Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.es ihm zu thun ist, welchen Werth er überhaupt auf die Pragmatische Seite der "Hamlets Handlungen sind confus und unzweckmäßig; er wählt seltsame "Wenn wir wohl begreiflich finden," fährt Gustav Rümelin fort, "daß bei Mit welch sittlichem Adel und Feuer weiß Hamlet der Mutter das Ge¬ 22*
es ihm zu thun ist, welchen Werth er überhaupt auf die Pragmatische Seite der „Hamlets Handlungen sind confus und unzweckmäßig; er wählt seltsame „Wenn wir wohl begreiflich finden," fährt Gustav Rümelin fort, „daß bei Mit welch sittlichem Adel und Feuer weiß Hamlet der Mutter das Ge¬ 22*
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es ihm zu thun ist, welchen Werth er überhaupt auf die Pragmatische Seite der
tragischen Handlung legt, und welche Befähigung er für diesen Theil der dra¬
matischen Technik hat, wie ihm überall der Effect der einzelnen Theile wichtiger
ist als der kunstvolle Faden des Ganzen."
„Hamlets Handlungen sind confus und unzweckmäßig; er wählt seltsame
und unverständliche Mittel für seinen Zweck. Der Grund hiervon ist aber nickt,
daß der Dichter ihn so darstellen wollte. Die unverkennbare Unzulänglichkeit
in Hamlets praktischem Thun ist nicht sowohl für Hamlet als für Shakespeare
charakterisirend. Worin sollen denn die deutlichen Beweise für seine Arme-,
schlossenheit liegen? Die retardirenden Momente sind ja für eine Tragödie so
unerläßlich, als die Hemmung für eine gute Uhr. Wenn Hamlet gleich nach
der Erscheinung des Geistes den Act der Rache vollzöge, so wäre das Stück in
der zweiten Scene zu Ende. In der That aber handelt Hamlet ununterbrochen
im Stück; sich wahnsinnig stellen, ist auch ein Handeln, und zwar ein sehr
intensives und anstrengendes.
„Wenn wir wohl begreiflich finden," fährt Gustav Rümelin fort, „daß bei
der dramatischen Behandlung der Hamlctsage als die Hauptaufgabe erschien,
unter der Decke verstellten Irrsinns Sprüche tiefsinniger Weisheit zu verbergen,
daß der Dichter diesen Anlaß benutzte, unter fremder Gestalt seinen eigenen
damaligen Gemüthszustand zum dichterischen Ausdruck zu bringen — auch ihm
versagte eine bornirte und vorurtheilsvolle Gegenwart die Dichterkrone, auch
seiner Seele hatte sich über diesen Erfahrungen ein Humor der Verzweiflung
bemächtigt, der sich in Reden, die der Menge unverständlich sind und als Worte
eines Irrsinnigen erscheinen können, Luft zu machen suchte —, so dürfen wir
doch ebenso wenig verkennen, daß eben diese Zuthat in die Hamletsage nicht
als etwas Fremdartiges, Störendes eingreift, daß es dem Dichter nicht ein¬
mal am Herzen lag, jedenfalls nicht gelungen ist, diese» Jnconvenienzen
ganz zu beseitigen. Derselbe Hamlet, dem Shakespeare die zarten Fühl¬
hörner, die Melancholie, den vibrirenden Geist und Witz der eigenen Dickter-
seele gegeben hatte, paßte nun einmal nicht mehr zum blutigen Rächer einer
blutigen That.
Mit welch sittlichem Adel und Feuer weiß Hamlet der Mutter das Ge¬
wissen zu schärfen und doch raucht die Degenklinge des weisen Bußpredigers
noch von dem frisch vergossenen Blut eines alten Mannes, der- ihm nichts zu
Leid gethan, des Baders seiner Geliebten. Er entschuldigt sich darüber etwa
wie wenn man jemand auf den Fuß getreten hat; ja seine Worte erinnern
fast an Mephistos: „Nun ist der Luna6 zahm." Die verständigen Bürger
von Helsingör mußten wohl sagen, es sei immer ein Glück für Dänemark, daß
die Krone an Claudius und nicht an diesen närrischen, übcrhirnischcn Prinzen
gefallen sei, aus dessen Betragen kein Mensch klug werden könne, der einen
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