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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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nur in komischer Verwerthung." Es lassen sich eine Menge sehr ernster Ber-
treter dieser Fächer finden. Ich erinnere nur an den Oberrichter in Heinrich
dem Vierten (zweiter Theil), der durch seine strenge ausnahmslose Rechtlichkeit
und Pflichterfüllung dem jungen Prinzen die erste Aeußerung seiner edlen
Wandlung entlockt.

Endlich glaubt Herr Rümelin auch noch in der specifischen Art des shake-
spearischer Witzes, der uns vielfach so fremdartig anmuthet, einen Einfluß
jenes Bühnenpublikums finden zu sollen. "Der Jüngling, wie der Ungebildete
oder Halbgebildete." sagt er, "spielt gern mit dem Wort; er hat sich die Sprache
noch nicht so völlig assimilirt. wie der Mann von reifer Bildung. Eine Phrase
zu Tod zu Hetzen, der Rede eines andern einen albernen, beleidigenden, zwei¬
deutigen Sinn zu geben, die Ausdrucksweise in kolossalen Hyperbeln tst dem
Geschmack eines jugendlichen Publikums besonders entsprechend."

Nun Shakespeare selbst nennt sein Zeitalter so spitzfindig, daß der Bauer
dem Hofmann auf die Ferse tritt, eine Zeit, in der man mit Silben zu Tode
gestochen wird, wenn man nicht nach der Schnur spricht; wo jeder Narr mit
Worten spielen kann, so daß der Witz sich fast am besten durch Stillschweigen
bewährt und Gesprächigkeit nur noch an Papageien zu loben ist; wo mancher
Narr, so aufgestutzt, um ein spitzes Wort die Sache preisgiebt." Die über¬
reife Bildung der gelehrten Höfe hatte nach spanischem und italienischem Vor¬
bild diese Redeweise allgemein und modisch gemacht, sie wurde seit John LillyS
Pamphlet "Euphues" reden genannt; denn er war der zierlichste Vertreter die¬
ser Redeweise der Ueberbildeten.

"Wenn sich," sagt Gustav Rümelin, "der Shakespearische Witz in Beziehung
auf Zweideutigkeiten nicht sehr enthaltsam und wählerisch erweist, so ist auch
dieses aus der Zusammensetzung seines Publikums leichter verständlich. Man
thut der guten alten Zeit bitteres Unrecht, es erscheint uns als ein Frevel
gegen das puritanische Zeitalter.der jungfräulichen Königin, zu glauben, man
habe solche Reden im Munde einer gebildeten Frau für zulässig angesehen, wie
in dem Witzgefecht zwischen Benedict und Beatrice."

Es ist doch Wohl kaum möglich, daß Gustav Rümelin so völlig ohne
Kenntniß des damaligen s. g. guten Tones ist. um nicht zu wissen, daß Zoten¬
jägerei, obseöne Schaustellungen und eine Sprechweise, die wir unanständig
nennen, auch bei den vornehmsten Damen in jener guten alten Zeit allgemein
waren? Vielleicht fällt ihm einmal die mit großen Kosten hergestellte Abbildung
des Festzuges bei der Vermählung des Herzogs Johann Friedrich von Würtem-
berg mit der Markgräfin Barbara Sophie von Brandenburg am 6. November
1609 in die Hände, wo er sich an einem Beispiel aus seinem Schwabenlande
überzeugen kann, wie weit in jener Zeit die Grenze des Anstandes sich stecken
ließ. Er wird da im Geleite der splinternackten Fortuna unter andern die


nur in komischer Verwerthung." Es lassen sich eine Menge sehr ernster Ber-
treter dieser Fächer finden. Ich erinnere nur an den Oberrichter in Heinrich
dem Vierten (zweiter Theil), der durch seine strenge ausnahmslose Rechtlichkeit
und Pflichterfüllung dem jungen Prinzen die erste Aeußerung seiner edlen
Wandlung entlockt.

Endlich glaubt Herr Rümelin auch noch in der specifischen Art des shake-
spearischer Witzes, der uns vielfach so fremdartig anmuthet, einen Einfluß
jenes Bühnenpublikums finden zu sollen. „Der Jüngling, wie der Ungebildete
oder Halbgebildete." sagt er, „spielt gern mit dem Wort; er hat sich die Sprache
noch nicht so völlig assimilirt. wie der Mann von reifer Bildung. Eine Phrase
zu Tod zu Hetzen, der Rede eines andern einen albernen, beleidigenden, zwei¬
deutigen Sinn zu geben, die Ausdrucksweise in kolossalen Hyperbeln tst dem
Geschmack eines jugendlichen Publikums besonders entsprechend."

Nun Shakespeare selbst nennt sein Zeitalter so spitzfindig, daß der Bauer
dem Hofmann auf die Ferse tritt, eine Zeit, in der man mit Silben zu Tode
gestochen wird, wenn man nicht nach der Schnur spricht; wo jeder Narr mit
Worten spielen kann, so daß der Witz sich fast am besten durch Stillschweigen
bewährt und Gesprächigkeit nur noch an Papageien zu loben ist; wo mancher
Narr, so aufgestutzt, um ein spitzes Wort die Sache preisgiebt." Die über¬
reife Bildung der gelehrten Höfe hatte nach spanischem und italienischem Vor¬
bild diese Redeweise allgemein und modisch gemacht, sie wurde seit John LillyS
Pamphlet „Euphues" reden genannt; denn er war der zierlichste Vertreter die¬
ser Redeweise der Ueberbildeten.

„Wenn sich," sagt Gustav Rümelin, „der Shakespearische Witz in Beziehung
auf Zweideutigkeiten nicht sehr enthaltsam und wählerisch erweist, so ist auch
dieses aus der Zusammensetzung seines Publikums leichter verständlich. Man
thut der guten alten Zeit bitteres Unrecht, es erscheint uns als ein Frevel
gegen das puritanische Zeitalter.der jungfräulichen Königin, zu glauben, man
habe solche Reden im Munde einer gebildeten Frau für zulässig angesehen, wie
in dem Witzgefecht zwischen Benedict und Beatrice."

Es ist doch Wohl kaum möglich, daß Gustav Rümelin so völlig ohne
Kenntniß des damaligen s. g. guten Tones ist. um nicht zu wissen, daß Zoten¬
jägerei, obseöne Schaustellungen und eine Sprechweise, die wir unanständig
nennen, auch bei den vornehmsten Damen in jener guten alten Zeit allgemein
waren? Vielleicht fällt ihm einmal die mit großen Kosten hergestellte Abbildung
des Festzuges bei der Vermählung des Herzogs Johann Friedrich von Würtem-
berg mit der Markgräfin Barbara Sophie von Brandenburg am 6. November
1609 in die Hände, wo er sich an einem Beispiel aus seinem Schwabenlande
überzeugen kann, wie weit in jener Zeit die Grenze des Anstandes sich stecken
ließ. Er wird da im Geleite der splinternackten Fortuna unter andern die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/199>, abgerufen am 04.07.2024.