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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Folgen und zum Theil vor der Erkenntniß der Naturgesetze des Verkehrs. Nur
war man hier nicht stark oder Vorurtheilslos genug, wie Luther, es offen ein¬
zugestehen und offen das Irrige zu mäßigen. Vielmehr schloß man sich an die
vielfach gewundenen Ausnahmen des kanonischen Rechtes selbst an, und ge¬
stattete, wie dieses, Zinsen bei Zahlungsverzuge des Schuldners, ferner für
Gefahr, Schaden, entzogenen Gewinn des Gläubigers, dann beim Nentenver-
kaufe, beim Gesellschaftsverträge, bei Pupillcncapilalien, für kirchliche Zwecke.
Man führte also direct und indirect, offen und verdeckt die Zinsen wieder ein,
wo man sie eben mit strengem Verbote ausgeschlossen hatte. Die Briefe dieser
Reformatoren zweiten Ranges zeigen, wie unklar, schwankend man in det heik-
ligen Frage dastand, die in ihrer Wichtigkeit doch immer wieder Entscheidung
forderte und grade von diesen christlichen Männern. Sie gestehen zuweilen ihre
mangelnde Einsicht gradezu ein, sie bitten um Melanchthons Rath, sie verzwei¬
feln "n der Möglichkeit, die wirthschaftlichen Grundsätze durch ein weltliches,
ein für alle Male einschneidendes Gesetz zu regeln. Dann verlockt sie doch
wieder das kanonische Recht mit seiner scheinbaren, scholastischen Folgerichtigkeit
und sie fangen sich in dem Wust seiner Principien und verschlungenen Aus-
nahmen. Von diesem Standpunkte aus spotten sie da auf Luthers Inkonse¬
quenz, der doch den Wucher Verbiete, ein "Wuchcrlein" aber gestatte, und sie
ahnen gar nicht, daß grade hierin die Lösung der Frage lag. Ein Gesetz war
eben nachhaltig nicht aufzustellen, man mußte dem Verkehre die Regelung
überlassen.

Dies erkannte klar unter den Reformatoren allein Calvin. Durch seine
scharfe Erkenntniß der wirthschaftlichen Grundbedingungen ragt dieser seltene
Mann nicht weniger wie durch so viele andere und bekanntere Eigenschaften
seines Geistes und Charakters über seine Zeitgenossen hoch empor. In einem
Briefe an Oekolampadius bestreite er, daß die Bibel Zinsen untersage. Die
Juden hätten leicht zinslos leben können, unsere Lage sei völlig anders. So¬
mit verbiete die Bibel uns die Zinsen nur, soweit sie der Billigkeit und Liebe
widerstritten. Die Lehre von der Unfruchtbarkeit des Geldes sei grundlos. Er
erweist sodann die Productivität des Capitals, die eigentliche Grundlage der
Zinsen. Keinem sei zu verdenken, wenn er sein Geld am gewinnreichsten an¬
lege, z. B. lieber im Handel als auf Grundstücken. Und aus dem Gewinn,
den das Capital bringe, entsprossen die Zinsen, nicht aus dem Capitale selbst.
Nicht blos Darbenden leihe man dar, sondern sehr oft auch Reichen, Unter¬
nehmungslustigen. Warum solle man von deren Gewinn aus fremden Geldern
nicht den Zins seines eigenen Capitales ziehn? Warum verwerfe man den
Zins des einfachen Darlehns als wunderlich, den des Rentenkaufcs nicht? Ver¬
werflich sei nur das geschäftsmäßige stete Ausnutzen fremder Noth durch sein


Folgen und zum Theil vor der Erkenntniß der Naturgesetze des Verkehrs. Nur
war man hier nicht stark oder Vorurtheilslos genug, wie Luther, es offen ein¬
zugestehen und offen das Irrige zu mäßigen. Vielmehr schloß man sich an die
vielfach gewundenen Ausnahmen des kanonischen Rechtes selbst an, und ge¬
stattete, wie dieses, Zinsen bei Zahlungsverzuge des Schuldners, ferner für
Gefahr, Schaden, entzogenen Gewinn des Gläubigers, dann beim Nentenver-
kaufe, beim Gesellschaftsverträge, bei Pupillcncapilalien, für kirchliche Zwecke.
Man führte also direct und indirect, offen und verdeckt die Zinsen wieder ein,
wo man sie eben mit strengem Verbote ausgeschlossen hatte. Die Briefe dieser
Reformatoren zweiten Ranges zeigen, wie unklar, schwankend man in det heik-
ligen Frage dastand, die in ihrer Wichtigkeit doch immer wieder Entscheidung
forderte und grade von diesen christlichen Männern. Sie gestehen zuweilen ihre
mangelnde Einsicht gradezu ein, sie bitten um Melanchthons Rath, sie verzwei¬
feln «n der Möglichkeit, die wirthschaftlichen Grundsätze durch ein weltliches,
ein für alle Male einschneidendes Gesetz zu regeln. Dann verlockt sie doch
wieder das kanonische Recht mit seiner scheinbaren, scholastischen Folgerichtigkeit
und sie fangen sich in dem Wust seiner Principien und verschlungenen Aus-
nahmen. Von diesem Standpunkte aus spotten sie da auf Luthers Inkonse¬
quenz, der doch den Wucher Verbiete, ein „Wuchcrlein" aber gestatte, und sie
ahnen gar nicht, daß grade hierin die Lösung der Frage lag. Ein Gesetz war
eben nachhaltig nicht aufzustellen, man mußte dem Verkehre die Regelung
überlassen.

Dies erkannte klar unter den Reformatoren allein Calvin. Durch seine
scharfe Erkenntniß der wirthschaftlichen Grundbedingungen ragt dieser seltene
Mann nicht weniger wie durch so viele andere und bekanntere Eigenschaften
seines Geistes und Charakters über seine Zeitgenossen hoch empor. In einem
Briefe an Oekolampadius bestreite er, daß die Bibel Zinsen untersage. Die
Juden hätten leicht zinslos leben können, unsere Lage sei völlig anders. So¬
mit verbiete die Bibel uns die Zinsen nur, soweit sie der Billigkeit und Liebe
widerstritten. Die Lehre von der Unfruchtbarkeit des Geldes sei grundlos. Er
erweist sodann die Productivität des Capitals, die eigentliche Grundlage der
Zinsen. Keinem sei zu verdenken, wenn er sein Geld am gewinnreichsten an¬
lege, z. B. lieber im Handel als auf Grundstücken. Und aus dem Gewinn,
den das Capital bringe, entsprossen die Zinsen, nicht aus dem Capitale selbst.
Nicht blos Darbenden leihe man dar, sondern sehr oft auch Reichen, Unter¬
nehmungslustigen. Warum solle man von deren Gewinn aus fremden Geldern
nicht den Zins seines eigenen Capitales ziehn? Warum verwerfe man den
Zins des einfachen Darlehns als wunderlich, den des Rentenkaufcs nicht? Ver¬
werflich sei nur das geschäftsmäßige stete Ausnutzen fremder Noth durch sein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/553>, abgerufen am 22.07.2024.