfchen mit
dem Fuße erreichen konnte. Ist es ein Wunder, wenn mancherlei Kenntniß
sich auch bei den niedern Ständen verbreitete, wenn eine tüchtige Herbergs¬
mutter z. B. sich mit ihren Gästen aus Burgund, aus Francien, aus Deutsch¬
land und aus der Bretagne in der Sprache dieser Länder zu unterhalten ver¬
mochte, wie Frau Bellapila, die Badewirthin in Bourbon? Für die Schläge
auf den Rücken und das Zusammenpressen der Fingernagel, welches Beides uns
in Flammea als Schulzüchtigung bezeichnet wird, trug man denn doch etwas
davon, was allgemein geschätzt zu werden anfing.

Doch wir wollen die Ausbeutung unseres Romanes für die Kenntniß der
Gesellschaft, aus welcher er hervorgegangen, nicht weiter verfolgen und schweigen
von den Turnierbräuchen, den Tänzen, den Badeeinrichtungen, dem Festkalender,
der Stellung der Frau dem Gatten gegenüber, dem im geselligen Verkehr
herrschenden Tone und zahlreichen andern Dingen, über welche diese einzige
Quelle schon uns Aufschlüsse oder wichtige Bestätigungen für bereits Bekanntes


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[0284] seine Augen waren groß, funkelnd und lachend, die Nase schön und anmuthig. lang und gerade wie ein Armbrustschaft, das Gesicht voll und farbig, die Ohren tadellos, groß und hart und roth, der Mund schön und geistreich, die Zähne weißer als Elfenbein; das Kinn war wohlgeformt, zu größerer Schönheit leicht gespalten; er hatte einen geraden, großen und dicken Hals, an dem man keinen Knochen und keine Sehne sah; er war breitschulterig und von starken Muskeln; seine Hände waren groß, hart und stark, die Finger lang und ihre Gelenke glatt; die Brust war mächtig, die Weichen schmal, die Hüften stark und eckig; er hatte runde und innen breite Schenkel, nicht vorstehende Knie, lange, gerade und glatte Beine, gewölbte und sehnichte Füße. So aufmerksam war man also schon im dreizehnten Jahrhundert auf jede Einzelheit der leiblichen Er¬ scheinung, so bewußt der Ausdrucksfähigkeit der Augen und des Mundes und alles dessen, was am Körper des Mannes den Eindruck der Kraft und der Ge¬ wandtheit, des jugendlichen Feuers und der frischen Fülle hervorbringt. In den höfischen Kreisen, in welche Flammea uns einführt, genügen in¬ dessen hohe Geburt und körperliche Vorzüge nicht, um das höchste Ansehn zu verschaffen; auch mit werthvollen Geistesgaben, den edeln Neigungen, welche den Ritter zieren, und der sichern Gewandtheit, die er sich im Verkehre mit guter Gesellschaft erwirbt und bewährt, hat es sein Bewenden keineswegs. Es kommt dazu eine gewisse schulmäßig erworbene Bildung. Unser Wilhelm hat die Schule von Paris in Francien besucht und sich daselbst eine Kenntniß der sieben Künste erworben, welche ihn befähigen würde, überall selbst Schule zu halten; zu lesen und zu singen in der Kirche versteht er so gut als irgendein Kleriker; ein tüchtiger Meister hat ihn in den Künsten des Fechlbodens unter¬ wiesen, und als etwas Besonderes wird noch angeführt, daß er, der sieben Fuß hoch war, ein zwei Fuß höher an der Wand angebrachtes Lichtstümpfchen mit dem Fuße erreichen konnte. Ist es ein Wunder, wenn mancherlei Kenntniß sich auch bei den niedern Ständen verbreitete, wenn eine tüchtige Herbergs¬ mutter z. B. sich mit ihren Gästen aus Burgund, aus Francien, aus Deutsch¬ land und aus der Bretagne in der Sprache dieser Länder zu unterhalten ver¬ mochte, wie Frau Bellapila, die Badewirthin in Bourbon? Für die Schläge auf den Rücken und das Zusammenpressen der Fingernagel, welches Beides uns in Flammea als Schulzüchtigung bezeichnet wird, trug man denn doch etwas davon, was allgemein geschätzt zu werden anfing. Doch wir wollen die Ausbeutung unseres Romanes für die Kenntniß der Gesellschaft, aus welcher er hervorgegangen, nicht weiter verfolgen und schweigen von den Turnierbräuchen, den Tänzen, den Badeeinrichtungen, dem Festkalender, der Stellung der Frau dem Gatten gegenüber, dem im geselligen Verkehr herrschenden Tone und zahlreichen andern Dingen, über welche diese einzige Quelle schon uns Aufschlüsse oder wichtige Bestätigungen für bereits Bekanntes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/284>, abgerufen am 30.06.2024.