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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Bevor wir den Krieg selbst in seinem Verlauf betrachten, müssen wir zum
Verständniß zunächst die gegenüberstehenden Heere in ihren Eigenheiten zu er¬
kennen suchen, dann die Vorbereitungen zum Kriege behandeln, den Krieg selbst
in östliches und westliches Kriegstheater scheiden und endlich die Folgen desselben
für jetzt und die Zukunft zu bestimmen suchen.

Das preußische Heer hat drei Eigenthümlichkeiten, welche es charakterisiren.
-- Die allgemeine Dienstpflicht mit einer Dienstverpflichtung von 19 Jahren
reiht die gesammte geistige und körperliche Kraft des Volkes in das Heer ein
und giebt ihm eine Stätigkeit und Nachhaltigkeit, welche keine andere Ergän¬
zungsweise zu erzeugen im Stande ist. In Oestreich sowohl wie in andern
deutschen Staaten ist der Wohlhabende und damit der gebildetere Theil der
Bevölkerung bekanntlich durch Gesetz und Herkommen aus den Reihen des
Heeres entfernt. Diese Armeen bestehen nur aus denjenigen Elementen, welche
im großen Ganzen sich Treiben und Thun durch plötzliche Impulse, durch Nach¬
ahmung und durch Gewohnheit bestimmen lassen, und nicht gelernt haben, selbst¬
thätig und erfindend in das Leben einzugreifen. Dieses selbstthätige Eingreifen
ist aber grade die beste militärische Tugend, und der Umstand, daß unter den
gemeinen Soldaten Preußens die Bildung so reich vertreten ist, sichert der
Armee dieses Staates, alle anderen Verhältnisse gleich gerechnet, ein Ueber-
gewicht über jedes nicht ebenso ergänzte Heer. Man hat oft vom Muth roherer
Völkerschaften gesprochen und z. B. vielfach die Todesverachtung der Russen
gerühmt. Diese Dauer im Feuer aber ist nur eine Art von Stumpfheit; was
schließlich allein zum Siege führt, die Initiative fällt bei solchen Truppen nur
dem Führer zu. Um diese vollständige Führung nicht zu verlieren, muß die
Truppe dann immer in Masse fechten. Diese ist aber gegen ein gut geleitetes
Einzelgefecht nicht mehr anwendbar, wie die Russen zur Genüge in dem Krim¬
kriege erfahren haben. Je höher der einzelne Soldat als solcher im Werthe
steht, um so dünner kann man die Linie machen, welche man dem Feinde ent¬
gegenstellt und um so lebendiger, in alle Gefechtsverhältnisse sich einschmiegender
kann sie geführt werden, sägt sie sich von selbst ein. Lesen wir z. B. in den
Berichten aus dem letzten Kriege, daß die Oestreicher bei Münchengrätz auf dem
Muskyberge eine das ganze Jsarthal beherrschende Stellung eingenommen haben,
zu deren Wegnahme kein anderer Steg führte als ein schmaler Felspfad, auf
dem sich nur einer hinter dem andern mühsam in die Höhe ringen konnte und
daß diesen Pfad die preußische Infanterie benutzte, um den Rand fast im Rücken
des Feindes zu ersteigen, sich in einem Walde zu entwickeln und dann muthig
vorzubrechen und den Gegner schon durch ihr Erscheinen zum übereilten Abzug
zu bringen, so drückt sich darin ein Thatendrang jedes einzelnen Soldaten aus,
den die Welt bisher nur an den Franzosen kannte und bei ihnen z. B. in glei¬
cher Art bei Ersteigung des Thalrandes der Alma bewunderte. -- Liest man


Bevor wir den Krieg selbst in seinem Verlauf betrachten, müssen wir zum
Verständniß zunächst die gegenüberstehenden Heere in ihren Eigenheiten zu er¬
kennen suchen, dann die Vorbereitungen zum Kriege behandeln, den Krieg selbst
in östliches und westliches Kriegstheater scheiden und endlich die Folgen desselben
für jetzt und die Zukunft zu bestimmen suchen.

Das preußische Heer hat drei Eigenthümlichkeiten, welche es charakterisiren.
— Die allgemeine Dienstpflicht mit einer Dienstverpflichtung von 19 Jahren
reiht die gesammte geistige und körperliche Kraft des Volkes in das Heer ein
und giebt ihm eine Stätigkeit und Nachhaltigkeit, welche keine andere Ergän¬
zungsweise zu erzeugen im Stande ist. In Oestreich sowohl wie in andern
deutschen Staaten ist der Wohlhabende und damit der gebildetere Theil der
Bevölkerung bekanntlich durch Gesetz und Herkommen aus den Reihen des
Heeres entfernt. Diese Armeen bestehen nur aus denjenigen Elementen, welche
im großen Ganzen sich Treiben und Thun durch plötzliche Impulse, durch Nach¬
ahmung und durch Gewohnheit bestimmen lassen, und nicht gelernt haben, selbst¬
thätig und erfindend in das Leben einzugreifen. Dieses selbstthätige Eingreifen
ist aber grade die beste militärische Tugend, und der Umstand, daß unter den
gemeinen Soldaten Preußens die Bildung so reich vertreten ist, sichert der
Armee dieses Staates, alle anderen Verhältnisse gleich gerechnet, ein Ueber-
gewicht über jedes nicht ebenso ergänzte Heer. Man hat oft vom Muth roherer
Völkerschaften gesprochen und z. B. vielfach die Todesverachtung der Russen
gerühmt. Diese Dauer im Feuer aber ist nur eine Art von Stumpfheit; was
schließlich allein zum Siege führt, die Initiative fällt bei solchen Truppen nur
dem Führer zu. Um diese vollständige Führung nicht zu verlieren, muß die
Truppe dann immer in Masse fechten. Diese ist aber gegen ein gut geleitetes
Einzelgefecht nicht mehr anwendbar, wie die Russen zur Genüge in dem Krim¬
kriege erfahren haben. Je höher der einzelne Soldat als solcher im Werthe
steht, um so dünner kann man die Linie machen, welche man dem Feinde ent¬
gegenstellt und um so lebendiger, in alle Gefechtsverhältnisse sich einschmiegender
kann sie geführt werden, sägt sie sich von selbst ein. Lesen wir z. B. in den
Berichten aus dem letzten Kriege, daß die Oestreicher bei Münchengrätz auf dem
Muskyberge eine das ganze Jsarthal beherrschende Stellung eingenommen haben,
zu deren Wegnahme kein anderer Steg führte als ein schmaler Felspfad, auf
dem sich nur einer hinter dem andern mühsam in die Höhe ringen konnte und
daß diesen Pfad die preußische Infanterie benutzte, um den Rand fast im Rücken
des Feindes zu ersteigen, sich in einem Walde zu entwickeln und dann muthig
vorzubrechen und den Gegner schon durch ihr Erscheinen zum übereilten Abzug
zu bringen, so drückt sich darin ein Thatendrang jedes einzelnen Soldaten aus,
den die Welt bisher nur an den Franzosen kannte und bei ihnen z. B. in glei¬
cher Art bei Ersteigung des Thalrandes der Alma bewunderte. — Liest man


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[0222] Bevor wir den Krieg selbst in seinem Verlauf betrachten, müssen wir zum Verständniß zunächst die gegenüberstehenden Heere in ihren Eigenheiten zu er¬ kennen suchen, dann die Vorbereitungen zum Kriege behandeln, den Krieg selbst in östliches und westliches Kriegstheater scheiden und endlich die Folgen desselben für jetzt und die Zukunft zu bestimmen suchen. Das preußische Heer hat drei Eigenthümlichkeiten, welche es charakterisiren. — Die allgemeine Dienstpflicht mit einer Dienstverpflichtung von 19 Jahren reiht die gesammte geistige und körperliche Kraft des Volkes in das Heer ein und giebt ihm eine Stätigkeit und Nachhaltigkeit, welche keine andere Ergän¬ zungsweise zu erzeugen im Stande ist. In Oestreich sowohl wie in andern deutschen Staaten ist der Wohlhabende und damit der gebildetere Theil der Bevölkerung bekanntlich durch Gesetz und Herkommen aus den Reihen des Heeres entfernt. Diese Armeen bestehen nur aus denjenigen Elementen, welche im großen Ganzen sich Treiben und Thun durch plötzliche Impulse, durch Nach¬ ahmung und durch Gewohnheit bestimmen lassen, und nicht gelernt haben, selbst¬ thätig und erfindend in das Leben einzugreifen. Dieses selbstthätige Eingreifen ist aber grade die beste militärische Tugend, und der Umstand, daß unter den gemeinen Soldaten Preußens die Bildung so reich vertreten ist, sichert der Armee dieses Staates, alle anderen Verhältnisse gleich gerechnet, ein Ueber- gewicht über jedes nicht ebenso ergänzte Heer. Man hat oft vom Muth roherer Völkerschaften gesprochen und z. B. vielfach die Todesverachtung der Russen gerühmt. Diese Dauer im Feuer aber ist nur eine Art von Stumpfheit; was schließlich allein zum Siege führt, die Initiative fällt bei solchen Truppen nur dem Führer zu. Um diese vollständige Führung nicht zu verlieren, muß die Truppe dann immer in Masse fechten. Diese ist aber gegen ein gut geleitetes Einzelgefecht nicht mehr anwendbar, wie die Russen zur Genüge in dem Krim¬ kriege erfahren haben. Je höher der einzelne Soldat als solcher im Werthe steht, um so dünner kann man die Linie machen, welche man dem Feinde ent¬ gegenstellt und um so lebendiger, in alle Gefechtsverhältnisse sich einschmiegender kann sie geführt werden, sägt sie sich von selbst ein. Lesen wir z. B. in den Berichten aus dem letzten Kriege, daß die Oestreicher bei Münchengrätz auf dem Muskyberge eine das ganze Jsarthal beherrschende Stellung eingenommen haben, zu deren Wegnahme kein anderer Steg führte als ein schmaler Felspfad, auf dem sich nur einer hinter dem andern mühsam in die Höhe ringen konnte und daß diesen Pfad die preußische Infanterie benutzte, um den Rand fast im Rücken des Feindes zu ersteigen, sich in einem Walde zu entwickeln und dann muthig vorzubrechen und den Gegner schon durch ihr Erscheinen zum übereilten Abzug zu bringen, so drückt sich darin ein Thatendrang jedes einzelnen Soldaten aus, den die Welt bisher nur an den Franzosen kannte und bei ihnen z. B. in glei¬ cher Art bei Ersteigung des Thalrandes der Alma bewunderte. — Liest man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/222>, abgerufen am 30.06.2024.