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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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ßische steigt, wenn dabei nur die Cultur siegt über die Barbarei, die Einheit
über die Zerrissenheit und das Vaterland über seine inneren und äußeren Feinde.
Dann immerhin vorwärts! "Ablösung!"---. Ich schicke das voraus, um
mich bei Ihnen zu legitimiren als guter Deutscher. Nachdem ich das gethan,
gestatten Sie mir aber im nächsten Augenblick einen recht tiefen und gründlichen
Seufzer auszustoßen, einen nassauisch-particularistischen Stoßseufzer über das
Unglück, in welches mein schönes Ländchen, das man wegen seiner reizenden
Fülle natürlicher Pracht und Gesundheit lieben muß, auch wenn man nicht,
wie ich, das Glück hat, hier geboren zu sein, gebracht worden ist durch die
verblendete Habsburgische Politik seiner Regierung.

Wir waren wirthschaftlich ziemlich gut daran vor dem Krieg. Nach schweren
Kämpfen war der Zollverein erneuert und verbessert wieder auferstanden. Die
Weinübergangsabgabe war weggefallen. Infolge dessen stieg der Export unserer
deutschen Weine nach dem deutschen Norden. Mit dem Export stiegen die Preise
und die Nachfrage. Wir und unsere Nachbarn, die Preußen, tauschten immer
eifriger Kohlen und Erze gegen einander aus, natürlich zu beiderseitigen Vor-
theil. Unsere beiderseitigen Eisenbahnen arbeiteten einander in die Hände, in¬
dem sie sich ergänzten und in die Arbeit theilten. Unsere Staatsbahn fing an
sich zu rentiren, und damit fiel uns ein schwerer Stein vom Herzen. Die
Negierung hatte nämlich 1862 die Concession zur Erbauung von Eisenbahnen
an dem Rhein und in den sonstigen Flußthälern des Landes aus unbekannten
oder nur zu bekannten Gründen in die Hände einer unsolider und bankerotten
Gesellschaft gegeben und jede Caneel und Garantie verabsäumt. Die Gesell¬
schaft begann die Bahnen zu bauen und ließ sie dann ins Stocken kommen.
Sie hatte keine Mittel mehr. Die Regierung wollte ihr Staatsgelder vor-
schießen. Allein die Landstände weigerten sich darauf einzugehen, weil man
keine Garantie für die richtige Verwendung habe. Auf der andern Seite aber
drohete die Gefahr, daß der Eisenbahnbau ganz eingestellt werde und wir von
unseren Nachbarn, die eifrig damit vorgingen, überflügelt würden. Da thaten
die Landstände einen "kühnen Griff", der besser ausschlug als der des Herrn
v. Gagern. Sie votirten 34 Millionen Gulden, um sämmtliche Bahnen sofort
auf Rechnung des Staats zu bauen. 34 Millionen auf achtzig Quadratmeilen
und 460.000 Menschen. -- das ist viel. Aber es gerieth. Unsere Naturschätze,
namentlich in der Mitte des Landes, da

belebten die Bahn und nach wenigen Jahren rentirte sie schon mehr als drei
Vom Hundert. Wir waren gerettet aus dem Risico, das wir mit schwerem


ßische steigt, wenn dabei nur die Cultur siegt über die Barbarei, die Einheit
über die Zerrissenheit und das Vaterland über seine inneren und äußeren Feinde.
Dann immerhin vorwärts! „Ablösung!"---. Ich schicke das voraus, um
mich bei Ihnen zu legitimiren als guter Deutscher. Nachdem ich das gethan,
gestatten Sie mir aber im nächsten Augenblick einen recht tiefen und gründlichen
Seufzer auszustoßen, einen nassauisch-particularistischen Stoßseufzer über das
Unglück, in welches mein schönes Ländchen, das man wegen seiner reizenden
Fülle natürlicher Pracht und Gesundheit lieben muß, auch wenn man nicht,
wie ich, das Glück hat, hier geboren zu sein, gebracht worden ist durch die
verblendete Habsburgische Politik seiner Regierung.

Wir waren wirthschaftlich ziemlich gut daran vor dem Krieg. Nach schweren
Kämpfen war der Zollverein erneuert und verbessert wieder auferstanden. Die
Weinübergangsabgabe war weggefallen. Infolge dessen stieg der Export unserer
deutschen Weine nach dem deutschen Norden. Mit dem Export stiegen die Preise
und die Nachfrage. Wir und unsere Nachbarn, die Preußen, tauschten immer
eifriger Kohlen und Erze gegen einander aus, natürlich zu beiderseitigen Vor-
theil. Unsere beiderseitigen Eisenbahnen arbeiteten einander in die Hände, in¬
dem sie sich ergänzten und in die Arbeit theilten. Unsere Staatsbahn fing an
sich zu rentiren, und damit fiel uns ein schwerer Stein vom Herzen. Die
Negierung hatte nämlich 1862 die Concession zur Erbauung von Eisenbahnen
an dem Rhein und in den sonstigen Flußthälern des Landes aus unbekannten
oder nur zu bekannten Gründen in die Hände einer unsolider und bankerotten
Gesellschaft gegeben und jede Caneel und Garantie verabsäumt. Die Gesell¬
schaft begann die Bahnen zu bauen und ließ sie dann ins Stocken kommen.
Sie hatte keine Mittel mehr. Die Regierung wollte ihr Staatsgelder vor-
schießen. Allein die Landstände weigerten sich darauf einzugehen, weil man
keine Garantie für die richtige Verwendung habe. Auf der andern Seite aber
drohete die Gefahr, daß der Eisenbahnbau ganz eingestellt werde und wir von
unseren Nachbarn, die eifrig damit vorgingen, überflügelt würden. Da thaten
die Landstände einen „kühnen Griff", der besser ausschlug als der des Herrn
v. Gagern. Sie votirten 34 Millionen Gulden, um sämmtliche Bahnen sofort
auf Rechnung des Staats zu bauen. 34 Millionen auf achtzig Quadratmeilen
und 460.000 Menschen. — das ist viel. Aber es gerieth. Unsere Naturschätze,
namentlich in der Mitte des Landes, da

belebten die Bahn und nach wenigen Jahren rentirte sie schon mehr als drei
Vom Hundert. Wir waren gerettet aus dem Risico, das wir mit schwerem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/526>, abgerufen am 22.07.2024.