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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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nicht gesehen, aber große Ähnlichkeit mit denselben hatten die Excesse am Ge¬
burtstag des Kronprinzen doch. Immerhin mögen solche derbe Ausbrüche eines
Unwillens, für den es ja hundert kleine persönliche Anlässe geben kann, den
unteren Schichten der Bevölkerung in die Schuhe geschoben und sie sonach
höchstens disciplinarisch gerügt werden; zum preußischen Gouvernement haben
wir das Vertrauen größter Schonung; aber ganz vereinzelte Eruptionen waren
jene Erscheinungen nicht. Schon in den ersten Tagen nach der Katastrophe
von Langensalza. noch mehr natürlich seit dem Annexionsbeschluß, kamen aller¬
hand kleine Aufreizungen vor. Wenn gegen Abend die Knaben in den Straßen
Hochrufe auf den König und den Prinzen ertönen ließen, so ist es niemandem
eingefallen, das für et^pas Anderes als für jugendliche Kehlübungen zu nehmen,
aber wenn die Duodezpatrioten Umzüge halten mit weißgelben und schwarz¬
gelben Fähnchen und Spottlieder auf Preußen dabei singen, so liegt die Be¬
fürchtung nahe, daß sie dazu angeregt sind, und das ist von Seiten der An¬
stifter ebenso unpädagogisch wie feig. Ein solcher Rimelreim ist mir im Ge¬
dächtniß geblieben: "Guckuk, Guckuk warte, bald kommt der Bonaparte, will
uns helfen'wiederholen, was die Preußen uns gestohlen." Guckuk ist die all¬
gemein recipirte Bezeichnung des preußischen Adlers. Beim Dunkelwerden kann
man den Ruf allenthalben hören, wo sich preußische Soldaten befinden. Als
Ziel der demonstrativen Spaziergänge der Schuljugend galt Herrenhausen, wo
die Königin bis vor kurzem wohnte. Da traf sichs dann wohl, daß der Zug
dem Wagen der hohen Frau in der langen Allee begegnete; dann stieg sie aus,
die Kinder umringten sie und sie ließ sich die Namen nennen. Fast überall im
Lande, namentlich aber in der Hauptstadt, genießt die Königin wirkliche Ver¬
ehrung. Es ist keine Uebertreibung, daß eine Loyalitäts- und Beilcidsadresse
an sie, welche in der Stadt unter der Hand colportirt wurde, in kurzer Zeit
mit mehr als 40,000 Unterschriften bedeckt war. Aus dem kleinen Heimathhofe
zu Altenburg hat sie warmen Sinn für Freud und Leid des Bürgers auf den
stolzen Welfenthron mitgebracht; ihrem liebevollen und schlichten Wesen, ver¬
dankt die königliche Familie das Lob häuslicher Tugenden. Insbesondere hat die
Mildthätigkeit der hohen Frau die Herzen erobert; wir gönnen ihr den schönen
Besitz und es ist menschlich betrübend, daß sie künftig darauf verzichten muß.
sich der Wirkungen landeSmütierlicher Sorge zu freuen. Die Geschichte aber
ist eine hartherzige Frau. die an privaten Schmerzen stumm vorübergeht.

König Wilhelm hat wiederholt ausgesprochen, daß er loyale Pietät ehrt,
und er wird in dieser Richtung nie ohne Noth harte Maßregeln ergreifen.
Aber die Hannoveraner ihrerseits sollten Tact gern^ haben, die Grenzen dieser
Connivenz zu achten. So gut und schön die Ovationen für die Königin sein
mögen, dem selbstverschuldeten und heilsamen Falle des Königs sollte füglich


nicht gesehen, aber große Ähnlichkeit mit denselben hatten die Excesse am Ge¬
burtstag des Kronprinzen doch. Immerhin mögen solche derbe Ausbrüche eines
Unwillens, für den es ja hundert kleine persönliche Anlässe geben kann, den
unteren Schichten der Bevölkerung in die Schuhe geschoben und sie sonach
höchstens disciplinarisch gerügt werden; zum preußischen Gouvernement haben
wir das Vertrauen größter Schonung; aber ganz vereinzelte Eruptionen waren
jene Erscheinungen nicht. Schon in den ersten Tagen nach der Katastrophe
von Langensalza. noch mehr natürlich seit dem Annexionsbeschluß, kamen aller¬
hand kleine Aufreizungen vor. Wenn gegen Abend die Knaben in den Straßen
Hochrufe auf den König und den Prinzen ertönen ließen, so ist es niemandem
eingefallen, das für et^pas Anderes als für jugendliche Kehlübungen zu nehmen,
aber wenn die Duodezpatrioten Umzüge halten mit weißgelben und schwarz¬
gelben Fähnchen und Spottlieder auf Preußen dabei singen, so liegt die Be¬
fürchtung nahe, daß sie dazu angeregt sind, und das ist von Seiten der An¬
stifter ebenso unpädagogisch wie feig. Ein solcher Rimelreim ist mir im Ge¬
dächtniß geblieben: „Guckuk, Guckuk warte, bald kommt der Bonaparte, will
uns helfen'wiederholen, was die Preußen uns gestohlen." Guckuk ist die all¬
gemein recipirte Bezeichnung des preußischen Adlers. Beim Dunkelwerden kann
man den Ruf allenthalben hören, wo sich preußische Soldaten befinden. Als
Ziel der demonstrativen Spaziergänge der Schuljugend galt Herrenhausen, wo
die Königin bis vor kurzem wohnte. Da traf sichs dann wohl, daß der Zug
dem Wagen der hohen Frau in der langen Allee begegnete; dann stieg sie aus,
die Kinder umringten sie und sie ließ sich die Namen nennen. Fast überall im
Lande, namentlich aber in der Hauptstadt, genießt die Königin wirkliche Ver¬
ehrung. Es ist keine Uebertreibung, daß eine Loyalitäts- und Beilcidsadresse
an sie, welche in der Stadt unter der Hand colportirt wurde, in kurzer Zeit
mit mehr als 40,000 Unterschriften bedeckt war. Aus dem kleinen Heimathhofe
zu Altenburg hat sie warmen Sinn für Freud und Leid des Bürgers auf den
stolzen Welfenthron mitgebracht; ihrem liebevollen und schlichten Wesen, ver¬
dankt die königliche Familie das Lob häuslicher Tugenden. Insbesondere hat die
Mildthätigkeit der hohen Frau die Herzen erobert; wir gönnen ihr den schönen
Besitz und es ist menschlich betrübend, daß sie künftig darauf verzichten muß.
sich der Wirkungen landeSmütierlicher Sorge zu freuen. Die Geschichte aber
ist eine hartherzige Frau. die an privaten Schmerzen stumm vorübergeht.

König Wilhelm hat wiederholt ausgesprochen, daß er loyale Pietät ehrt,
und er wird in dieser Richtung nie ohne Noth harte Maßregeln ergreifen.
Aber die Hannoveraner ihrerseits sollten Tact gern^ haben, die Grenzen dieser
Connivenz zu achten. So gut und schön die Ovationen für die Königin sein
mögen, dem selbstverschuldeten und heilsamen Falle des Königs sollte füglich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/173>, abgerufen am 02.07.2024.