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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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splitterung in der ordinärsten Spekulation. Das Sommertheater leidet an den
gewöhnlichen groben Gebrechen seiner Gattung, erfüllt aber doch wenigstens
den socialen Beruf, gewisse Gesellschaftsclassen von schlimmeren Zerstreuungen
und Genüssen zurückzuhalten; das Wintertheater fehlt Barmer ganz, und ist
in Elberfeld so beschaffen, daß seine Anziehungskraft nicht einmal bis ans
düsseldorfer Ende der Stadt reicht, geschweige denn aus die anderthalbstündige
Erstreckung der Nachbarstadt Barmer hin. Wo ist da die Erinnerung geblieben,
daß einst Immermann mit der von ihm geschulten Truppe aus Düsseldorf
herüberkam und Gastvorstellungen gab? Und doch liegt in dieser Erinnerung die
Idee aus der sich eine bessere Zukunft gestalten könnte. Düsseldorf, Elberfeld und
Barmer, d. h. 200,000 Menschen auf eine Eisenbahnstrecke von anderthalb Stunden
Länge vertheilt, sollten sich -- ohne natürlich den Sommerbühnen ihr ganz anders
gemeintes Handwerk zu legen -- mit einer einzigen Gesellschaft von darstellen¬
den Künstlern begnügen, aber dafür von Künstlern. Wenn diese abwechselnd
in zwei oder drei würdig eingerichteten Musentempeln aufträten, so bekäme jede
locale Partei des Ganzen sür ihr ästhetisches und sociales Bedürfniß genug.
Coulissenschwärmer könnten leicht auch ein ununterbrochenes Vergnügen haben,
und die Spieler brauchten ihre Kraft nicht zu verzetteln, sondern könnten sie
durch ein hinlängliches Maß von Wiederholungen zusammenhalten. Wenn
irgendwo der oft aufgetauchte Gedanke von Bühnenverbänden zwischen Nachbar-
städten zum Zwecke einer durchgreifenden Hebung ihres Theaterwcsens ausführbar,
ja des glänzendsten Erfolges sicher erscheint, so ist es aus diesem Flecke des
Vaterlandes.

Wie um die theatralischen, so steht es auch um die poetischen Bestrebungen
im Wupperthale. Sie haben mehr sociale Bedeutung als ästhetische. Freiligrath
und Hackländer haben beide hier einst an Comptoirpulten gestanden, aber beide
nicht hier ihren literarischen Ruf erlangt. Von ihren dichtenden Zeitgenossen
oder Nachfolgern, den Adolph Schnees. Emil Rittershaus. Karl Steller, Karl
Sichel und anderen als einer eigenthümlichen wuppe^thaler Schule zu sprechen,
wie mitunter wohl geschieht, hieße dem Begriffe Gewalt anthun. Diese Männer,
durchweg Kaufleute, bedienen sich des Pegasus wie die prosaischen Naturen des
Standes eines gewöhnlichen Reitpferds: um sich vom Comptoirstaube zu erholen
und den inneren Menschen in der wünschenswerthen Bewegung zu erhalten. Liegt
in ihrer poetischen Praxis ein höherer Sinn, so ist es allenfalls der eines that¬
sächlichen Protestes gegen die Alleinherrschaft des religiösen Idealismus. Die
Frischeren und Tüchtigeren unter ihnen haben sich neuerdings den Katechismus
des Heißsporn zu Herzen genommen, den Gervinus schon vor zwanzig Jahren
einer rein literarischen und philosophischen Generation predigte, und sind vom
Gesänge zur That fortgeschritten, indem sie theils an politischer Parteithätigkeit,
theils an den beiden allgemeinen Biidungsvereinen des Wupperthals eifrigen


splitterung in der ordinärsten Spekulation. Das Sommertheater leidet an den
gewöhnlichen groben Gebrechen seiner Gattung, erfüllt aber doch wenigstens
den socialen Beruf, gewisse Gesellschaftsclassen von schlimmeren Zerstreuungen
und Genüssen zurückzuhalten; das Wintertheater fehlt Barmer ganz, und ist
in Elberfeld so beschaffen, daß seine Anziehungskraft nicht einmal bis ans
düsseldorfer Ende der Stadt reicht, geschweige denn aus die anderthalbstündige
Erstreckung der Nachbarstadt Barmer hin. Wo ist da die Erinnerung geblieben,
daß einst Immermann mit der von ihm geschulten Truppe aus Düsseldorf
herüberkam und Gastvorstellungen gab? Und doch liegt in dieser Erinnerung die
Idee aus der sich eine bessere Zukunft gestalten könnte. Düsseldorf, Elberfeld und
Barmer, d. h. 200,000 Menschen auf eine Eisenbahnstrecke von anderthalb Stunden
Länge vertheilt, sollten sich — ohne natürlich den Sommerbühnen ihr ganz anders
gemeintes Handwerk zu legen — mit einer einzigen Gesellschaft von darstellen¬
den Künstlern begnügen, aber dafür von Künstlern. Wenn diese abwechselnd
in zwei oder drei würdig eingerichteten Musentempeln aufträten, so bekäme jede
locale Partei des Ganzen sür ihr ästhetisches und sociales Bedürfniß genug.
Coulissenschwärmer könnten leicht auch ein ununterbrochenes Vergnügen haben,
und die Spieler brauchten ihre Kraft nicht zu verzetteln, sondern könnten sie
durch ein hinlängliches Maß von Wiederholungen zusammenhalten. Wenn
irgendwo der oft aufgetauchte Gedanke von Bühnenverbänden zwischen Nachbar-
städten zum Zwecke einer durchgreifenden Hebung ihres Theaterwcsens ausführbar,
ja des glänzendsten Erfolges sicher erscheint, so ist es aus diesem Flecke des
Vaterlandes.

Wie um die theatralischen, so steht es auch um die poetischen Bestrebungen
im Wupperthale. Sie haben mehr sociale Bedeutung als ästhetische. Freiligrath
und Hackländer haben beide hier einst an Comptoirpulten gestanden, aber beide
nicht hier ihren literarischen Ruf erlangt. Von ihren dichtenden Zeitgenossen
oder Nachfolgern, den Adolph Schnees. Emil Rittershaus. Karl Steller, Karl
Sichel und anderen als einer eigenthümlichen wuppe^thaler Schule zu sprechen,
wie mitunter wohl geschieht, hieße dem Begriffe Gewalt anthun. Diese Männer,
durchweg Kaufleute, bedienen sich des Pegasus wie die prosaischen Naturen des
Standes eines gewöhnlichen Reitpferds: um sich vom Comptoirstaube zu erholen
und den inneren Menschen in der wünschenswerthen Bewegung zu erhalten. Liegt
in ihrer poetischen Praxis ein höherer Sinn, so ist es allenfalls der eines that¬
sächlichen Protestes gegen die Alleinherrschaft des religiösen Idealismus. Die
Frischeren und Tüchtigeren unter ihnen haben sich neuerdings den Katechismus
des Heißsporn zu Herzen genommen, den Gervinus schon vor zwanzig Jahren
einer rein literarischen und philosophischen Generation predigte, und sind vom
Gesänge zur That fortgeschritten, indem sie theils an politischer Parteithätigkeit,
theils an den beiden allgemeinen Biidungsvereinen des Wupperthals eifrigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/112>, abgerufen am 02.07.2024.