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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Die wissenschaftliche Erforschung der umgebenden Natur hat sich ein meist
aus Lehrern und Aerzten bestehender besonderer Verein zur Aufgabe gemacht,
dessen kundigstes Mitglied. Professor Fuhlrott, den Gelehrten durch seine Ent¬
deckung eines interessanten Urmenschengerippes im Neanderthcil bekannt ist. Das
Neandcrthal, mit einem bedeutenden Marmordruch, gehört zu den Sehenswür¬
digkeiten der elberfelder und düsseldorfer Umgegend. Besondere Seiten der Natur¬
wissenschaft Pflegen, aber freilich auf praktische Zwecke gerichtet, der Landwirth¬
schafts- und der Thierschlchvercin. Das allgemeinste Bildungsziel hat sich der
schon 1832 entstandene Wissenschaftliche Verein gesteckt. Seine Mitglieder tragen
einander in den Zusammenkünften selbstverfertigte Aufsätze über beliebige wissen¬
schaftliche Stoffe und Fragen vor. In einem Kreise jüngerer Kaufleute und
Fabrikherren, der die meisten Träger des Fortschritts in Elberfeld einschließt,
werden minder bekannte Literaturstücke abwechselnd vorgelesen. Diese Bestrebungen
sind aber eher ein Sinken als ein Aufsteigen. Ihnen thut, nicht zum Nachtheil
der Gesammtheit, die Wirksamkeit für öffentliche Bildungszwecke Abbruch, welche
seit vorigem Winter in beiden Städten festen Boden gewonnen hat. Der
Allgemeine Bildungsverein in Elberfeld, der Allgemeine Bürgerverein in Bar¬
mer sind schon erwähnt worden. Sie sind vermöge der eigenthümlichen Be¬
schaffenheit des Wupperthals von ungleich umfassenderer Wichtigkeit als ihres¬
gleichen irgendwo anders: Hauptquartier und Lager der activen liberalen Partei,
eine bequeme Stätte zur Zusammenführung der beinahe nirgends gleich schroff
geschiedenen gesellschaftlichen Stände, ein mächtiger Hebel, um jene allgemeine
Aufklärung über Weltbund Menschen auszubreiten, der die einseitige Predigt
der Kirche es hier so ausnehmend schwer macht, Wurzeln zu schagen. Dazu
hat dann die verständige Initiative des Oberbürgermeisters Brett in Barmer
einen Cyklus wissenschaftlicher Vorlesungen gefügt, die ebenfalls alle Winter,
und womöglich abwechselnd in beiden Städten, wiederholt werden sollen. Es
gab dergleichen Vorlesungen schon länger; die Lehrer der höheren Unterrichts¬
anstalten hatten sich zu Gunsten ihrer Witwenkasse oder ähnlicher milder Zwecke
dafür verbunden. Indessen klebte diesen Cyklen etwas Conventionell-Pcdantisches
an. Die Vorträge flössen nicht unmittelbar genug aus einer unbeschränkt sich
geltendmachenden begabten Individualität hervor; das Publikum schien sich mehr
aus Wohlwollen oder Rücksicht, als aus freier Neigung versammelt zu haben.
Es war damit ähnlich, wie mit dem Bergischen Geschicktsverein, der unter 'der
Leitung des Gymnasialdirectors Bouterwek auch mehr antiquarische Minutien
als echtes Gcschichtsstudium treibt. Die wissenschaftlichen Vorlesungen von Mit¬
gliedern der donner Universität, welche im vorigen Winter in Barmer begonnen
haben, nahmen einen höheren Flug. Zumal zwei Vorträge Springers über die
Renaissancekunst ließen Wohl manchem Hörer ein neues Licht aufgehen über den
Genuß, den solche unterhaltende Belehrungen gewähren können. Man wird in


Die wissenschaftliche Erforschung der umgebenden Natur hat sich ein meist
aus Lehrern und Aerzten bestehender besonderer Verein zur Aufgabe gemacht,
dessen kundigstes Mitglied. Professor Fuhlrott, den Gelehrten durch seine Ent¬
deckung eines interessanten Urmenschengerippes im Neanderthcil bekannt ist. Das
Neandcrthal, mit einem bedeutenden Marmordruch, gehört zu den Sehenswür¬
digkeiten der elberfelder und düsseldorfer Umgegend. Besondere Seiten der Natur¬
wissenschaft Pflegen, aber freilich auf praktische Zwecke gerichtet, der Landwirth¬
schafts- und der Thierschlchvercin. Das allgemeinste Bildungsziel hat sich der
schon 1832 entstandene Wissenschaftliche Verein gesteckt. Seine Mitglieder tragen
einander in den Zusammenkünften selbstverfertigte Aufsätze über beliebige wissen¬
schaftliche Stoffe und Fragen vor. In einem Kreise jüngerer Kaufleute und
Fabrikherren, der die meisten Träger des Fortschritts in Elberfeld einschließt,
werden minder bekannte Literaturstücke abwechselnd vorgelesen. Diese Bestrebungen
sind aber eher ein Sinken als ein Aufsteigen. Ihnen thut, nicht zum Nachtheil
der Gesammtheit, die Wirksamkeit für öffentliche Bildungszwecke Abbruch, welche
seit vorigem Winter in beiden Städten festen Boden gewonnen hat. Der
Allgemeine Bildungsverein in Elberfeld, der Allgemeine Bürgerverein in Bar¬
mer sind schon erwähnt worden. Sie sind vermöge der eigenthümlichen Be¬
schaffenheit des Wupperthals von ungleich umfassenderer Wichtigkeit als ihres¬
gleichen irgendwo anders: Hauptquartier und Lager der activen liberalen Partei,
eine bequeme Stätte zur Zusammenführung der beinahe nirgends gleich schroff
geschiedenen gesellschaftlichen Stände, ein mächtiger Hebel, um jene allgemeine
Aufklärung über Weltbund Menschen auszubreiten, der die einseitige Predigt
der Kirche es hier so ausnehmend schwer macht, Wurzeln zu schagen. Dazu
hat dann die verständige Initiative des Oberbürgermeisters Brett in Barmer
einen Cyklus wissenschaftlicher Vorlesungen gefügt, die ebenfalls alle Winter,
und womöglich abwechselnd in beiden Städten, wiederholt werden sollen. Es
gab dergleichen Vorlesungen schon länger; die Lehrer der höheren Unterrichts¬
anstalten hatten sich zu Gunsten ihrer Witwenkasse oder ähnlicher milder Zwecke
dafür verbunden. Indessen klebte diesen Cyklen etwas Conventionell-Pcdantisches
an. Die Vorträge flössen nicht unmittelbar genug aus einer unbeschränkt sich
geltendmachenden begabten Individualität hervor; das Publikum schien sich mehr
aus Wohlwollen oder Rücksicht, als aus freier Neigung versammelt zu haben.
Es war damit ähnlich, wie mit dem Bergischen Geschicktsverein, der unter 'der
Leitung des Gymnasialdirectors Bouterwek auch mehr antiquarische Minutien
als echtes Gcschichtsstudium treibt. Die wissenschaftlichen Vorlesungen von Mit¬
gliedern der donner Universität, welche im vorigen Winter in Barmer begonnen
haben, nahmen einen höheren Flug. Zumal zwei Vorträge Springers über die
Renaissancekunst ließen Wohl manchem Hörer ein neues Licht aufgehen über den
Genuß, den solche unterhaltende Belehrungen gewähren können. Man wird in


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[0114] Die wissenschaftliche Erforschung der umgebenden Natur hat sich ein meist aus Lehrern und Aerzten bestehender besonderer Verein zur Aufgabe gemacht, dessen kundigstes Mitglied. Professor Fuhlrott, den Gelehrten durch seine Ent¬ deckung eines interessanten Urmenschengerippes im Neanderthcil bekannt ist. Das Neandcrthal, mit einem bedeutenden Marmordruch, gehört zu den Sehenswür¬ digkeiten der elberfelder und düsseldorfer Umgegend. Besondere Seiten der Natur¬ wissenschaft Pflegen, aber freilich auf praktische Zwecke gerichtet, der Landwirth¬ schafts- und der Thierschlchvercin. Das allgemeinste Bildungsziel hat sich der schon 1832 entstandene Wissenschaftliche Verein gesteckt. Seine Mitglieder tragen einander in den Zusammenkünften selbstverfertigte Aufsätze über beliebige wissen¬ schaftliche Stoffe und Fragen vor. In einem Kreise jüngerer Kaufleute und Fabrikherren, der die meisten Träger des Fortschritts in Elberfeld einschließt, werden minder bekannte Literaturstücke abwechselnd vorgelesen. Diese Bestrebungen sind aber eher ein Sinken als ein Aufsteigen. Ihnen thut, nicht zum Nachtheil der Gesammtheit, die Wirksamkeit für öffentliche Bildungszwecke Abbruch, welche seit vorigem Winter in beiden Städten festen Boden gewonnen hat. Der Allgemeine Bildungsverein in Elberfeld, der Allgemeine Bürgerverein in Bar¬ mer sind schon erwähnt worden. Sie sind vermöge der eigenthümlichen Be¬ schaffenheit des Wupperthals von ungleich umfassenderer Wichtigkeit als ihres¬ gleichen irgendwo anders: Hauptquartier und Lager der activen liberalen Partei, eine bequeme Stätte zur Zusammenführung der beinahe nirgends gleich schroff geschiedenen gesellschaftlichen Stände, ein mächtiger Hebel, um jene allgemeine Aufklärung über Weltbund Menschen auszubreiten, der die einseitige Predigt der Kirche es hier so ausnehmend schwer macht, Wurzeln zu schagen. Dazu hat dann die verständige Initiative des Oberbürgermeisters Brett in Barmer einen Cyklus wissenschaftlicher Vorlesungen gefügt, die ebenfalls alle Winter, und womöglich abwechselnd in beiden Städten, wiederholt werden sollen. Es gab dergleichen Vorlesungen schon länger; die Lehrer der höheren Unterrichts¬ anstalten hatten sich zu Gunsten ihrer Witwenkasse oder ähnlicher milder Zwecke dafür verbunden. Indessen klebte diesen Cyklen etwas Conventionell-Pcdantisches an. Die Vorträge flössen nicht unmittelbar genug aus einer unbeschränkt sich geltendmachenden begabten Individualität hervor; das Publikum schien sich mehr aus Wohlwollen oder Rücksicht, als aus freier Neigung versammelt zu haben. Es war damit ähnlich, wie mit dem Bergischen Geschicktsverein, der unter 'der Leitung des Gymnasialdirectors Bouterwek auch mehr antiquarische Minutien als echtes Gcschichtsstudium treibt. Die wissenschaftlichen Vorlesungen von Mit¬ gliedern der donner Universität, welche im vorigen Winter in Barmer begonnen haben, nahmen einen höheren Flug. Zumal zwei Vorträge Springers über die Renaissancekunst ließen Wohl manchem Hörer ein neues Licht aufgehen über den Genuß, den solche unterhaltende Belehrungen gewähren können. Man wird in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/114>, abgerufen am 02.07.2024.