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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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so sehr im Unrecht sind, wie die Berichterstatter meinen, wäre nicht ganz schwer
zu beweisen; doch unterliegt es keinem Zweifel, daß sie eben keinen hohen Stand¬
punkt einnehmen, und daß das altmorgenländische Wesen mit seinem Hängen
an Aeußerlichkeiten -- hier dreht sich der Streit namentlich um das Fasten --
für Naturen, die ein wahrhaft religiöses Bedürfniß empfinden, keinen Vergleich
aushalten kann mit dem Christenthum der Amerikaner und ihrer Zöglinge trotz
seiner unläugbaren Schwächen.

Großer Erfolge können sich unsre Erzähler freilich nicht rühmen, obgleich
sie ihre Aufgabe allem Anschein nach in Anbetracht der Landes- und sonstigen
Verhältnisse recht geschickt angreifen. Ohne Zweifel haben einheimische Geist¬
liche, die ausdrücklich die höchsten Autoritäten der alten Kirche anerkennen und
sich leicht bis zu einem gewissen Grade den Anschauungen ihrer Zuhörer accom-
modiren, bessere Aussichten des Gelingens, als ganz fremde Misstonäre.

Die Sprache, in welcher unsere Missionäre mit den Bewohnern der West-
lichen Gegenden verkehrten, war wohl hauptsächlich die diesseits und jenseits der
kurdischen Berge allgemein verbreitete türkische. Zwar ist die eigentliche Mutter¬
sprache aller dieser Nestorianer ein syrischer Dialekt, aber nach bestimmten An¬
gaben in der genannten Zeitschrift ist das Syrische in Botan so verschieden von
dem in Arenia, daß ein gegenseitiges Verständniß in der Muttersprache nicht
möglich ist. Mit etwas gelehrteren Geistlichen konnte man in der altsyrischen
Schriftsprache verkehren.

Die Reise durch wilde Gebirge und von Räubern arg heimgesuchte Gegenden
war natürlich nicht ohne Gefahr; doch scheint die Furchtsamkeit der Bericht¬
erstatter noch größer gewesen zu sein als diese. Nur die Nestorianer der innern
Hochgebirge hegen eben einen tapfern, selbstbewußten Geist, während die in den
Ebenen unter persischem oder türkischem Druck seit langer Zeit niedergebeugten
ganz den demüthigen, ängstlichen Sinn der Rajas zeigen.

Der Beliebt ist jedenfalls nach und nach geschrieben. Am deutlichsten erhellt
dies aus der Stelle, nach der die Briefe aus Mosul noch nicht angekommen
sind, während nachher deren Ankunft und noch bedeutend spätere Ereignisse
erzählt werden. Ob der Bericht blos von einem der Beiden (Murad Chan)
abgefaßt ist, oder ob sein Gefährte auch Theil daran hat. ist nicht zu sehen.

Das Geographische anlangend, so wird sich der Leser nach den Haupt¬
punkten leicht im Allgemeinen orientiren. Die Reise geht von Arenia am Ufer
des danach benannten Sees im westlichen Aserbaidschan (Nordmedien) mitten
ins Kurdengebirge hinein nach Kutschanis, dem Sitz des Patriarchen der Ne¬
storianer, und von hier über Dschulamerg, den Hauptort dieser Gegend, zunächst
am Ufer des wilden Bergstroms Zab her über Amedia und Alkosch nach Mosul,
gegenüber dem alten Ninive; von hier aus geht es nördlich nach Gezira
(Dscheziret Ihr Omar) im Tigris und weiter in das nahgelegne höhere Land.


so sehr im Unrecht sind, wie die Berichterstatter meinen, wäre nicht ganz schwer
zu beweisen; doch unterliegt es keinem Zweifel, daß sie eben keinen hohen Stand¬
punkt einnehmen, und daß das altmorgenländische Wesen mit seinem Hängen
an Aeußerlichkeiten — hier dreht sich der Streit namentlich um das Fasten —
für Naturen, die ein wahrhaft religiöses Bedürfniß empfinden, keinen Vergleich
aushalten kann mit dem Christenthum der Amerikaner und ihrer Zöglinge trotz
seiner unläugbaren Schwächen.

Großer Erfolge können sich unsre Erzähler freilich nicht rühmen, obgleich
sie ihre Aufgabe allem Anschein nach in Anbetracht der Landes- und sonstigen
Verhältnisse recht geschickt angreifen. Ohne Zweifel haben einheimische Geist¬
liche, die ausdrücklich die höchsten Autoritäten der alten Kirche anerkennen und
sich leicht bis zu einem gewissen Grade den Anschauungen ihrer Zuhörer accom-
modiren, bessere Aussichten des Gelingens, als ganz fremde Misstonäre.

Die Sprache, in welcher unsere Missionäre mit den Bewohnern der West-
lichen Gegenden verkehrten, war wohl hauptsächlich die diesseits und jenseits der
kurdischen Berge allgemein verbreitete türkische. Zwar ist die eigentliche Mutter¬
sprache aller dieser Nestorianer ein syrischer Dialekt, aber nach bestimmten An¬
gaben in der genannten Zeitschrift ist das Syrische in Botan so verschieden von
dem in Arenia, daß ein gegenseitiges Verständniß in der Muttersprache nicht
möglich ist. Mit etwas gelehrteren Geistlichen konnte man in der altsyrischen
Schriftsprache verkehren.

Die Reise durch wilde Gebirge und von Räubern arg heimgesuchte Gegenden
war natürlich nicht ohne Gefahr; doch scheint die Furchtsamkeit der Bericht¬
erstatter noch größer gewesen zu sein als diese. Nur die Nestorianer der innern
Hochgebirge hegen eben einen tapfern, selbstbewußten Geist, während die in den
Ebenen unter persischem oder türkischem Druck seit langer Zeit niedergebeugten
ganz den demüthigen, ängstlichen Sinn der Rajas zeigen.

Der Beliebt ist jedenfalls nach und nach geschrieben. Am deutlichsten erhellt
dies aus der Stelle, nach der die Briefe aus Mosul noch nicht angekommen
sind, während nachher deren Ankunft und noch bedeutend spätere Ereignisse
erzählt werden. Ob der Bericht blos von einem der Beiden (Murad Chan)
abgefaßt ist, oder ob sein Gefährte auch Theil daran hat. ist nicht zu sehen.

Das Geographische anlangend, so wird sich der Leser nach den Haupt¬
punkten leicht im Allgemeinen orientiren. Die Reise geht von Arenia am Ufer
des danach benannten Sees im westlichen Aserbaidschan (Nordmedien) mitten
ins Kurdengebirge hinein nach Kutschanis, dem Sitz des Patriarchen der Ne¬
storianer, und von hier über Dschulamerg, den Hauptort dieser Gegend, zunächst
am Ufer des wilden Bergstroms Zab her über Amedia und Alkosch nach Mosul,
gegenüber dem alten Ninive; von hier aus geht es nördlich nach Gezira
(Dscheziret Ihr Omar) im Tigris und weiter in das nahgelegne höhere Land.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/128>, abgerufen am 02.07.2024.