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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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vornherein nehmen muß: für Dichtungen. Daß die Gedichte nicht an sont"
hampton gerichtet sein können, daß sie überhaupt gar nicht an eine Person,
und gar einen Mann gerichtet sind, ferner daß sie gleich nach ihrem Erscheinen
nur für "zuckersüße" Dichtungen galten, und erst durch einen raffinirten Specu-
lanten zu einer selbstverklugenden Biographie des Verfassers gestempelt und von
da ab in diesem Sinne beurtheilt und übersetzt wurden, das alles finden wir
bei Delius gründlich bewiesen. Auch geben er und Bodenstedt uns die englischen
und italienischen Muster an, denen eine Anzahl der shakespeareschen Sonette
nachgebildet ist. Daher erklären sich auch die zahlreichen Wiederholungen, die
nichts sind als Studien über dasselbe Thema und von dem ungeschickten Heraus¬
geber allesammt nebeneinander gestellt wurden. Auch aus seinen Dramen sind
mannigfache Parallelstellen nachzuweisen und in diese Gattung gehören grade
diejenigen Sonette, welche bisher den übelsten Schatten auf des Dichters
Leben geworfen hatten. Gern gebe ich zu, daß sich eine große Anzahl Gelegen¬
heitsgedichte darunter findet, und wenn wir Shakespeares Leben in seinen Einzel'
selten kennten, würde sich uns manches erklären. So steht uns natürlich nur
frei, auf die feststehenden Vorgänge seines Lebens die Anklänge zu suchen,
nimmermehr aber, aus dem Inhalt der Gedichte auf des Dichters Thaten zu
schließen.

Herr Rümelin hat die Behauptung aufgestellt, daß Shakespeare "gleich
nach seinem Tode fast zwei Jahrhunderte lang von seinem eigenen Volke ver¬
kannt und vergessen" worden sei. Es ist nicht ganz an dem. Seine Stücke
blieben nach seiner Entfernung vom Theater auf der Bühne, zwei Theater¬
unternehmer stritten sich um das Recht ihrer Aufführung, wir wissen, daß bei
seinen Lebzeiten, nicht "ein sehr geringer Theil, sondern von sechsunddreißig
Stücken neunzehn durch Speculanten im Druck erschienen, ganz dem Brauche
zuwider; daß Betrüger auf Shakespeares bekannten Namen hin mehrfachen
Buchhändlermißbrauch trieben, und daß sieben Jahre nach seinem Tode von
seinen früheren College" eine Gesammtausgabe seiner Dramen gemacht wurde.
Ihr folgten unter den Stuarts noch drei weitere Gesammtausgaben. Der von
1632 ist unter anderen ein Gedicht Miltons vorangedruckt, das etwa so lautet:
"Ein Epitaph auf den bewunderungswürdigen dramatischen Dichter
W. Sh akcsveare.


Prenzboten IV. 1866. 24

vornherein nehmen muß: für Dichtungen. Daß die Gedichte nicht an sont«
hampton gerichtet sein können, daß sie überhaupt gar nicht an eine Person,
und gar einen Mann gerichtet sind, ferner daß sie gleich nach ihrem Erscheinen
nur für „zuckersüße" Dichtungen galten, und erst durch einen raffinirten Specu-
lanten zu einer selbstverklugenden Biographie des Verfassers gestempelt und von
da ab in diesem Sinne beurtheilt und übersetzt wurden, das alles finden wir
bei Delius gründlich bewiesen. Auch geben er und Bodenstedt uns die englischen
und italienischen Muster an, denen eine Anzahl der shakespeareschen Sonette
nachgebildet ist. Daher erklären sich auch die zahlreichen Wiederholungen, die
nichts sind als Studien über dasselbe Thema und von dem ungeschickten Heraus¬
geber allesammt nebeneinander gestellt wurden. Auch aus seinen Dramen sind
mannigfache Parallelstellen nachzuweisen und in diese Gattung gehören grade
diejenigen Sonette, welche bisher den übelsten Schatten auf des Dichters
Leben geworfen hatten. Gern gebe ich zu, daß sich eine große Anzahl Gelegen¬
heitsgedichte darunter findet, und wenn wir Shakespeares Leben in seinen Einzel'
selten kennten, würde sich uns manches erklären. So steht uns natürlich nur
frei, auf die feststehenden Vorgänge seines Lebens die Anklänge zu suchen,
nimmermehr aber, aus dem Inhalt der Gedichte auf des Dichters Thaten zu
schließen.

Herr Rümelin hat die Behauptung aufgestellt, daß Shakespeare „gleich
nach seinem Tode fast zwei Jahrhunderte lang von seinem eigenen Volke ver¬
kannt und vergessen" worden sei. Es ist nicht ganz an dem. Seine Stücke
blieben nach seiner Entfernung vom Theater auf der Bühne, zwei Theater¬
unternehmer stritten sich um das Recht ihrer Aufführung, wir wissen, daß bei
seinen Lebzeiten, nicht „ein sehr geringer Theil, sondern von sechsunddreißig
Stücken neunzehn durch Speculanten im Druck erschienen, ganz dem Brauche
zuwider; daß Betrüger auf Shakespeares bekannten Namen hin mehrfachen
Buchhändlermißbrauch trieben, und daß sieben Jahre nach seinem Tode von
seinen früheren College» eine Gesammtausgabe seiner Dramen gemacht wurde.
Ihr folgten unter den Stuarts noch drei weitere Gesammtausgaben. Der von
1632 ist unter anderen ein Gedicht Miltons vorangedruckt, das etwa so lautet:
„Ein Epitaph auf den bewunderungswürdigen dramatischen Dichter
W. Sh akcsveare.


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[0203] vornherein nehmen muß: für Dichtungen. Daß die Gedichte nicht an sont« hampton gerichtet sein können, daß sie überhaupt gar nicht an eine Person, und gar einen Mann gerichtet sind, ferner daß sie gleich nach ihrem Erscheinen nur für „zuckersüße" Dichtungen galten, und erst durch einen raffinirten Specu- lanten zu einer selbstverklugenden Biographie des Verfassers gestempelt und von da ab in diesem Sinne beurtheilt und übersetzt wurden, das alles finden wir bei Delius gründlich bewiesen. Auch geben er und Bodenstedt uns die englischen und italienischen Muster an, denen eine Anzahl der shakespeareschen Sonette nachgebildet ist. Daher erklären sich auch die zahlreichen Wiederholungen, die nichts sind als Studien über dasselbe Thema und von dem ungeschickten Heraus¬ geber allesammt nebeneinander gestellt wurden. Auch aus seinen Dramen sind mannigfache Parallelstellen nachzuweisen und in diese Gattung gehören grade diejenigen Sonette, welche bisher den übelsten Schatten auf des Dichters Leben geworfen hatten. Gern gebe ich zu, daß sich eine große Anzahl Gelegen¬ heitsgedichte darunter findet, und wenn wir Shakespeares Leben in seinen Einzel' selten kennten, würde sich uns manches erklären. So steht uns natürlich nur frei, auf die feststehenden Vorgänge seines Lebens die Anklänge zu suchen, nimmermehr aber, aus dem Inhalt der Gedichte auf des Dichters Thaten zu schließen. Herr Rümelin hat die Behauptung aufgestellt, daß Shakespeare „gleich nach seinem Tode fast zwei Jahrhunderte lang von seinem eigenen Volke ver¬ kannt und vergessen" worden sei. Es ist nicht ganz an dem. Seine Stücke blieben nach seiner Entfernung vom Theater auf der Bühne, zwei Theater¬ unternehmer stritten sich um das Recht ihrer Aufführung, wir wissen, daß bei seinen Lebzeiten, nicht „ein sehr geringer Theil, sondern von sechsunddreißig Stücken neunzehn durch Speculanten im Druck erschienen, ganz dem Brauche zuwider; daß Betrüger auf Shakespeares bekannten Namen hin mehrfachen Buchhändlermißbrauch trieben, und daß sieben Jahre nach seinem Tode von seinen früheren College» eine Gesammtausgabe seiner Dramen gemacht wurde. Ihr folgten unter den Stuarts noch drei weitere Gesammtausgaben. Der von 1632 ist unter anderen ein Gedicht Miltons vorangedruckt, das etwa so lautet: „Ein Epitaph auf den bewunderungswürdigen dramatischen Dichter W. Sh akcsveare. Prenzboten IV. 1866. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/203>, abgerufen am 02.07.2024.