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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Staaten und der zerstückelten und particularistisch zerklüfteten Stamme zu <zus-
rellss Ällemiwäes, welcher Hang nicht nur die Höfe zu albernen Form- und
Etikettestreitigkeiten treibt, sondern auch die Bewohner der verschiedenen Pro¬
vinzen zu ebenso albernen ewigem gegenseitigen Spotten, Höhnen und Häufeln.
Der Bayer wirft dem Würtenberger oder, wie er ihn spottweise nennt "Wüeschte-
berger" vor. daß er gerne "Spätzle", und der Schwabe dem Bayern, daß er
gerne "Knötel" esse; und obgleich man beide Vorwürfe ruhig wechselseitig hin¬
nehmen und austauschen könnte -- denn in der That Knötel sind gut und
Spcitzli auch, vorausgesetzt, daß sie richtig zubereitet sind, und der Apostel schreibt
ja doch: "Das Eine thun und das Andere nicht lassen" -- so führen doch solche
internationale und intercantonale Kontroversen über die Lieblingsgerichte meistens
zu bösen Häusern. Die Nassauer ferner erlauben sich, obgleich sie der Augen¬
schein täglich das Gegentheil lehrt, nun einmal steif und fest darauf zu beharren,
daß die Kurhessen blind seien; und die letzteren nennen dafür die Nassauer
"Hasentreiber", obgleich die guten Jungen doch unschuldig daran sind, daß sie
auf der Jagd in den fürstlichen Leibgehegen, die fast das ganze Land bedecken,
verwandt werden zum Treiben, zu einer Beschäftigung, die allerdings in der
Regel nicht als eine specifisch militärische betrachtet zu werden pflegt. So fliegen
die Scherz-, Stichel- und Schimpfreden herüber und hinüber. Sie erstrecken sich
nach und nach auf die Mundart, auf die Waffen, auf militärische Tüchtigkeit
und Tapferkeit, auf alles. Sie arten aus zu einem bellum oirmium contra
oirmss et"z rebus omnibus et quibusclam aliis. Der Geist der Kameradschaft
wird dadurch nicht gefördert. So sieht das Armeecorps aus. Und seine Be¬
schäftigung? Geschlagen hat es sich bis jetzt nicht. In Frankfurt, wo die
östreichische Knegstarantel jedermann -- ja sogar jede Flau -- gestochen und
zu einem grotesken Sanct-Veitstanz aufgestachelt hatte, wurden diese Kontin¬
gente anfangs, im Juni, enthusiastisch aufgenommen. Die guten Soldaten
konnten sich vor Würsten, Bier, Apfelwein, Küssen von schönen und auch von
häßlichen Lippen und sonstigen Süßigkeiten gar nicht retten. Als aber die
Hiobsposten aus Böhmen kamen, verlor der Stich der Tarantel die stimulirende
Wirkung, und man schimpft jetzt i" Frankfurt noch weit lauter und erbitterter
auf die "Reichsarmee" als vor sechs Wochen auf das "bundesbrüchige rebellische
Preußen". I^g, povorg, milisia äölla, eollköäei'allons 6örmg.ille^, ich ent¬
lehne diesen Ausdruck dem Munde eines "deutschen Bruders", nämlich eines
östreichisch-italienischen Dalmatiners, an dessen linken Oberarm die schwer mi߬
handelten deutschen Farben, ihm natürlich so wildfremd, wie der Drache im
Wappen des Kaisers von China, prangen, -- die armen Soldaten des Bundes¬
tags spüren merklich in Pflege, Speis und Trank diesen Umschwung der frank¬
furter Localstimmung. Sie können mit Heinrich Heine im "Romanzero" singen
und klagen:


Staaten und der zerstückelten und particularistisch zerklüfteten Stamme zu <zus-
rellss Ällemiwäes, welcher Hang nicht nur die Höfe zu albernen Form- und
Etikettestreitigkeiten treibt, sondern auch die Bewohner der verschiedenen Pro¬
vinzen zu ebenso albernen ewigem gegenseitigen Spotten, Höhnen und Häufeln.
Der Bayer wirft dem Würtenberger oder, wie er ihn spottweise nennt „Wüeschte-
berger" vor. daß er gerne „Spätzle", und der Schwabe dem Bayern, daß er
gerne „Knötel" esse; und obgleich man beide Vorwürfe ruhig wechselseitig hin¬
nehmen und austauschen könnte — denn in der That Knötel sind gut und
Spcitzli auch, vorausgesetzt, daß sie richtig zubereitet sind, und der Apostel schreibt
ja doch: „Das Eine thun und das Andere nicht lassen" — so führen doch solche
internationale und intercantonale Kontroversen über die Lieblingsgerichte meistens
zu bösen Häusern. Die Nassauer ferner erlauben sich, obgleich sie der Augen¬
schein täglich das Gegentheil lehrt, nun einmal steif und fest darauf zu beharren,
daß die Kurhessen blind seien; und die letzteren nennen dafür die Nassauer
„Hasentreiber", obgleich die guten Jungen doch unschuldig daran sind, daß sie
auf der Jagd in den fürstlichen Leibgehegen, die fast das ganze Land bedecken,
verwandt werden zum Treiben, zu einer Beschäftigung, die allerdings in der
Regel nicht als eine specifisch militärische betrachtet zu werden pflegt. So fliegen
die Scherz-, Stichel- und Schimpfreden herüber und hinüber. Sie erstrecken sich
nach und nach auf die Mundart, auf die Waffen, auf militärische Tüchtigkeit
und Tapferkeit, auf alles. Sie arten aus zu einem bellum oirmium contra
oirmss et«z rebus omnibus et quibusclam aliis. Der Geist der Kameradschaft
wird dadurch nicht gefördert. So sieht das Armeecorps aus. Und seine Be¬
schäftigung? Geschlagen hat es sich bis jetzt nicht. In Frankfurt, wo die
östreichische Knegstarantel jedermann — ja sogar jede Flau — gestochen und
zu einem grotesken Sanct-Veitstanz aufgestachelt hatte, wurden diese Kontin¬
gente anfangs, im Juni, enthusiastisch aufgenommen. Die guten Soldaten
konnten sich vor Würsten, Bier, Apfelwein, Küssen von schönen und auch von
häßlichen Lippen und sonstigen Süßigkeiten gar nicht retten. Als aber die
Hiobsposten aus Böhmen kamen, verlor der Stich der Tarantel die stimulirende
Wirkung, und man schimpft jetzt i» Frankfurt noch weit lauter und erbitterter
auf die „Reichsarmee" als vor sechs Wochen auf das „bundesbrüchige rebellische
Preußen". I^g, povorg, milisia äölla, eollköäei'allons 6örmg.ille^, ich ent¬
lehne diesen Ausdruck dem Munde eines „deutschen Bruders", nämlich eines
östreichisch-italienischen Dalmatiners, an dessen linken Oberarm die schwer mi߬
handelten deutschen Farben, ihm natürlich so wildfremd, wie der Drache im
Wappen des Kaisers von China, prangen, — die armen Soldaten des Bundes¬
tags spüren merklich in Pflege, Speis und Trank diesen Umschwung der frank¬
furter Localstimmung. Sie können mit Heinrich Heine im „Romanzero" singen
und klagen:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/536>, abgerufen am 15.01.2025.