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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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des Staatsbürgers, die zum Spiele königlicher Willkür erniedrigt war. Jetzt
soll es anders werden. Dieser unwürdige Schoß wird abgelöst, den Hanno¬
veranern ist fruchtbarer veredelnder. Antheil an einem wirtlichen Staate ge¬
schenkt; dafür wird d>e pecuniäre Steuer erhöht werden. Wer feilschend die
Münze in der Hand dreht und mit Wohlgefallen auf die Fleischtöpfe der ver¬
gangenen Aera zurückweist, giebt sich das Zeugniß, daß er vom großen Strome
erhabener Interessen, der die neue Zeit und das wiedergeborene Deutschland
bezeichnet, seitab gestanden hat.

Die Miederkehr der Erfahrungen von 1815 hätte der Nation bei den
neuen Annexionen Preußens erspart bleiben sollen; daß es geschehen wäre,
wenn die Jüngstvergangenhcit des preußischen Regiments den Anforderungen
des Liberalismus genügt hätte, ist nicht zu behaupten. Die liberalen Elemente
in den neuen Provinzen sind mit wenigen entschuldbaren Ausnahmen grade
nicht oppositionell. An der Unklarheit der politischen Ideale in den Kleinstaaten
liegt die größere Schuld. Seis drum; mögen manche Scenen sich heute wieder¬
holen, welche die Einverleibung der neuen Provinzen vor fünfzig Jahren be¬
gleiteten, mögen die Jnquilinen der guten Stadt Hannover noch oft bei Geburts¬
tagen des WelfenhauseS gelbweißen Sand vor die Hausthüren streuen, dem
heraufwachsenden Geschlechte, das erst ganz und völlig in den neuen Stand
eintritt, wird er nicht in die Augen fallen und der freie Blick in eine bedeuten¬
dere Zukunft wird ihnen hoffentlich nicht getrübt werden; denn schon in schwie¬
rigerer Lage hat Preußen dre Assimilationstrasr eines echten Staates bewährt.

Den Gegenwärtigen aber, gut und böswilligen, die in die großen Ge¬
schicke des Hohenzollernreiches hinclngezwungen find, mag ein Gleichniß gesagt
sein. Wenn der nordische Bauer sein Kind dem fremden Manne ungefragt
zum Weibe giebt, und man will ihn der Härte zeihen, so antwortet er: die
Liebe kommt nach der Hochzeit. Und die Erfahrung pflegt das Sprichwort zu
Ehren zu bringen. So wird es auch in dieser politischen Ehe Preußens lui
den neuen Ländern gehen, die nunmehr durch die Proklamation des Einver¬
leibungepatents solenn vollzogen ist. Ueber ein Kurzes hoffen wir gesunde
Kinder aus der ungewollten Verbindung.




Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag.
Verlag von F. L. Hervig. -- Druck von Hüthcl Legler in Leipzig.

des Staatsbürgers, die zum Spiele königlicher Willkür erniedrigt war. Jetzt
soll es anders werden. Dieser unwürdige Schoß wird abgelöst, den Hanno¬
veranern ist fruchtbarer veredelnder. Antheil an einem wirtlichen Staate ge¬
schenkt; dafür wird d>e pecuniäre Steuer erhöht werden. Wer feilschend die
Münze in der Hand dreht und mit Wohlgefallen auf die Fleischtöpfe der ver¬
gangenen Aera zurückweist, giebt sich das Zeugniß, daß er vom großen Strome
erhabener Interessen, der die neue Zeit und das wiedergeborene Deutschland
bezeichnet, seitab gestanden hat.

Die Miederkehr der Erfahrungen von 1815 hätte der Nation bei den
neuen Annexionen Preußens erspart bleiben sollen; daß es geschehen wäre,
wenn die Jüngstvergangenhcit des preußischen Regiments den Anforderungen
des Liberalismus genügt hätte, ist nicht zu behaupten. Die liberalen Elemente
in den neuen Provinzen sind mit wenigen entschuldbaren Ausnahmen grade
nicht oppositionell. An der Unklarheit der politischen Ideale in den Kleinstaaten
liegt die größere Schuld. Seis drum; mögen manche Scenen sich heute wieder¬
holen, welche die Einverleibung der neuen Provinzen vor fünfzig Jahren be¬
gleiteten, mögen die Jnquilinen der guten Stadt Hannover noch oft bei Geburts¬
tagen des WelfenhauseS gelbweißen Sand vor die Hausthüren streuen, dem
heraufwachsenden Geschlechte, das erst ganz und völlig in den neuen Stand
eintritt, wird er nicht in die Augen fallen und der freie Blick in eine bedeuten¬
dere Zukunft wird ihnen hoffentlich nicht getrübt werden; denn schon in schwie¬
rigerer Lage hat Preußen dre Assimilationstrasr eines echten Staates bewährt.

Den Gegenwärtigen aber, gut und böswilligen, die in die großen Ge¬
schicke des Hohenzollernreiches hinclngezwungen find, mag ein Gleichniß gesagt
sein. Wenn der nordische Bauer sein Kind dem fremden Manne ungefragt
zum Weibe giebt, und man will ihn der Härte zeihen, so antwortet er: die
Liebe kommt nach der Hochzeit. Und die Erfahrung pflegt das Sprichwort zu
Ehren zu bringen. So wird es auch in dieser politischen Ehe Preußens lui
den neuen Ländern gehen, die nunmehr durch die Proklamation des Einver¬
leibungepatents solenn vollzogen ist. Ueber ein Kurzes hoffen wir gesunde
Kinder aus der ungewollten Verbindung.




Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag.
Verlag von F. L. Hervig. — Druck von Hüthcl Legler in Leipzig.
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[0176] des Staatsbürgers, die zum Spiele königlicher Willkür erniedrigt war. Jetzt soll es anders werden. Dieser unwürdige Schoß wird abgelöst, den Hanno¬ veranern ist fruchtbarer veredelnder. Antheil an einem wirtlichen Staate ge¬ schenkt; dafür wird d>e pecuniäre Steuer erhöht werden. Wer feilschend die Münze in der Hand dreht und mit Wohlgefallen auf die Fleischtöpfe der ver¬ gangenen Aera zurückweist, giebt sich das Zeugniß, daß er vom großen Strome erhabener Interessen, der die neue Zeit und das wiedergeborene Deutschland bezeichnet, seitab gestanden hat. Die Miederkehr der Erfahrungen von 1815 hätte der Nation bei den neuen Annexionen Preußens erspart bleiben sollen; daß es geschehen wäre, wenn die Jüngstvergangenhcit des preußischen Regiments den Anforderungen des Liberalismus genügt hätte, ist nicht zu behaupten. Die liberalen Elemente in den neuen Provinzen sind mit wenigen entschuldbaren Ausnahmen grade nicht oppositionell. An der Unklarheit der politischen Ideale in den Kleinstaaten liegt die größere Schuld. Seis drum; mögen manche Scenen sich heute wieder¬ holen, welche die Einverleibung der neuen Provinzen vor fünfzig Jahren be¬ gleiteten, mögen die Jnquilinen der guten Stadt Hannover noch oft bei Geburts¬ tagen des WelfenhauseS gelbweißen Sand vor die Hausthüren streuen, dem heraufwachsenden Geschlechte, das erst ganz und völlig in den neuen Stand eintritt, wird er nicht in die Augen fallen und der freie Blick in eine bedeuten¬ dere Zukunft wird ihnen hoffentlich nicht getrübt werden; denn schon in schwie¬ rigerer Lage hat Preußen dre Assimilationstrasr eines echten Staates bewährt. Den Gegenwärtigen aber, gut und böswilligen, die in die großen Ge¬ schicke des Hohenzollernreiches hinclngezwungen find, mag ein Gleichniß gesagt sein. Wenn der nordische Bauer sein Kind dem fremden Manne ungefragt zum Weibe giebt, und man will ihn der Härte zeihen, so antwortet er: die Liebe kommt nach der Hochzeit. Und die Erfahrung pflegt das Sprichwort zu Ehren zu bringen. So wird es auch in dieser politischen Ehe Preußens lui den neuen Ländern gehen, die nunmehr durch die Proklamation des Einver¬ leibungepatents solenn vollzogen ist. Ueber ein Kurzes hoffen wir gesunde Kinder aus der ungewollten Verbindung. Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag. Verlag von F. L. Hervig. — Druck von Hüthcl Legler in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/176>, abgerufen am 22.07.2024.