Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Vergleicht man blos diese Ziffern, so wird man sich ziemlich trostlos ge¬
stehen müssen, bei solchen Staatsschulden wäre eines solchen Werthes Confis-
catio" grade so ergiebig und prciiös, als wenn man, wie das Sprichwort sagt,
"einen Veltcljungen in die Hölle wirf!". Dies Experiment, überhaupt kaum
deutbar, da es bei der bigotten Bevölkerung aller nichtungarischen Länder der
Monarchie - direct Revolutionen hervorrufen würde, in Ungarn dagegen die
energischste, zuletzt active Protestation aller constitutionell Gesinnten, -- würde
auch bei glänzendsten Resultate überdies kaum ausreisen, für einmal den Jahres¬
zins der Staatsschuld zu decken. Also was wäre finanziell mit 366 Millio¬
nen Fi. gewönne!, gegenüber einer Staatsschuld, welche heute unzweifelhaft
schon über 4000 Millionen oder 4 Milliarden Fi. betrugen muß? °

Ferner vergißt man, was übrigens auch der erwähnte Artikel der "Grenz¬
boten" ausführt, oder -- bei der großen Untcunliuß über Oestreich -- man
weiß es nicht, daß schon Kaiser Joseph der Zweite, und viel gründlicher als
dies heute möglich wäre, dieses Experiment durchführte. Und was war das
Resultat? Daß die Negierung allerdings sich um ein paar hundert Millio¬
nen bereicherte; aber nicht nur, indem sie dem Volke widerrechtlich das weg¬
nahm, was im Grunde Volt'svennögcn war, und was der Klerus nur unter
gewissen Bediugnisscnl zeitweilig zu nutznießen hat, sondern noch mehr: das so
geplünderte Volk konnte dann auch noch für die? Erhaltung der ihrer Existenz-
mittel Beraubten mehre Lebensalter hindurch sorgen. Das war eine falsche
politische und Rechtsphilosophie jenes "Despoten ans Liebe". Er warf eines
Tages mit absolutester Willkür an die hunderttausend Kleriker nackt in das
Volk, belaste ihren Kirchcnrcichthum als gefundene Beute ein, und überließ es
den derart um ihr Capital betrogenen, schwerste Steuern zahlenden Bürgern,
nun nicht nur doppelte Steuern zu zahlen, sondern auch die keines bürgerlichen
Lebenserwerbes fähigen Ausgeplünderten bis an ihr jeweiliges seliges Ende zu
füttern und durch Almosen zu erhalten. Ich selbst bin nicht völlig ein
halb Jahrhundert alt, aber noch zu meiner Kinderzeit mußten in meines
Vaters Haus ein paar alte verkommene Paulaner ernährt werden, die Kaiser
Joseph der Zweite so echt human 1780 auf die Straße gesetzt hatte, indem
er hübsch selber einsteckte, was jene Pfaffen unseren Vätern -- nämlich dem
Volke -- abgenommen hatten.

Und was war die wirklich praktische Folge jenes glücklichen Versuches,
den angeblichen Dieb zu erleichtern? Die Witzigung desselben. Denn nachdem
nach Josephs Tode die Ncactivirung der Klöster und Orden in Oestreich er¬
folgte, hüteten die Verbrannten sich wohl, nochmals ihre Schätze frei liegen zu
lassen. Der Klerus in Oestreich und Ungarn besitzt zusammen wohl eine Capital
von über ein Milliarde, aber nur in Ungarn besteht dies Vermögen vor¬
wiegend in Gütern. Immobilien, Kirchenschmuck, überhaupt in greifbaren und


Grenzboten IV. 1866. 2ö

Vergleicht man blos diese Ziffern, so wird man sich ziemlich trostlos ge¬
stehen müssen, bei solchen Staatsschulden wäre eines solchen Werthes Confis-
catio» grade so ergiebig und prciiös, als wenn man, wie das Sprichwort sagt,
„einen Veltcljungen in die Hölle wirf!". Dies Experiment, überhaupt kaum
deutbar, da es bei der bigotten Bevölkerung aller nichtungarischen Länder der
Monarchie - direct Revolutionen hervorrufen würde, in Ungarn dagegen die
energischste, zuletzt active Protestation aller constitutionell Gesinnten, — würde
auch bei glänzendsten Resultate überdies kaum ausreisen, für einmal den Jahres¬
zins der Staatsschuld zu decken. Also was wäre finanziell mit 366 Millio¬
nen Fi. gewönne!, gegenüber einer Staatsschuld, welche heute unzweifelhaft
schon über 4000 Millionen oder 4 Milliarden Fi. betrugen muß? °

Ferner vergißt man, was übrigens auch der erwähnte Artikel der „Grenz¬
boten" ausführt, oder — bei der großen Untcunliuß über Oestreich — man
weiß es nicht, daß schon Kaiser Joseph der Zweite, und viel gründlicher als
dies heute möglich wäre, dieses Experiment durchführte. Und was war das
Resultat? Daß die Negierung allerdings sich um ein paar hundert Millio¬
nen bereicherte; aber nicht nur, indem sie dem Volke widerrechtlich das weg¬
nahm, was im Grunde Volt'svennögcn war, und was der Klerus nur unter
gewissen Bediugnisscnl zeitweilig zu nutznießen hat, sondern noch mehr: das so
geplünderte Volk konnte dann auch noch für die? Erhaltung der ihrer Existenz-
mittel Beraubten mehre Lebensalter hindurch sorgen. Das war eine falsche
politische und Rechtsphilosophie jenes „Despoten ans Liebe". Er warf eines
Tages mit absolutester Willkür an die hunderttausend Kleriker nackt in das
Volk, belaste ihren Kirchcnrcichthum als gefundene Beute ein, und überließ es
den derart um ihr Capital betrogenen, schwerste Steuern zahlenden Bürgern,
nun nicht nur doppelte Steuern zu zahlen, sondern auch die keines bürgerlichen
Lebenserwerbes fähigen Ausgeplünderten bis an ihr jeweiliges seliges Ende zu
füttern und durch Almosen zu erhalten. Ich selbst bin nicht völlig ein
halb Jahrhundert alt, aber noch zu meiner Kinderzeit mußten in meines
Vaters Haus ein paar alte verkommene Paulaner ernährt werden, die Kaiser
Joseph der Zweite so echt human 1780 auf die Straße gesetzt hatte, indem
er hübsch selber einsteckte, was jene Pfaffen unseren Vätern — nämlich dem
Volke — abgenommen hatten.

Und was war die wirklich praktische Folge jenes glücklichen Versuches,
den angeblichen Dieb zu erleichtern? Die Witzigung desselben. Denn nachdem
nach Josephs Tode die Ncactivirung der Klöster und Orden in Oestreich er¬
folgte, hüteten die Verbrannten sich wohl, nochmals ihre Schätze frei liegen zu
lassen. Der Klerus in Oestreich und Ungarn besitzt zusammen wohl eine Capital
von über ein Milliarde, aber nur in Ungarn besteht dies Vermögen vor¬
wiegend in Gütern. Immobilien, Kirchenschmuck, überhaupt in greifbaren und


Grenzboten IV. 1866. 2ö
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0211" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286359"/>
          <p xml:id="ID_591"> Vergleicht man blos diese Ziffern, so wird man sich ziemlich trostlos ge¬<lb/>
stehen müssen, bei solchen Staatsschulden wäre eines solchen Werthes Confis-<lb/>
catio» grade so ergiebig und prciiös, als wenn man, wie das Sprichwort sagt,<lb/>
&#x201E;einen Veltcljungen in die Hölle wirf!". Dies Experiment, überhaupt kaum<lb/>
deutbar, da es bei der bigotten Bevölkerung aller nichtungarischen Länder der<lb/>
Monarchie - direct Revolutionen hervorrufen würde, in Ungarn dagegen die<lb/>
energischste, zuletzt active Protestation aller constitutionell Gesinnten, &#x2014; würde<lb/>
auch bei glänzendsten Resultate überdies kaum ausreisen, für einmal den Jahres¬<lb/>
zins der Staatsschuld zu decken. Also was wäre finanziell mit 366 Millio¬<lb/>
nen Fi. gewönne!, gegenüber einer Staatsschuld, welche heute unzweifelhaft<lb/>
schon über 4000 Millionen oder 4 Milliarden Fi. betrugen muß? °</p><lb/>
          <p xml:id="ID_592"> Ferner vergißt man, was übrigens auch der erwähnte Artikel der &#x201E;Grenz¬<lb/>
boten" ausführt, oder &#x2014; bei der großen Untcunliuß über Oestreich &#x2014; man<lb/>
weiß es nicht, daß schon Kaiser Joseph der Zweite, und viel gründlicher als<lb/>
dies heute möglich wäre, dieses Experiment durchführte. Und was war das<lb/>
Resultat? Daß die Negierung allerdings sich um ein paar hundert Millio¬<lb/>
nen bereicherte; aber nicht nur, indem sie dem Volke widerrechtlich das weg¬<lb/>
nahm, was im Grunde Volt'svennögcn war, und was der Klerus nur unter<lb/>
gewissen Bediugnisscnl zeitweilig zu nutznießen hat, sondern noch mehr: das so<lb/>
geplünderte Volk konnte dann auch noch für die? Erhaltung der ihrer Existenz-<lb/>
mittel Beraubten mehre Lebensalter hindurch sorgen. Das war eine falsche<lb/>
politische und Rechtsphilosophie jenes &#x201E;Despoten ans Liebe". Er warf eines<lb/>
Tages mit absolutester Willkür an die hunderttausend Kleriker nackt in das<lb/>
Volk, belaste ihren Kirchcnrcichthum als gefundene Beute ein, und überließ es<lb/>
den derart um ihr Capital betrogenen, schwerste Steuern zahlenden Bürgern,<lb/>
nun nicht nur doppelte Steuern zu zahlen, sondern auch die keines bürgerlichen<lb/>
Lebenserwerbes fähigen Ausgeplünderten bis an ihr jeweiliges seliges Ende zu<lb/>
füttern und durch Almosen zu erhalten. Ich selbst bin nicht völlig ein<lb/>
halb Jahrhundert alt, aber noch zu meiner Kinderzeit mußten in meines<lb/>
Vaters Haus ein paar alte verkommene Paulaner ernährt werden, die Kaiser<lb/>
Joseph der Zweite so echt human 1780 auf die Straße gesetzt hatte, indem<lb/>
er hübsch selber einsteckte, was jene Pfaffen unseren Vätern &#x2014; nämlich dem<lb/>
Volke &#x2014; abgenommen hatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_593" next="#ID_594"> Und was war die wirklich praktische Folge jenes glücklichen Versuches,<lb/>
den angeblichen Dieb zu erleichtern? Die Witzigung desselben. Denn nachdem<lb/>
nach Josephs Tode die Ncactivirung der Klöster und Orden in Oestreich er¬<lb/>
folgte, hüteten die Verbrannten sich wohl, nochmals ihre Schätze frei liegen zu<lb/>
lassen. Der Klerus in Oestreich und Ungarn besitzt zusammen wohl eine Capital<lb/>
von über ein Milliarde, aber nur in Ungarn besteht dies Vermögen vor¬<lb/>
wiegend in Gütern. Immobilien, Kirchenschmuck, überhaupt in greifbaren und</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1866. 2ö</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0211] Vergleicht man blos diese Ziffern, so wird man sich ziemlich trostlos ge¬ stehen müssen, bei solchen Staatsschulden wäre eines solchen Werthes Confis- catio» grade so ergiebig und prciiös, als wenn man, wie das Sprichwort sagt, „einen Veltcljungen in die Hölle wirf!". Dies Experiment, überhaupt kaum deutbar, da es bei der bigotten Bevölkerung aller nichtungarischen Länder der Monarchie - direct Revolutionen hervorrufen würde, in Ungarn dagegen die energischste, zuletzt active Protestation aller constitutionell Gesinnten, — würde auch bei glänzendsten Resultate überdies kaum ausreisen, für einmal den Jahres¬ zins der Staatsschuld zu decken. Also was wäre finanziell mit 366 Millio¬ nen Fi. gewönne!, gegenüber einer Staatsschuld, welche heute unzweifelhaft schon über 4000 Millionen oder 4 Milliarden Fi. betrugen muß? ° Ferner vergißt man, was übrigens auch der erwähnte Artikel der „Grenz¬ boten" ausführt, oder — bei der großen Untcunliuß über Oestreich — man weiß es nicht, daß schon Kaiser Joseph der Zweite, und viel gründlicher als dies heute möglich wäre, dieses Experiment durchführte. Und was war das Resultat? Daß die Negierung allerdings sich um ein paar hundert Millio¬ nen bereicherte; aber nicht nur, indem sie dem Volke widerrechtlich das weg¬ nahm, was im Grunde Volt'svennögcn war, und was der Klerus nur unter gewissen Bediugnisscnl zeitweilig zu nutznießen hat, sondern noch mehr: das so geplünderte Volk konnte dann auch noch für die? Erhaltung der ihrer Existenz- mittel Beraubten mehre Lebensalter hindurch sorgen. Das war eine falsche politische und Rechtsphilosophie jenes „Despoten ans Liebe". Er warf eines Tages mit absolutester Willkür an die hunderttausend Kleriker nackt in das Volk, belaste ihren Kirchcnrcichthum als gefundene Beute ein, und überließ es den derart um ihr Capital betrogenen, schwerste Steuern zahlenden Bürgern, nun nicht nur doppelte Steuern zu zahlen, sondern auch die keines bürgerlichen Lebenserwerbes fähigen Ausgeplünderten bis an ihr jeweiliges seliges Ende zu füttern und durch Almosen zu erhalten. Ich selbst bin nicht völlig ein halb Jahrhundert alt, aber noch zu meiner Kinderzeit mußten in meines Vaters Haus ein paar alte verkommene Paulaner ernährt werden, die Kaiser Joseph der Zweite so echt human 1780 auf die Straße gesetzt hatte, indem er hübsch selber einsteckte, was jene Pfaffen unseren Vätern — nämlich dem Volke — abgenommen hatten. Und was war die wirklich praktische Folge jenes glücklichen Versuches, den angeblichen Dieb zu erleichtern? Die Witzigung desselben. Denn nachdem nach Josephs Tode die Ncactivirung der Klöster und Orden in Oestreich er¬ folgte, hüteten die Verbrannten sich wohl, nochmals ihre Schätze frei liegen zu lassen. Der Klerus in Oestreich und Ungarn besitzt zusammen wohl eine Capital von über ein Milliarde, aber nur in Ungarn besteht dies Vermögen vor¬ wiegend in Gütern. Immobilien, Kirchenschmuck, überhaupt in greifbaren und Grenzboten IV. 1866. 2ö

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/211
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/211>, abgerufen am 02.07.2024.