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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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so nennen will, abhängig blieben. Die Entfaltung der Wissenschaft der Sprache
knüpfte sich ja bekanntlich an das Studium der orientalischen Sprachen, be¬
sonders des Sanskrit. Jeder, der auch noch so selbständig seinem Genius
folgend seinen Weg nach demselben Ziele mit vielen Andern macht, wird doch
unwillkürlich von ihnen beeinflußt und in ihre Bahnen gezogen. Ist es eine
originelle Natur, so bleibt sie freilich nicht für immer darin, und jeder Schritt,
den sie auf gleichem Wege mit den Andern thut, ist ein Versuch, ihre eigene
Bahn zu finden und sich von der Masse wenigstens durch das Tempo ihres
Ganges zu emancipiren. So darf man Wohl auch beHäupten, daß Rückert
durch äußere und insofern zufällige Anregung auf das Feld der orientalischen
Studien gelockt wurde; Joseph von Hammer auf der einen Seite. Friedrich
Schlegel auf der andern waren seine ersten Führer, der Eine in die bis dahin
vorzugsweise orientalisch genannten Gebiete der arabischen und persischen Lite¬
ratur, der Andre in das wenigstens für Deutschland und somit in gewissem
Sinne für die Wissenschaft zuerst durch ihn nicht geöffnete aber mit brillantem
Funkengesprühe von Ferne her beleuchtete Gebiet der indischen Studien.

Friedrich Schlegel und Hammer sind beide jetzt antiquirt in den Augen
der Wissenschaft. Der Erste vielleicht mit Unrecht, weil er, auch wenn man das
strengwissenschaftliche oder vielmehr nach heutigem Begriffe nicht strengwissen¬
schaftliche in ihm abzieht, noch immer etwas übrig behält, was bleibenden
Werth hat und wäre es auch nur die oft wirklich vollendete Form der Dar¬
stellung. Dadurch wird den von ihm originell gefundenen Gedanken, die ihrer
Materie nach Natürlich Gemeingut geworden sind, für ewig ihre wahre Origi¬
nalität und zugleich ihre Lebensfähigkeit in gestalteter Form gesichert. Ueber
Hammer dagegen mag die moderne Wissenschaft einen Strich ziehen oder ihn
höchstens noch als einen ihrer untergeordneten Diener gelten lassen, die blos
dazu geeignet sind, die Massen des Rohmaterials heranzuschleppen und allen¬
falls auch für die primitivsten Zwecke der Arbeit härtlich zu machen. Aber
in seiner Zeit und für den Kreis der Bildung, in welchen auch Rückert gleich¬
sam hineingeboren war, muß auch seine Bedeutung sehr hoch angeschlagen
werden. Jedermann weiß, was Goethe für seinen westöstlichen Divan Hammer
nicht blos zu verdanken glaubte oder gar zu verdanken vorgab, sondern wirk¬
lich verdankte. Auf dem von ihm beherrschten oder wenigstens geschäftig be¬
gangenen Felde war er in Deutschland der Erste, der den Begriff des Studiums
der orientalischen Sprachen von seiner traditionellen Beschränkung entkleidete
und es gewissermaßen idealistrte. Bis dahin galt es entweder als eine curiose
Liebhaberei, zu deren Befriedigung viel Zeit und Geld, namentlich sehr theure
Bücher gehörten, oder als ein Mittel, um Dragoman bei der östreichischen Ge¬
sandtschaft in Konstantinopel zu werden, wie es Hammer selbst gewesen ist, oder
als ein Vehikel für die Erklärung des Alten Testamentes. Durch Hammer


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so nennen will, abhängig blieben. Die Entfaltung der Wissenschaft der Sprache
knüpfte sich ja bekanntlich an das Studium der orientalischen Sprachen, be¬
sonders des Sanskrit. Jeder, der auch noch so selbständig seinem Genius
folgend seinen Weg nach demselben Ziele mit vielen Andern macht, wird doch
unwillkürlich von ihnen beeinflußt und in ihre Bahnen gezogen. Ist es eine
originelle Natur, so bleibt sie freilich nicht für immer darin, und jeder Schritt,
den sie auf gleichem Wege mit den Andern thut, ist ein Versuch, ihre eigene
Bahn zu finden und sich von der Masse wenigstens durch das Tempo ihres
Ganges zu emancipiren. So darf man Wohl auch beHäupten, daß Rückert
durch äußere und insofern zufällige Anregung auf das Feld der orientalischen
Studien gelockt wurde; Joseph von Hammer auf der einen Seite. Friedrich
Schlegel auf der andern waren seine ersten Führer, der Eine in die bis dahin
vorzugsweise orientalisch genannten Gebiete der arabischen und persischen Lite¬
ratur, der Andre in das wenigstens für Deutschland und somit in gewissem
Sinne für die Wissenschaft zuerst durch ihn nicht geöffnete aber mit brillantem
Funkengesprühe von Ferne her beleuchtete Gebiet der indischen Studien.

Friedrich Schlegel und Hammer sind beide jetzt antiquirt in den Augen
der Wissenschaft. Der Erste vielleicht mit Unrecht, weil er, auch wenn man das
strengwissenschaftliche oder vielmehr nach heutigem Begriffe nicht strengwissen¬
schaftliche in ihm abzieht, noch immer etwas übrig behält, was bleibenden
Werth hat und wäre es auch nur die oft wirklich vollendete Form der Dar¬
stellung. Dadurch wird den von ihm originell gefundenen Gedanken, die ihrer
Materie nach Natürlich Gemeingut geworden sind, für ewig ihre wahre Origi¬
nalität und zugleich ihre Lebensfähigkeit in gestalteter Form gesichert. Ueber
Hammer dagegen mag die moderne Wissenschaft einen Strich ziehen oder ihn
höchstens noch als einen ihrer untergeordneten Diener gelten lassen, die blos
dazu geeignet sind, die Massen des Rohmaterials heranzuschleppen und allen¬
falls auch für die primitivsten Zwecke der Arbeit härtlich zu machen. Aber
in seiner Zeit und für den Kreis der Bildung, in welchen auch Rückert gleich¬
sam hineingeboren war, muß auch seine Bedeutung sehr hoch angeschlagen
werden. Jedermann weiß, was Goethe für seinen westöstlichen Divan Hammer
nicht blos zu verdanken glaubte oder gar zu verdanken vorgab, sondern wirk¬
lich verdankte. Auf dem von ihm beherrschten oder wenigstens geschäftig be¬
gangenen Felde war er in Deutschland der Erste, der den Begriff des Studiums
der orientalischen Sprachen von seiner traditionellen Beschränkung entkleidete
und es gewissermaßen idealistrte. Bis dahin galt es entweder als eine curiose
Liebhaberei, zu deren Befriedigung viel Zeit und Geld, namentlich sehr theure
Bücher gehörten, oder als ein Mittel, um Dragoman bei der östreichischen Ge¬
sandtschaft in Konstantinopel zu werden, wie es Hammer selbst gewesen ist, oder
als ein Vehikel für die Erklärung des Alten Testamentes. Durch Hammer


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[0147] so nennen will, abhängig blieben. Die Entfaltung der Wissenschaft der Sprache knüpfte sich ja bekanntlich an das Studium der orientalischen Sprachen, be¬ sonders des Sanskrit. Jeder, der auch noch so selbständig seinem Genius folgend seinen Weg nach demselben Ziele mit vielen Andern macht, wird doch unwillkürlich von ihnen beeinflußt und in ihre Bahnen gezogen. Ist es eine originelle Natur, so bleibt sie freilich nicht für immer darin, und jeder Schritt, den sie auf gleichem Wege mit den Andern thut, ist ein Versuch, ihre eigene Bahn zu finden und sich von der Masse wenigstens durch das Tempo ihres Ganges zu emancipiren. So darf man Wohl auch beHäupten, daß Rückert durch äußere und insofern zufällige Anregung auf das Feld der orientalischen Studien gelockt wurde; Joseph von Hammer auf der einen Seite. Friedrich Schlegel auf der andern waren seine ersten Führer, der Eine in die bis dahin vorzugsweise orientalisch genannten Gebiete der arabischen und persischen Lite¬ ratur, der Andre in das wenigstens für Deutschland und somit in gewissem Sinne für die Wissenschaft zuerst durch ihn nicht geöffnete aber mit brillantem Funkengesprühe von Ferne her beleuchtete Gebiet der indischen Studien. Friedrich Schlegel und Hammer sind beide jetzt antiquirt in den Augen der Wissenschaft. Der Erste vielleicht mit Unrecht, weil er, auch wenn man das strengwissenschaftliche oder vielmehr nach heutigem Begriffe nicht strengwissen¬ schaftliche in ihm abzieht, noch immer etwas übrig behält, was bleibenden Werth hat und wäre es auch nur die oft wirklich vollendete Form der Dar¬ stellung. Dadurch wird den von ihm originell gefundenen Gedanken, die ihrer Materie nach Natürlich Gemeingut geworden sind, für ewig ihre wahre Origi¬ nalität und zugleich ihre Lebensfähigkeit in gestalteter Form gesichert. Ueber Hammer dagegen mag die moderne Wissenschaft einen Strich ziehen oder ihn höchstens noch als einen ihrer untergeordneten Diener gelten lassen, die blos dazu geeignet sind, die Massen des Rohmaterials heranzuschleppen und allen¬ falls auch für die primitivsten Zwecke der Arbeit härtlich zu machen. Aber in seiner Zeit und für den Kreis der Bildung, in welchen auch Rückert gleich¬ sam hineingeboren war, muß auch seine Bedeutung sehr hoch angeschlagen werden. Jedermann weiß, was Goethe für seinen westöstlichen Divan Hammer nicht blos zu verdanken glaubte oder gar zu verdanken vorgab, sondern wirk¬ lich verdankte. Auf dem von ihm beherrschten oder wenigstens geschäftig be¬ gangenen Felde war er in Deutschland der Erste, der den Begriff des Studiums der orientalischen Sprachen von seiner traditionellen Beschränkung entkleidete und es gewissermaßen idealistrte. Bis dahin galt es entweder als eine curiose Liebhaberei, zu deren Befriedigung viel Zeit und Geld, namentlich sehr theure Bücher gehörten, oder als ein Mittel, um Dragoman bei der östreichischen Ge¬ sandtschaft in Konstantinopel zu werden, wie es Hammer selbst gewesen ist, oder als ein Vehikel für die Erklärung des Alten Testamentes. Durch Hammer 17*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/147>, abgerufen am 02.07.2024.