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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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rischen Staatsgedanken, von einem neuen Oestreich läßt alle staatlichen Maßnahmen
unter dem Gesichtspunkte von mehr oder weniger gutem Willen betrachten und
vergessen, daß es für jede Regierung ein von xossumus giebt, über das sie
nicht hinaus kann. Hätte die östreichische Regierung eine unabhängige Presse
zur Seite, die dies unverhohlen ausspräche, so könnte sie darin eine starke
Stütze finden. Anstatt dessen wurde jeder als mißgünstig betrachtet, der an
dem Zustandekommen der ungarischen Verständigung zweifelte, um der äußern
Politik willen wurde diese fortwährend als nahe bevorstehend verkündet, manche
treue Dienerin Oestreichs in der Presse gefiel sich schon- in der Aufstellung von
ungarischen Ministcicandidatenlisten, anstatt zu untersuchen, welches denn die
staatsrechtlichen und politischen Folgen eines ungarischen Ministeriums sein wür¬
den, und so kann man es denn den Ungarn schließlich nicht übel nehmen, wenn
sie an dem guten Willen der Negierung zweifeln.

Die Forderung der Personalunion Seitens der Ungarn ist ein Act der
Defensive gegen die Ausbeutung durch den Gesammtstaat, und ein Postulat
des Bedürfnisses nach Mitregierung; beide natürliche Forderungen können be¬
schwichtigt werden, wenn man den Ungarn einen wesentlichen Antheil an der
Leitung des Gesammtstaats giebt. Sobald die Ungarn fühlen, daß der Ge¬
sammtstaat nicht mehr gebraucht wird, um Ungarn gegen seine natürlichen
Interessen demselben dienstbar zu machen, sobald die Erhaltung des Rahmens,
der den Ungarn selbst stärkstes Bedürfniß ist, die ausschließliche Richtschnur der
östreichischen Politik wird, sobald man das Streben aufgiebt, vermittelst der
ungarischen Kräfte in Deutschland zu herrschen, und vermittelst Deutschlands in
Ungarn, sobald die Ungarn wahre ungarische Patrioten im östreichischen
Ministerrath sehen, werden sie aus ihrer defensiven Haltung heraustreten und
an der Reconstituirung des Gesammtstaats aufrichtigen Antheil nehmen können.
Und wahrhaftig, es wird dem östreichischen Staate nicht zum Schaden gereichen,
wenn die tüchtigen Staatsmänner Ungarns den bedauerlichen Mangel Oestreichs
an solchen Männern ergänzen helfen. Dann wird aber auch mit der Zeit mög¬
lich werden, was jetzt nicht ist, eine östreichische Gesammtstaatsvcrtretung. Dazu
ist aber vor allem Eines nöthig, eine aufrichtige Verständigung der deutschen
Nationalität mit den Ungarn. Bis jetzt haben die Deutschen in der Regel sich
mit den Slaven verbündet, um mit ihnen gemeinsam die Ungarn zu majori-
firen., darauf schielt der jetzige Ccntralismus hin. Damit müßten aber die
Deutschen aufrichtig brechen, und sie können es, weil eine Verständigung mit
den Ungarn im beiderseitigen Interesse liegt. Sie werden, indem sie den wahren
Zersetzungskeim der östreichischen Monarchie in dem Siavismus erblicken, sich
auf dem gemeinschaftlichen Boden der Erhaltung derselben zusammenfinden, sie
sind auf einander am meisten gewiesen durch Bildung, Gesittung, Charakter;
ehe die Gegensätze geschärft waren, holte der Ungar gern seine Bildung aus


rischen Staatsgedanken, von einem neuen Oestreich läßt alle staatlichen Maßnahmen
unter dem Gesichtspunkte von mehr oder weniger gutem Willen betrachten und
vergessen, daß es für jede Regierung ein von xossumus giebt, über das sie
nicht hinaus kann. Hätte die östreichische Regierung eine unabhängige Presse
zur Seite, die dies unverhohlen ausspräche, so könnte sie darin eine starke
Stütze finden. Anstatt dessen wurde jeder als mißgünstig betrachtet, der an
dem Zustandekommen der ungarischen Verständigung zweifelte, um der äußern
Politik willen wurde diese fortwährend als nahe bevorstehend verkündet, manche
treue Dienerin Oestreichs in der Presse gefiel sich schon- in der Aufstellung von
ungarischen Ministcicandidatenlisten, anstatt zu untersuchen, welches denn die
staatsrechtlichen und politischen Folgen eines ungarischen Ministeriums sein wür¬
den, und so kann man es denn den Ungarn schließlich nicht übel nehmen, wenn
sie an dem guten Willen der Negierung zweifeln.

Die Forderung der Personalunion Seitens der Ungarn ist ein Act der
Defensive gegen die Ausbeutung durch den Gesammtstaat, und ein Postulat
des Bedürfnisses nach Mitregierung; beide natürliche Forderungen können be¬
schwichtigt werden, wenn man den Ungarn einen wesentlichen Antheil an der
Leitung des Gesammtstaats giebt. Sobald die Ungarn fühlen, daß der Ge¬
sammtstaat nicht mehr gebraucht wird, um Ungarn gegen seine natürlichen
Interessen demselben dienstbar zu machen, sobald die Erhaltung des Rahmens,
der den Ungarn selbst stärkstes Bedürfniß ist, die ausschließliche Richtschnur der
östreichischen Politik wird, sobald man das Streben aufgiebt, vermittelst der
ungarischen Kräfte in Deutschland zu herrschen, und vermittelst Deutschlands in
Ungarn, sobald die Ungarn wahre ungarische Patrioten im östreichischen
Ministerrath sehen, werden sie aus ihrer defensiven Haltung heraustreten und
an der Reconstituirung des Gesammtstaats aufrichtigen Antheil nehmen können.
Und wahrhaftig, es wird dem östreichischen Staate nicht zum Schaden gereichen,
wenn die tüchtigen Staatsmänner Ungarns den bedauerlichen Mangel Oestreichs
an solchen Männern ergänzen helfen. Dann wird aber auch mit der Zeit mög¬
lich werden, was jetzt nicht ist, eine östreichische Gesammtstaatsvcrtretung. Dazu
ist aber vor allem Eines nöthig, eine aufrichtige Verständigung der deutschen
Nationalität mit den Ungarn. Bis jetzt haben die Deutschen in der Regel sich
mit den Slaven verbündet, um mit ihnen gemeinsam die Ungarn zu majori-
firen., darauf schielt der jetzige Ccntralismus hin. Damit müßten aber die
Deutschen aufrichtig brechen, und sie können es, weil eine Verständigung mit
den Ungarn im beiderseitigen Interesse liegt. Sie werden, indem sie den wahren
Zersetzungskeim der östreichischen Monarchie in dem Siavismus erblicken, sich
auf dem gemeinschaftlichen Boden der Erhaltung derselben zusammenfinden, sie
sind auf einander am meisten gewiesen durch Bildung, Gesittung, Charakter;
ehe die Gegensätze geschärft waren, holte der Ungar gern seine Bildung aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/546>, abgerufen am 22.07.2024.