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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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eindringend und liebevoll beachtet. Noch in den allerletzten Jahren beschäftigte
ihn eine metrische Nachbildung des Horaz, zwar nicht des ganzen Horaz oder
auch nur aller seiner lyrischen Erzeugnisse, aber doch einer ziemlich großen An¬
zahl derselben. Die Arbeit gehörte zu den Beschäftigungen, die er zur Erholung
von mühsameren und umfassenderen besonders gern auf seinem Lieblingsruhe¬
platz, auf dem Goldberge, vorzunehmen pflegte. Dort auf dem einsanken Tiscke.
der eine kleine Anzahl von Büchern aufbewahrte, die zu gleichem Zwecke be¬
stimmt waren, lag auch seine Handausgabe des Horaz. die bekannte leipziger
Duodezausqabe von 18S1, die Moritz Haupt besorgt hat. Das Exemplar.
ü>. 1852 bezeichnet, enthält, wie die meisten von ihm gebrauchten Bücher,
eine Menge von Randbemerkungen aller Art. In ihrer kaustischer Sckärfe
und in der schlagenden Kraft des epigrammatiscken Ausdrucks stehen diese Rand¬
noten neben dem gewöhnlichen Haufen ihrer Art ganz einzig da. Sie beziehen
sich meist auf das Technische und eigentlich Poetische der einzelnen Gedickte,
theilweise aber auch auf die Textesherstellung des Herausgebers, an welcker
dieser Leser nicht wenig auszusetzen hatte. Was von der eigentlichen Über¬
setzung sich vorgefunden hat. umfaßt etwa zwischen einem Drittel und der
Hälfte der lyrischen Gesammtmasse des Horaz. In der vorliegenden Form,
lose, mit Bleistift unendlich fein beschriebene Blätter, kann es nach der Gewohn¬
heit Rückerts. alles eigentlich fertig Abgeschlossene mit Tinte und äußerst sauber
selbst zu mundiren, noch nicht für abgeschlossen gelten. Einige dieser Blcistift-
blcitter müssen nach den Schriftzügen aus den letzten Monaten des vergangenen
Sommers stammen, wo er, trotz der Belästigungen seines körperlichen Uebels,
doch noch immer seine gewohnten Spaziergänge nach seinem Goldberg zu machen
pflegte. Uebrigens ist nach dem Inhalt der erwähnten Randnoten nicht zu
glauben, daß er gesonnen war, noch viel mehr als das Vorliegende zu über¬
setzen. Das Nichtübersetzte ist durch so markirte ästhetische Verdammungsurtheile
als werthlos bezeichnet, daß er sich wohl nicht aus bloßer äußerer Gewissen¬
haftigkeit entschlossen haben würde, auch nur eine Stunde seiner Geistesthätig¬
keit auf seine Reproduktion zu verwenden.

Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, daß sich die philologische Thätig¬
keit Rückerts in jenem tiefsten und umfassendsten Sinne schon von jeher auch
auf die Muttersprache richtete. Es genügte ihm das angeborene Sprackgefühl
und die vollendete Handhabung des unmittelbar lebendigen Sprachmaterials in
keiner Weise, wie sie wohl anderen großen Meistern des Wortes genügt hat.
Die vollkommene Identität seines künstlerischen und wissenschaftlichen Genius
trieb ihn zu dem eindringenden Studium der Geschichte unserer Sprache und
unserer poetischen Formen, wie es neben ihm und zum Theil durch das Ver¬
dienst von persönlich ihm verbundenen und befreundeten Männern, vor allem der
Gebrüder Grimm, Schmellers und Uhlcmds, zu einer reich ausgebildeten special-


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eindringend und liebevoll beachtet. Noch in den allerletzten Jahren beschäftigte
ihn eine metrische Nachbildung des Horaz, zwar nicht des ganzen Horaz oder
auch nur aller seiner lyrischen Erzeugnisse, aber doch einer ziemlich großen An¬
zahl derselben. Die Arbeit gehörte zu den Beschäftigungen, die er zur Erholung
von mühsameren und umfassenderen besonders gern auf seinem Lieblingsruhe¬
platz, auf dem Goldberge, vorzunehmen pflegte. Dort auf dem einsanken Tiscke.
der eine kleine Anzahl von Büchern aufbewahrte, die zu gleichem Zwecke be¬
stimmt waren, lag auch seine Handausgabe des Horaz. die bekannte leipziger
Duodezausqabe von 18S1, die Moritz Haupt besorgt hat. Das Exemplar.
ü>. 1852 bezeichnet, enthält, wie die meisten von ihm gebrauchten Bücher,
eine Menge von Randbemerkungen aller Art. In ihrer kaustischer Sckärfe
und in der schlagenden Kraft des epigrammatiscken Ausdrucks stehen diese Rand¬
noten neben dem gewöhnlichen Haufen ihrer Art ganz einzig da. Sie beziehen
sich meist auf das Technische und eigentlich Poetische der einzelnen Gedickte,
theilweise aber auch auf die Textesherstellung des Herausgebers, an welcker
dieser Leser nicht wenig auszusetzen hatte. Was von der eigentlichen Über¬
setzung sich vorgefunden hat. umfaßt etwa zwischen einem Drittel und der
Hälfte der lyrischen Gesammtmasse des Horaz. In der vorliegenden Form,
lose, mit Bleistift unendlich fein beschriebene Blätter, kann es nach der Gewohn¬
heit Rückerts. alles eigentlich fertig Abgeschlossene mit Tinte und äußerst sauber
selbst zu mundiren, noch nicht für abgeschlossen gelten. Einige dieser Blcistift-
blcitter müssen nach den Schriftzügen aus den letzten Monaten des vergangenen
Sommers stammen, wo er, trotz der Belästigungen seines körperlichen Uebels,
doch noch immer seine gewohnten Spaziergänge nach seinem Goldberg zu machen
pflegte. Uebrigens ist nach dem Inhalt der erwähnten Randnoten nicht zu
glauben, daß er gesonnen war, noch viel mehr als das Vorliegende zu über¬
setzen. Das Nichtübersetzte ist durch so markirte ästhetische Verdammungsurtheile
als werthlos bezeichnet, daß er sich wohl nicht aus bloßer äußerer Gewissen¬
haftigkeit entschlossen haben würde, auch nur eine Stunde seiner Geistesthätig¬
keit auf seine Reproduktion zu verwenden.

Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, daß sich die philologische Thätig¬
keit Rückerts in jenem tiefsten und umfassendsten Sinne schon von jeher auch
auf die Muttersprache richtete. Es genügte ihm das angeborene Sprackgefühl
und die vollendete Handhabung des unmittelbar lebendigen Sprachmaterials in
keiner Weise, wie sie wohl anderen großen Meistern des Wortes genügt hat.
Die vollkommene Identität seines künstlerischen und wissenschaftlichen Genius
trieb ihn zu dem eindringenden Studium der Geschichte unserer Sprache und
unserer poetischen Formen, wie es neben ihm und zum Theil durch das Ver¬
dienst von persönlich ihm verbundenen und befreundeten Männern, vor allem der
Gebrüder Grimm, Schmellers und Uhlcmds, zu einer reich ausgebildeten special-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/155>, abgerufen am 25.07.2024.