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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Deutschland, dies wird wieder stattfinden, sobald das Deutschthum aufhört, eine
feindliche Macht zu sein; die ungarischen Protestanten sehen sich durch enge
Bande an den deutschen Protestantismus gefesselte, die ungarische Nationalität
wird der deutschen nie gefährlich werden, oder im Gegensatze zur slavischen
fühlen wir die ganze Möglichkeit eines dereinstigen Weltenkampfes heraus. Frei¬
lich muß der Deutsche in Oestreich darauf verzichten, durch Theilung herrschen
zu wollen, er muß sich als gleichberechtigtes, aber nicht bevorrechtetes Glied des
Ganzen erkennen lernen, und jenes Wienerthum, welches den letzten Krieg
wesentlich auf dem Gewissen hat. muß gründlich ausgerottet werden; dabei
wird es aber der deutschen Nationalität in Oestreich nur zum Bortheil gereichen,
wenn jenes ruhige Genußleben aufhört, das durch die bisherige Stellung im
Gesammtstaate wesentlich bedingt war. In dieser willigen Einräumung eines
vollwichtigen Antheils an der Leitung des Gesannntstaats an die Ungarn, in
der aufrichtigen Allianz der Deutschen und Magyaren dürfte denn die Erhaltung
der Monarchie bedingt, die Möglichkeit eines Fortschreiten" auf liberalen Bahnen
gegeben sein. Und aus diesem Grundgedanken entwickelt sich auch die Richtung
der östreichischer! äußern Politik von selbst; es darf nichts geschehen, was deu
jetzigen Schwerpunkt der Monarchie, das Gleichgewicht der Kräfte wieder ver¬
rücken könnte; das Ausscheiden aus Deutschland muß also definitiv sei", es
muß erkannt werden, daß erst nunmehr eine Verständigung mit Ungarn und
die Jnaugurirung einer specifisch östreichischen Politik möglich geworden ist;
ebenso wenig darf Oestreich danach trachten, seinen Territorialverlust durch
slavischen Besitz- zu ergänzen, dadurch würde das Slaventhum den Deutschen
und Magyaren gegenüber zu sehr gestärkt werden, ohne daß doch der östreichische
Staat den Slaven genügen könnte. Die äußere Politik muß also wesentlich
conservativ sein, verhüten, daß eine große slavische Uebermacht im Orient sich
ausbilde, im Uebrigen aber jeder Intervention, jeder Aggression entschieden
entsagen.

Wird diese Politik verfolgt, dann kann mit der Zeit auch das Gleich¬
gewicht in den östreichischen Finanzen und damit eine neue solide Basis der
Erhaltung Oestreichs gewonnen werden, die Grundlage der materiellen Inter¬
essen. Damit harmonirt es denn freilich wenig, wenn man von einer Ver¬
mehrung der östreichischen Regimenter liest; zu den Zwecken, für die Oestreich
in der Folge Krieg führen soll und darf, ist das jetzige Heer zu groß und zu
theuer.

In der innern Politik muß man sich bemühen, da man, vor der Hand
wenigstens, das Bedürfniß des Mitregierens noch nicht allgemein befriedigen
kann, doch der negativen Freiheit so weite Schranken zu geben, als es die
östreichischen Zustände irgend vertragen; also große individuelle Freiheit, weit-


Grenzboten III. 1"66. 6S

Deutschland, dies wird wieder stattfinden, sobald das Deutschthum aufhört, eine
feindliche Macht zu sein; die ungarischen Protestanten sehen sich durch enge
Bande an den deutschen Protestantismus gefesselte, die ungarische Nationalität
wird der deutschen nie gefährlich werden, oder im Gegensatze zur slavischen
fühlen wir die ganze Möglichkeit eines dereinstigen Weltenkampfes heraus. Frei¬
lich muß der Deutsche in Oestreich darauf verzichten, durch Theilung herrschen
zu wollen, er muß sich als gleichberechtigtes, aber nicht bevorrechtetes Glied des
Ganzen erkennen lernen, und jenes Wienerthum, welches den letzten Krieg
wesentlich auf dem Gewissen hat. muß gründlich ausgerottet werden; dabei
wird es aber der deutschen Nationalität in Oestreich nur zum Bortheil gereichen,
wenn jenes ruhige Genußleben aufhört, das durch die bisherige Stellung im
Gesammtstaate wesentlich bedingt war. In dieser willigen Einräumung eines
vollwichtigen Antheils an der Leitung des Gesannntstaats an die Ungarn, in
der aufrichtigen Allianz der Deutschen und Magyaren dürfte denn die Erhaltung
der Monarchie bedingt, die Möglichkeit eines Fortschreiten« auf liberalen Bahnen
gegeben sein. Und aus diesem Grundgedanken entwickelt sich auch die Richtung
der östreichischer! äußern Politik von selbst; es darf nichts geschehen, was deu
jetzigen Schwerpunkt der Monarchie, das Gleichgewicht der Kräfte wieder ver¬
rücken könnte; das Ausscheiden aus Deutschland muß also definitiv sei», es
muß erkannt werden, daß erst nunmehr eine Verständigung mit Ungarn und
die Jnaugurirung einer specifisch östreichischen Politik möglich geworden ist;
ebenso wenig darf Oestreich danach trachten, seinen Territorialverlust durch
slavischen Besitz- zu ergänzen, dadurch würde das Slaventhum den Deutschen
und Magyaren gegenüber zu sehr gestärkt werden, ohne daß doch der östreichische
Staat den Slaven genügen könnte. Die äußere Politik muß also wesentlich
conservativ sein, verhüten, daß eine große slavische Uebermacht im Orient sich
ausbilde, im Uebrigen aber jeder Intervention, jeder Aggression entschieden
entsagen.

Wird diese Politik verfolgt, dann kann mit der Zeit auch das Gleich¬
gewicht in den östreichischen Finanzen und damit eine neue solide Basis der
Erhaltung Oestreichs gewonnen werden, die Grundlage der materiellen Inter¬
essen. Damit harmonirt es denn freilich wenig, wenn man von einer Ver¬
mehrung der östreichischen Regimenter liest; zu den Zwecken, für die Oestreich
in der Folge Krieg führen soll und darf, ist das jetzige Heer zu groß und zu
theuer.

In der innern Politik muß man sich bemühen, da man, vor der Hand
wenigstens, das Bedürfniß des Mitregierens noch nicht allgemein befriedigen
kann, doch der negativen Freiheit so weite Schranken zu geben, als es die
östreichischen Zustände irgend vertragen; also große individuelle Freiheit, weit-


Grenzboten III. 1«66. 6S
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[0547] Deutschland, dies wird wieder stattfinden, sobald das Deutschthum aufhört, eine feindliche Macht zu sein; die ungarischen Protestanten sehen sich durch enge Bande an den deutschen Protestantismus gefesselte, die ungarische Nationalität wird der deutschen nie gefährlich werden, oder im Gegensatze zur slavischen fühlen wir die ganze Möglichkeit eines dereinstigen Weltenkampfes heraus. Frei¬ lich muß der Deutsche in Oestreich darauf verzichten, durch Theilung herrschen zu wollen, er muß sich als gleichberechtigtes, aber nicht bevorrechtetes Glied des Ganzen erkennen lernen, und jenes Wienerthum, welches den letzten Krieg wesentlich auf dem Gewissen hat. muß gründlich ausgerottet werden; dabei wird es aber der deutschen Nationalität in Oestreich nur zum Bortheil gereichen, wenn jenes ruhige Genußleben aufhört, das durch die bisherige Stellung im Gesammtstaate wesentlich bedingt war. In dieser willigen Einräumung eines vollwichtigen Antheils an der Leitung des Gesannntstaats an die Ungarn, in der aufrichtigen Allianz der Deutschen und Magyaren dürfte denn die Erhaltung der Monarchie bedingt, die Möglichkeit eines Fortschreiten« auf liberalen Bahnen gegeben sein. Und aus diesem Grundgedanken entwickelt sich auch die Richtung der östreichischer! äußern Politik von selbst; es darf nichts geschehen, was deu jetzigen Schwerpunkt der Monarchie, das Gleichgewicht der Kräfte wieder ver¬ rücken könnte; das Ausscheiden aus Deutschland muß also definitiv sei», es muß erkannt werden, daß erst nunmehr eine Verständigung mit Ungarn und die Jnaugurirung einer specifisch östreichischen Politik möglich geworden ist; ebenso wenig darf Oestreich danach trachten, seinen Territorialverlust durch slavischen Besitz- zu ergänzen, dadurch würde das Slaventhum den Deutschen und Magyaren gegenüber zu sehr gestärkt werden, ohne daß doch der östreichische Staat den Slaven genügen könnte. Die äußere Politik muß also wesentlich conservativ sein, verhüten, daß eine große slavische Uebermacht im Orient sich ausbilde, im Uebrigen aber jeder Intervention, jeder Aggression entschieden entsagen. Wird diese Politik verfolgt, dann kann mit der Zeit auch das Gleich¬ gewicht in den östreichischen Finanzen und damit eine neue solide Basis der Erhaltung Oestreichs gewonnen werden, die Grundlage der materiellen Inter¬ essen. Damit harmonirt es denn freilich wenig, wenn man von einer Ver¬ mehrung der östreichischen Regimenter liest; zu den Zwecken, für die Oestreich in der Folge Krieg führen soll und darf, ist das jetzige Heer zu groß und zu theuer. In der innern Politik muß man sich bemühen, da man, vor der Hand wenigstens, das Bedürfniß des Mitregierens noch nicht allgemein befriedigen kann, doch der negativen Freiheit so weite Schranken zu geben, als es die östreichischen Zustände irgend vertragen; also große individuelle Freiheit, weit- Grenzboten III. 1«66. 6S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/547>, abgerufen am 22.07.2024.