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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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zuhalten. Ganz gut und brav; Wenns nur auch so wahr wäre. Es ist zu be¬
klagen, daß die Sonderverfassung eben als solche in Zukunft das Haupthinder-
n>ß tüchtiger politischer Zucht bilden würde, die den Hannvveranern nur gegeben
werden kann, wenn sie zu dem Stolze des Bewußtseins gelangen, im preu¬
ßischen Staate anzurathen und mitzulhaten. Wir meinen, diese Entschädigung
kann wenigstens auf die Dauer über den Affectionswerth, den die alten Insti¬
tutionen haben, hinwegsetzen. Ueberdies mag man sich erinnern, daß das
Königreich Hannover ein Eonglomerat ist, dessen verschiedene Bestandtheile ver¬
schiedene Geschichte und mit ihr verschiedenen politischen Erwerb haben ver¬
gessen müssen, um die hannoverische Verfassung zu einer Zeit zu erhalten, in
welcher die politischen Anforderungen der norddeutschen Stämme auf ziemlich
gleicher Höhe standen. Daß berechtigte und werthvolle Eigenthümlichkeiten ge¬
schont werden sollen, ist preußischcrseits überdies oft genug erklärt worden/
Aber nicht so sehr die Verfassung und ihr innerer Werth, als vielmehr die
Gunst der finanziellen Lage und namentlich ihre Wirkung in der Beamtenwelt,
das ist es, dessen die große Zahl derer, die jetzt ihre eigenen und die Chancen
Angehöriger erwägen, vor allem berücksichtigt, wenn sie die Autonomie ihres
Landes begehren.

Wie über die Frage der Beaintenbesoldung und andere noch wichtigere
während des Interims der Königsdictatur entschieden werden wird, ist nicht zu
übersehen, aber der gute Wille, mit welchem berufene Autoritäten des Landes
ihren Rath ertheilen, kann sicherlich viel Nutzen stiften. Die leichtfertige Art
freilich, mit der auch Leute von sonst tüchtigem Sinn und ehrenvoller Lebens¬
stellung das ganze Vorgehen Preußens verurtheilen, läßt leider nicht erwarten,
daß sie so bald etwaige Opfer, die von ihnen gefordert werden, über den neuen
unvegehrten politischen Gütern verschmerzen werden, die der Wechsel des Re¬
giments ihnen bringt. Es hat etwas sehr Widerwärtiges, den t5zpectorationcn
solcher Patrioten zuzuhören, die den preußischen Staat als den Bonvivant auf
fremde Kosten oder als den Bankerotier ansehen, der seine Hoffnungen auf
einen "Raubkrieg" gesetzt hat. Mag man indeß in diesen Kreisen, deren Exi¬
stenz nicht wegzuläugnen ist, vorläufig in passiver Ablehnung verharren und
sich damit schadlos halten, den König Wilhelm den "Aneigcnnützigen" zu nennen
-- wie ein beliebtes Wortspiel lautet --, man wird erkennen, daß durch Bei¬
behaltung dieses vornehmen Degvuts jeder .auf eigene Kosten frondirt. Es
prägt sich in diesem Verhalten ein im bedenklichen Sinne bäuerlicher Zug aus,
der einem guten Theile der hannoverischen Bevölkerung anhaftet. Jahrzehnte
lang hat man der Weifendynastie ohne Murren, wenigstens ohne ernsthafte
Auflehnung, mit der edelsten Naturalleistung gesteuert, die es für gebildete
Völker giebt, mit dem sittlichen Besitz des Rechtsbewußtseins und der Würde


zuhalten. Ganz gut und brav; Wenns nur auch so wahr wäre. Es ist zu be¬
klagen, daß die Sonderverfassung eben als solche in Zukunft das Haupthinder-
n>ß tüchtiger politischer Zucht bilden würde, die den Hannvveranern nur gegeben
werden kann, wenn sie zu dem Stolze des Bewußtseins gelangen, im preu¬
ßischen Staate anzurathen und mitzulhaten. Wir meinen, diese Entschädigung
kann wenigstens auf die Dauer über den Affectionswerth, den die alten Insti¬
tutionen haben, hinwegsetzen. Ueberdies mag man sich erinnern, daß das
Königreich Hannover ein Eonglomerat ist, dessen verschiedene Bestandtheile ver¬
schiedene Geschichte und mit ihr verschiedenen politischen Erwerb haben ver¬
gessen müssen, um die hannoverische Verfassung zu einer Zeit zu erhalten, in
welcher die politischen Anforderungen der norddeutschen Stämme auf ziemlich
gleicher Höhe standen. Daß berechtigte und werthvolle Eigenthümlichkeiten ge¬
schont werden sollen, ist preußischcrseits überdies oft genug erklärt worden/
Aber nicht so sehr die Verfassung und ihr innerer Werth, als vielmehr die
Gunst der finanziellen Lage und namentlich ihre Wirkung in der Beamtenwelt,
das ist es, dessen die große Zahl derer, die jetzt ihre eigenen und die Chancen
Angehöriger erwägen, vor allem berücksichtigt, wenn sie die Autonomie ihres
Landes begehren.

Wie über die Frage der Beaintenbesoldung und andere noch wichtigere
während des Interims der Königsdictatur entschieden werden wird, ist nicht zu
übersehen, aber der gute Wille, mit welchem berufene Autoritäten des Landes
ihren Rath ertheilen, kann sicherlich viel Nutzen stiften. Die leichtfertige Art
freilich, mit der auch Leute von sonst tüchtigem Sinn und ehrenvoller Lebens¬
stellung das ganze Vorgehen Preußens verurtheilen, läßt leider nicht erwarten,
daß sie so bald etwaige Opfer, die von ihnen gefordert werden, über den neuen
unvegehrten politischen Gütern verschmerzen werden, die der Wechsel des Re¬
giments ihnen bringt. Es hat etwas sehr Widerwärtiges, den t5zpectorationcn
solcher Patrioten zuzuhören, die den preußischen Staat als den Bonvivant auf
fremde Kosten oder als den Bankerotier ansehen, der seine Hoffnungen auf
einen „Raubkrieg" gesetzt hat. Mag man indeß in diesen Kreisen, deren Exi¬
stenz nicht wegzuläugnen ist, vorläufig in passiver Ablehnung verharren und
sich damit schadlos halten, den König Wilhelm den „Aneigcnnützigen" zu nennen
— wie ein beliebtes Wortspiel lautet —, man wird erkennen, daß durch Bei¬
behaltung dieses vornehmen Degvuts jeder .auf eigene Kosten frondirt. Es
prägt sich in diesem Verhalten ein im bedenklichen Sinne bäuerlicher Zug aus,
der einem guten Theile der hannoverischen Bevölkerung anhaftet. Jahrzehnte
lang hat man der Weifendynastie ohne Murren, wenigstens ohne ernsthafte
Auflehnung, mit der edelsten Naturalleistung gesteuert, die es für gebildete
Völker giebt, mit dem sittlichen Besitz des Rechtsbewußtseins und der Würde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/175>, abgerufen am 25.07.2024.