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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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F. Rückert als Gelehrter.

Wenn schon der Dichter Friedrich Rückert dem größeren Publikum unbe¬
kannter geblieben ist und setzen wir gleich hinzu, bleiben mußte als manche
andere Günstlinge der Zeit, so ist der Gelehrte Friedrich Rückert selbstverständ¬
lich noch weniger in das allgemeine Bewußtsein gedrungen. Es gehört ja mit
zu den Eigenthümlichkeiten unseres deutschen geistigen Lebens, daß es bei aller
seiner Breite und Tiefe einzelne seiner Hauptströmungen gleichsam durch un¬
durchdringliche Dämme von einander geschieden fortbewegt. Wir sehen hierin
keineswegs eine nothwendige Folge jener mit Recht gerühmten Eigenschaften,
sondern einen Mangel, der einen viel tieferen und gefährlicheren Grund hat,
als man gutmüthig und leichtsinnig genug gewöhnlich zu glauben geneigt war,
bis diese unsere unmittelbare Gegenwart die Wahrheit so verhängnisvoll zu
enthüllen begann. Denn ein gesunder nationaler Organismus hätte auch auf
dem geistigen Gebiete eine solche Jsolirung der Kräfte nicht geduldet, wie ja
ein Blick auf andere bessere Zeiten und durchgebildetere Völker zeigt. In
unserm speciellen Falle mochte man Wohl zur Entschuldigung oder Erklärung
anführen, daß das wissenschaftliche Feld, auf welchem sich die Thätigkeit des
Gelehrten Friedrich Rückert bewegte, ein allzu fern abliegendes sei. Denn wer,
außer einer ganz kleinen Anzahl von Fachgenossen, möge oder könne sich um-
die orientalistischen Studien bekümmern? Wenn nur diese Fachgenossen wußten,
was sie von ihm zu halten hatten, so schien damit dem Interesse der Wissen¬
schaft Genüge gethan. Daß umgekehrt auch sie wieder den Dichter mehr oder
minder ignorirten, war nur die natürliche Folge derselben Ursache, hat aber,
wie sich leicht nachweisen läßt, nicht wenig dazu beigetragen den Meister, der
sich in seiner Totalität so wenig begriffen fühlte, immer mehr nach außen ab¬
zuschließen, allerdings ohne seiner produktiven Potenz weder als Dichter noch
als Forscher Eintrag zu thun. Aber er behielt die Früchte beider Felder mehr
und mehr für sich, ohne irgendwie durch den Mangel an entgegenkommenden
Verständniß sich gekränkt oder auch nur gereizt zu fühlen, wie es so manchen
Andern mit geringeren Gaben und größeren Ansprüchen geschehen ist. Es be¬
dürfte für ihn nicht des warnenden Beispiels eines August Wilhelm von Schlegel,
der in ohnmächtiger Selbstgenügsamkeit schließlich zu einer komischen Figur
herabsank und natürlich auch in seinen Productionen, sowohl im Gebiete der
Poesie wie in dem der Wissenschaft weit hinter dem Ziele zurückblieb, und zwar
je länger desto mehr, das er nach seiner Ausstattung hätte erreichen müssen.
Friedrich Rückert folgte hier, wie überall, seinem eigenen Genius und dieser


Grenzboten IV. 18K6. 17
F. Rückert als Gelehrter.

Wenn schon der Dichter Friedrich Rückert dem größeren Publikum unbe¬
kannter geblieben ist und setzen wir gleich hinzu, bleiben mußte als manche
andere Günstlinge der Zeit, so ist der Gelehrte Friedrich Rückert selbstverständ¬
lich noch weniger in das allgemeine Bewußtsein gedrungen. Es gehört ja mit
zu den Eigenthümlichkeiten unseres deutschen geistigen Lebens, daß es bei aller
seiner Breite und Tiefe einzelne seiner Hauptströmungen gleichsam durch un¬
durchdringliche Dämme von einander geschieden fortbewegt. Wir sehen hierin
keineswegs eine nothwendige Folge jener mit Recht gerühmten Eigenschaften,
sondern einen Mangel, der einen viel tieferen und gefährlicheren Grund hat,
als man gutmüthig und leichtsinnig genug gewöhnlich zu glauben geneigt war,
bis diese unsere unmittelbare Gegenwart die Wahrheit so verhängnisvoll zu
enthüllen begann. Denn ein gesunder nationaler Organismus hätte auch auf
dem geistigen Gebiete eine solche Jsolirung der Kräfte nicht geduldet, wie ja
ein Blick auf andere bessere Zeiten und durchgebildetere Völker zeigt. In
unserm speciellen Falle mochte man Wohl zur Entschuldigung oder Erklärung
anführen, daß das wissenschaftliche Feld, auf welchem sich die Thätigkeit des
Gelehrten Friedrich Rückert bewegte, ein allzu fern abliegendes sei. Denn wer,
außer einer ganz kleinen Anzahl von Fachgenossen, möge oder könne sich um-
die orientalistischen Studien bekümmern? Wenn nur diese Fachgenossen wußten,
was sie von ihm zu halten hatten, so schien damit dem Interesse der Wissen¬
schaft Genüge gethan. Daß umgekehrt auch sie wieder den Dichter mehr oder
minder ignorirten, war nur die natürliche Folge derselben Ursache, hat aber,
wie sich leicht nachweisen läßt, nicht wenig dazu beigetragen den Meister, der
sich in seiner Totalität so wenig begriffen fühlte, immer mehr nach außen ab¬
zuschließen, allerdings ohne seiner produktiven Potenz weder als Dichter noch
als Forscher Eintrag zu thun. Aber er behielt die Früchte beider Felder mehr
und mehr für sich, ohne irgendwie durch den Mangel an entgegenkommenden
Verständniß sich gekränkt oder auch nur gereizt zu fühlen, wie es so manchen
Andern mit geringeren Gaben und größeren Ansprüchen geschehen ist. Es be¬
dürfte für ihn nicht des warnenden Beispiels eines August Wilhelm von Schlegel,
der in ohnmächtiger Selbstgenügsamkeit schließlich zu einer komischen Figur
herabsank und natürlich auch in seinen Productionen, sowohl im Gebiete der
Poesie wie in dem der Wissenschaft weit hinter dem Ziele zurückblieb, und zwar
je länger desto mehr, das er nach seiner Ausstattung hätte erreichen müssen.
Friedrich Rückert folgte hier, wie überall, seinem eigenen Genius und dieser


Grenzboten IV. 18K6. 17
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[0145] F. Rückert als Gelehrter. Wenn schon der Dichter Friedrich Rückert dem größeren Publikum unbe¬ kannter geblieben ist und setzen wir gleich hinzu, bleiben mußte als manche andere Günstlinge der Zeit, so ist der Gelehrte Friedrich Rückert selbstverständ¬ lich noch weniger in das allgemeine Bewußtsein gedrungen. Es gehört ja mit zu den Eigenthümlichkeiten unseres deutschen geistigen Lebens, daß es bei aller seiner Breite und Tiefe einzelne seiner Hauptströmungen gleichsam durch un¬ durchdringliche Dämme von einander geschieden fortbewegt. Wir sehen hierin keineswegs eine nothwendige Folge jener mit Recht gerühmten Eigenschaften, sondern einen Mangel, der einen viel tieferen und gefährlicheren Grund hat, als man gutmüthig und leichtsinnig genug gewöhnlich zu glauben geneigt war, bis diese unsere unmittelbare Gegenwart die Wahrheit so verhängnisvoll zu enthüllen begann. Denn ein gesunder nationaler Organismus hätte auch auf dem geistigen Gebiete eine solche Jsolirung der Kräfte nicht geduldet, wie ja ein Blick auf andere bessere Zeiten und durchgebildetere Völker zeigt. In unserm speciellen Falle mochte man Wohl zur Entschuldigung oder Erklärung anführen, daß das wissenschaftliche Feld, auf welchem sich die Thätigkeit des Gelehrten Friedrich Rückert bewegte, ein allzu fern abliegendes sei. Denn wer, außer einer ganz kleinen Anzahl von Fachgenossen, möge oder könne sich um- die orientalistischen Studien bekümmern? Wenn nur diese Fachgenossen wußten, was sie von ihm zu halten hatten, so schien damit dem Interesse der Wissen¬ schaft Genüge gethan. Daß umgekehrt auch sie wieder den Dichter mehr oder minder ignorirten, war nur die natürliche Folge derselben Ursache, hat aber, wie sich leicht nachweisen läßt, nicht wenig dazu beigetragen den Meister, der sich in seiner Totalität so wenig begriffen fühlte, immer mehr nach außen ab¬ zuschließen, allerdings ohne seiner produktiven Potenz weder als Dichter noch als Forscher Eintrag zu thun. Aber er behielt die Früchte beider Felder mehr und mehr für sich, ohne irgendwie durch den Mangel an entgegenkommenden Verständniß sich gekränkt oder auch nur gereizt zu fühlen, wie es so manchen Andern mit geringeren Gaben und größeren Ansprüchen geschehen ist. Es be¬ dürfte für ihn nicht des warnenden Beispiels eines August Wilhelm von Schlegel, der in ohnmächtiger Selbstgenügsamkeit schließlich zu einer komischen Figur herabsank und natürlich auch in seinen Productionen, sowohl im Gebiete der Poesie wie in dem der Wissenschaft weit hinter dem Ziele zurückblieb, und zwar je länger desto mehr, das er nach seiner Ausstattung hätte erreichen müssen. Friedrich Rückert folgte hier, wie überall, seinem eigenen Genius und dieser Grenzboten IV. 18K6. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/145>, abgerufen am 02.07.2024.