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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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lich der Lahn, bewohnt von einem westfälischen Vollsstammfragment, gravitirt
nach Preußen, der Theil südlich der Lahn, bewohnt von Pfälzern und rheinischen
Franken, wird theils mehr vom Süden, theils mehr vom Norden angezogen.
In dem nördlichen Theile des Landes rechnet man vielfach nach Thalern, Pfennigen
und Groschen, im südlichen nach rheinländisch-süddeutschem Münzfuß.

Koblenz-Ehrenbreitstein einerseits und Wetzlar andererseits sind durch Preu¬
ßen besetzt. Ebenso die nassauische Umgebung dieser Wasserplätze, voraus¬
gesetzt, daß man Wetzlar einen Waffenplatz nennen kann. Denn dieses Städt-
chen, dessen Name in Europa bekannt war, so lange das Reichskammergericht
dort seinen Sitz hatte, und auf das der Genius Goethes später noch einen lich¬
ten warmen Sonnenstrahl warf, als er den jungen Jerusalem in den "jungen
Werther" umdichtete und die Kestner in Werthers Lotte umschuf. ist heute noch
so winkelig und bucklig, wie zur Zeit des Reichskammergerichts: und manches
Pferd der preußischen Cavalerie und Artillerie stürzt in den engen, steilen,
schlechtgepflasterten Straßen, bevor es gelingt, den Weg zu dem ziemlich ent¬
fernten Bahnhof zu finden. Der nördliche Theil von Nassau, welcher von dem
Rhein westlich, von der Lahn und der Lahnbahn südlich, von der Sieggegend,
durch welche die tenez-gießener Eisenbahn führt, nördlich und östlich ein¬
geschlossen wird, ist mit seinem Verkehr fast ausschließlich auf Preußen an¬
gewiesen. Seine Erze, z. B. sein Mangan (Braunstein), sein Mastvieh, sein Holz
u. s. w. werden nach oder wenigstens durch Preußen exportirt, das dafür
Fabrikerzeugnisse und Colonialwaaren liefert und große Capitalien im Handel
und in der Industrie Nassaus angelegt hat, welche durch einen Krieg zwischen
beiden Ländern würden entwerthet oder wenigstens deplacirt werden. Der
südliche Theil von Nassau, welcher nördlich von der Lahn und der Lahneisen¬
bahn, westlich von dem Rhein und der rechtsrheinischen Bahn (nassauische
Staatsbahn), südlich von dem Main und der Taunusbahn, welche die Städte
Frankfurt, Mainz und Wiesbaden mit einander verbindet, östlich von der Main-
Weserbahn eingerahmt wird, producirt auf einem verhältnißmäßig kleinen Areal
in guten Weinjahren für etwa 4--5 Millionen Gulden Wein, welcher schon
seit unserem Beitritt zum Zollverein fast ausschließlich nach Preußen exportirt
wird; und seit Preußen mit dem 1. Juli 1863 auf die Weinübergangsabgabe
verzichtet hat, ist dieser Export noch mehr erleichtert und gesteigert worden;
auch Berg- und Hüttenproducte gehen von hier nach Preußen. Allein dieser
südliche Theil des Landes gravitirt in einzelnen Theilen doch auch nach den
süddeutschen Nachbarn. Frankfurt übt eine starke Anziehungskraft. Der Rhein,
gau war früher ein Bestandtheil des Erzbisthums und Kurfürstenthums Mainz;
und obgleich er von dem erzbischöflichen Stuhl nicht viel Gutes genossen hat,
vielmehr schon im Jahre 1L2S infolge des "Auszugs auf den Wachholder",
der eine Episode des Bauernkrieges bildet, und der darauf folgenden territorial¬


es

lich der Lahn, bewohnt von einem westfälischen Vollsstammfragment, gravitirt
nach Preußen, der Theil südlich der Lahn, bewohnt von Pfälzern und rheinischen
Franken, wird theils mehr vom Süden, theils mehr vom Norden angezogen.
In dem nördlichen Theile des Landes rechnet man vielfach nach Thalern, Pfennigen
und Groschen, im südlichen nach rheinländisch-süddeutschem Münzfuß.

Koblenz-Ehrenbreitstein einerseits und Wetzlar andererseits sind durch Preu¬
ßen besetzt. Ebenso die nassauische Umgebung dieser Wasserplätze, voraus¬
gesetzt, daß man Wetzlar einen Waffenplatz nennen kann. Denn dieses Städt-
chen, dessen Name in Europa bekannt war, so lange das Reichskammergericht
dort seinen Sitz hatte, und auf das der Genius Goethes später noch einen lich¬
ten warmen Sonnenstrahl warf, als er den jungen Jerusalem in den „jungen
Werther" umdichtete und die Kestner in Werthers Lotte umschuf. ist heute noch
so winkelig und bucklig, wie zur Zeit des Reichskammergerichts: und manches
Pferd der preußischen Cavalerie und Artillerie stürzt in den engen, steilen,
schlechtgepflasterten Straßen, bevor es gelingt, den Weg zu dem ziemlich ent¬
fernten Bahnhof zu finden. Der nördliche Theil von Nassau, welcher von dem
Rhein westlich, von der Lahn und der Lahnbahn südlich, von der Sieggegend,
durch welche die tenez-gießener Eisenbahn führt, nördlich und östlich ein¬
geschlossen wird, ist mit seinem Verkehr fast ausschließlich auf Preußen an¬
gewiesen. Seine Erze, z. B. sein Mangan (Braunstein), sein Mastvieh, sein Holz
u. s. w. werden nach oder wenigstens durch Preußen exportirt, das dafür
Fabrikerzeugnisse und Colonialwaaren liefert und große Capitalien im Handel
und in der Industrie Nassaus angelegt hat, welche durch einen Krieg zwischen
beiden Ländern würden entwerthet oder wenigstens deplacirt werden. Der
südliche Theil von Nassau, welcher nördlich von der Lahn und der Lahneisen¬
bahn, westlich von dem Rhein und der rechtsrheinischen Bahn (nassauische
Staatsbahn), südlich von dem Main und der Taunusbahn, welche die Städte
Frankfurt, Mainz und Wiesbaden mit einander verbindet, östlich von der Main-
Weserbahn eingerahmt wird, producirt auf einem verhältnißmäßig kleinen Areal
in guten Weinjahren für etwa 4—5 Millionen Gulden Wein, welcher schon
seit unserem Beitritt zum Zollverein fast ausschließlich nach Preußen exportirt
wird; und seit Preußen mit dem 1. Juli 1863 auf die Weinübergangsabgabe
verzichtet hat, ist dieser Export noch mehr erleichtert und gesteigert worden;
auch Berg- und Hüttenproducte gehen von hier nach Preußen. Allein dieser
südliche Theil des Landes gravitirt in einzelnen Theilen doch auch nach den
süddeutschen Nachbarn. Frankfurt übt eine starke Anziehungskraft. Der Rhein,
gau war früher ein Bestandtheil des Erzbisthums und Kurfürstenthums Mainz;
und obgleich er von dem erzbischöflichen Stuhl nicht viel Gutes genossen hat,
vielmehr schon im Jahre 1L2S infolge des „Auszugs auf den Wachholder«,
der eine Episode des Bauernkrieges bildet, und der darauf folgenden territorial¬


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/55>, abgerufen am 22.07.2024.