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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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hier keine eigentliche Uebersetzung, sondern eine freie Nachbildung, eine Umdich-
tung, wie sie die größten Meister, voran Shakespeare, so oft versucht haben,
einen ihrer größten Triumphe feiert. Das Original in seiner vollen landschaft¬
lichen und nationalen Absonderlichkeit kann dadurch für die Wissenschaft nicht
ersetzt werden, wohl aber hat der Geist der modernen Bildung und Kunst durch
Rückert alles, was ihm davon brauchbar und insofern ewig menschlich berechtigt
ist, aufgesogen. Neben dieser freieren Schöpfung ist die Zahl der anlehnenden,
wirtlich abhängigen Nachbildungen indischer poetischer Erzeugnisse eine so
große, daß wer das Sachverhältniß nicht kennt, vermuthen müßte, ein reich be¬
gabter, künstlerisch und wissenschaftlich gleich mächtig ausgestatteter Genius habe
alle seine Kraft und die ganze ihm vergönnte Zeit seines Erdendaseins nur für
diese eine Arbeit eingesetzt. Vielleicht von der größten Anziehungskraft für die
wissenschaftlichen und gebildeten Kreise dürfte darunter eine Uebersetzung der
Sakuntala sein. Sie stammt aus den fünfziger Jahren, ist vollständig vor¬
handen, sorgfältig nachgebessert und vollkommen druckfertig. Sie scheint auch,
wie aus einigen Notizen des Verfassers hervorgeht, gradezu dafür bestimmt ge¬
wesen zu sein, ist aber auch aus den schon auseinandergesetzten Gründen im
Pulte liegen geblieben. Selbstverständlich geht neben der Uebersetzung, äußerlich
aber ganz getrennt von ihr, ein unendlich reicher Apparat von kritischen und
exegetischen, namentlich auch technischen Studien über die poetischen Formen des
Stückes und der indischen dramatischen Poesie überhaupt. Denn es finden sich
außer eigentlich gelehrten Bemerkungen und Studien zu den bedeutendsten
übrigen bisher bekannten Erzeugnissen derselben auch noch verschiedene Ansätze
zu kunstmäßigen Uebertragungen, von denen aber keiner weit gediehen zu sein
sckeint. Wie er in den brahmanischen Erzählungen und anderwärts einige der
gehaltvollsten Episoden des Mahabharata dem deutschen Volke dargeboten hatte,
zwar anders als Rat und Damajanti, nicht als freie Umdichtung, fondern
als deutsche Nachdichtung des indischen Originals, so beabsichtigte er noch eine
große Anzahl anderer Blüthen der indischen Epik unserer Sprache anzueignen.
Vieles davon, fast ausnahmslos gleichfalls dem unerschöpflichen Mahabharata
entnommen, ist von ihm vollendet worden, manches aber nur begonnen. Ueberall
schließt sich auch hier die gelehrte, kritisch-exegetische Thätigkeit unmittelbar an
die künstlerische. Neben der deutschen metrischen Uebertragung steht gewöhnlich
der gereinigte Sanskrittcxt. das Ergebniß seiner productiv-l'ritischen Arbeit, selbst
eine Art von Kunstschöpfung, indem hier eine dem ursprüngliche" Dichter min¬
destens gewachsene poetische Kraft das Vor Alter Verfallene' wieder in dem
Jungbrunnen des wissenschaftlich geschulten Kunstgesühls belebt hat.

Aber mehr als dies alles ergriff ihn die Fülle und Tiefe der Ergebnisse,
welche sich durch das allmälige Bekanntwerden der Vedaliteratur herausstellten.
Von dem ersten dürftigen sxeeimoir Roseus bis zu den fast unübersehbaren


hier keine eigentliche Uebersetzung, sondern eine freie Nachbildung, eine Umdich-
tung, wie sie die größten Meister, voran Shakespeare, so oft versucht haben,
einen ihrer größten Triumphe feiert. Das Original in seiner vollen landschaft¬
lichen und nationalen Absonderlichkeit kann dadurch für die Wissenschaft nicht
ersetzt werden, wohl aber hat der Geist der modernen Bildung und Kunst durch
Rückert alles, was ihm davon brauchbar und insofern ewig menschlich berechtigt
ist, aufgesogen. Neben dieser freieren Schöpfung ist die Zahl der anlehnenden,
wirtlich abhängigen Nachbildungen indischer poetischer Erzeugnisse eine so
große, daß wer das Sachverhältniß nicht kennt, vermuthen müßte, ein reich be¬
gabter, künstlerisch und wissenschaftlich gleich mächtig ausgestatteter Genius habe
alle seine Kraft und die ganze ihm vergönnte Zeit seines Erdendaseins nur für
diese eine Arbeit eingesetzt. Vielleicht von der größten Anziehungskraft für die
wissenschaftlichen und gebildeten Kreise dürfte darunter eine Uebersetzung der
Sakuntala sein. Sie stammt aus den fünfziger Jahren, ist vollständig vor¬
handen, sorgfältig nachgebessert und vollkommen druckfertig. Sie scheint auch,
wie aus einigen Notizen des Verfassers hervorgeht, gradezu dafür bestimmt ge¬
wesen zu sein, ist aber auch aus den schon auseinandergesetzten Gründen im
Pulte liegen geblieben. Selbstverständlich geht neben der Uebersetzung, äußerlich
aber ganz getrennt von ihr, ein unendlich reicher Apparat von kritischen und
exegetischen, namentlich auch technischen Studien über die poetischen Formen des
Stückes und der indischen dramatischen Poesie überhaupt. Denn es finden sich
außer eigentlich gelehrten Bemerkungen und Studien zu den bedeutendsten
übrigen bisher bekannten Erzeugnissen derselben auch noch verschiedene Ansätze
zu kunstmäßigen Uebertragungen, von denen aber keiner weit gediehen zu sein
sckeint. Wie er in den brahmanischen Erzählungen und anderwärts einige der
gehaltvollsten Episoden des Mahabharata dem deutschen Volke dargeboten hatte,
zwar anders als Rat und Damajanti, nicht als freie Umdichtung, fondern
als deutsche Nachdichtung des indischen Originals, so beabsichtigte er noch eine
große Anzahl anderer Blüthen der indischen Epik unserer Sprache anzueignen.
Vieles davon, fast ausnahmslos gleichfalls dem unerschöpflichen Mahabharata
entnommen, ist von ihm vollendet worden, manches aber nur begonnen. Ueberall
schließt sich auch hier die gelehrte, kritisch-exegetische Thätigkeit unmittelbar an
die künstlerische. Neben der deutschen metrischen Uebertragung steht gewöhnlich
der gereinigte Sanskrittcxt. das Ergebniß seiner productiv-l'ritischen Arbeit, selbst
eine Art von Kunstschöpfung, indem hier eine dem ursprüngliche» Dichter min¬
destens gewachsene poetische Kraft das Vor Alter Verfallene' wieder in dem
Jungbrunnen des wissenschaftlich geschulten Kunstgesühls belebt hat.

Aber mehr als dies alles ergriff ihn die Fülle und Tiefe der Ergebnisse,
welche sich durch das allmälige Bekanntwerden der Vedaliteratur herausstellten.
Von dem ersten dürftigen sxeeimoir Roseus bis zu den fast unübersehbaren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/168>, abgerufen am 04.07.2024.