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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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gebracht; aber wir Deutschen sind seine politischen Rentiers, welche solche
Summen an ihre Unterhaltung wenden können, wie die Welfcnherrlichkeit uns
gekostet hat. Schlimm genug, daß ein so großer Theil der Hannoveraner zu
denen gehörte, die sich gewöhnt hatten, diese Wirthschaft humoristisch aufzufassen.
Das alte Erbtheil egoistischen Beharrens und passiven Selbstgenügens ist für-
bas geschichtliche Leben der Niedersachsen höchste Gewähr und größte Gefahr
zugleich. Die Fähigkeit ihres derben Wesens, viel tragen zu können, ehe sie
die Last spüren, hat sie auch vieles ertragen lassen, was einem Volksstamm
von solcher Begabung unziemlich ist. Nicht unempfindliche Nerven sind schuld
daran; gute Bildung, kluger Sinn, hochgesteigcrtes geistiges und materielles
Verkehrsleben geben ihnen volle Ebenbürtigkeit mit den übrigen Norddeutschen,
aber es haftet in ihrer braven Natur eine verhcingnißvolle Bequemlichkeit, die
sie im guten und im schlimmen Sinne davor bewahrt, außer Fassung zu ge¬
rathen. Diese Kraft unentwegter Gemüthsruhe ist angesichts der Anforderungen
unsrer modernen Zeit zu sittlicher Schwäche geworden. Wenn man.im Ge¬
spräch auch mit hochgebildeten Bürgern der zahllosen herrischen Thorheiten und
kindischen Rankünen des Königs, seines rein persönlichen und von unwürdigsten
Einflüssen beherrschten Regiments, ja selbst wenn man der Mißhandlungen der,
Landesverfassung und des Zustandes politischer Rechtlosigkeit gedenkt, in dem
er sein Volk zu exerciren liebte, begegnet man meist nur gutmüthigem Lächeln
oder dem Achselzucken des Bedauerns; die Entrüstung, die sich darauf gebührte,
ist den allermeisten abhanden gekommen, oder vielmehr sie haben sie nie gehabt.
Es versteht sich von selbst, daß wir mit um so größerer Achtung die Männer
der liberalen Opposition ausnehmen.

Seit Holstein wie Hannover dem preußischen Staate gesichert sind, droht sich
die Mahnung, deren eingangs erwähnt wurde, umzukehren; jetzt scheint gesorgt
werden zu müssen, daß die Provinz Hannover kein zweites Holstein werde. Daß
der neuen Ordnung der Dinge im Welfenreich kein stürmischer Enthusiasmus
entgegengebracht wurde, ließ sich bei dem politischen Temperament der Hanno¬
veraner erwarten. Wer aber voraussetzte, die Veränderung werde im Lande
mit phlegmatischem Gleichmuth oder gar mit stillem Behagen aufgenommen
werden, steht sich sehr getäuscht. Außer in Ostfriesland, das vermöge seiner
preußischen Traditionen in einer exceptionellen Lage war, sind in sehr wenigen
Orten freudige und zustimmende Kundgebungen erfolgt. Die große Mehrzahl
der Bewohner des flachen Landes wie der Städte hat sich ablehnend verhalten,
in der Hauptstadt ist die Stimmung bei Groß und Klein äußerstes Mißver¬
gnügen und es hat allmälig Formen angenommen, die sehr schlecht zu dem fast
übertriebenen Auslande Passen, den man sonst dort gewohnt ist. Zwar pöbel¬
hafte Auftritte der Art, wie sie in Celle vorgekommen sind, hat die Hauptstadt


gebracht; aber wir Deutschen sind seine politischen Rentiers, welche solche
Summen an ihre Unterhaltung wenden können, wie die Welfcnherrlichkeit uns
gekostet hat. Schlimm genug, daß ein so großer Theil der Hannoveraner zu
denen gehörte, die sich gewöhnt hatten, diese Wirthschaft humoristisch aufzufassen.
Das alte Erbtheil egoistischen Beharrens und passiven Selbstgenügens ist für-
bas geschichtliche Leben der Niedersachsen höchste Gewähr und größte Gefahr
zugleich. Die Fähigkeit ihres derben Wesens, viel tragen zu können, ehe sie
die Last spüren, hat sie auch vieles ertragen lassen, was einem Volksstamm
von solcher Begabung unziemlich ist. Nicht unempfindliche Nerven sind schuld
daran; gute Bildung, kluger Sinn, hochgesteigcrtes geistiges und materielles
Verkehrsleben geben ihnen volle Ebenbürtigkeit mit den übrigen Norddeutschen,
aber es haftet in ihrer braven Natur eine verhcingnißvolle Bequemlichkeit, die
sie im guten und im schlimmen Sinne davor bewahrt, außer Fassung zu ge¬
rathen. Diese Kraft unentwegter Gemüthsruhe ist angesichts der Anforderungen
unsrer modernen Zeit zu sittlicher Schwäche geworden. Wenn man.im Ge¬
spräch auch mit hochgebildeten Bürgern der zahllosen herrischen Thorheiten und
kindischen Rankünen des Königs, seines rein persönlichen und von unwürdigsten
Einflüssen beherrschten Regiments, ja selbst wenn man der Mißhandlungen der,
Landesverfassung und des Zustandes politischer Rechtlosigkeit gedenkt, in dem
er sein Volk zu exerciren liebte, begegnet man meist nur gutmüthigem Lächeln
oder dem Achselzucken des Bedauerns; die Entrüstung, die sich darauf gebührte,
ist den allermeisten abhanden gekommen, oder vielmehr sie haben sie nie gehabt.
Es versteht sich von selbst, daß wir mit um so größerer Achtung die Männer
der liberalen Opposition ausnehmen.

Seit Holstein wie Hannover dem preußischen Staate gesichert sind, droht sich
die Mahnung, deren eingangs erwähnt wurde, umzukehren; jetzt scheint gesorgt
werden zu müssen, daß die Provinz Hannover kein zweites Holstein werde. Daß
der neuen Ordnung der Dinge im Welfenreich kein stürmischer Enthusiasmus
entgegengebracht wurde, ließ sich bei dem politischen Temperament der Hanno¬
veraner erwarten. Wer aber voraussetzte, die Veränderung werde im Lande
mit phlegmatischem Gleichmuth oder gar mit stillem Behagen aufgenommen
werden, steht sich sehr getäuscht. Außer in Ostfriesland, das vermöge seiner
preußischen Traditionen in einer exceptionellen Lage war, sind in sehr wenigen
Orten freudige und zustimmende Kundgebungen erfolgt. Die große Mehrzahl
der Bewohner des flachen Landes wie der Städte hat sich ablehnend verhalten,
in der Hauptstadt ist die Stimmung bei Groß und Klein äußerstes Mißver¬
gnügen und es hat allmälig Formen angenommen, die sehr schlecht zu dem fast
übertriebenen Auslande Passen, den man sonst dort gewohnt ist. Zwar pöbel¬
hafte Auftritte der Art, wie sie in Celle vorgekommen sind, hat die Hauptstadt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/172>, abgerufen am 30.06.2024.