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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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schönste Sieg der Ahnen, es hat jetzt die Kraft, das schwer gewonnene Land fest¬
zuhalten. Friedrich der Zweite kämpfte sieben Jahre in Wahrheit nicht um
Schlesien, sondern um Sachsen, und er hielt sich am Ende des harten Krieges
nicht für einen beneidenswerthen Sieger. Nach den Freiheitskriegen rang die
preußische Diplomatie Jahre lang um dies Kleinod, und für die herbste Demüthi¬
gung galt dem Heere Blüchers, daß über dem Schlachtfeld von Leipzig nicht das
preußische Banner wehen sollte. Und wieder im Jahre 1866 meint man in
Preußen, dieser Gewinn sei wohl eine Schlacht bei Wien, ja er sei einen
zweiten Krieg werth gewesen.

Es ist wahr, breiter sind seitdem die Grundlagen für das Gedeihen des
preußischen Staates geworden, der Besitz der Nordseeküste von Hannover hat
höhere Bedeutung gewonnen, als er vor hundert Jahren hatte, die territoriale
Verbindung des östlichen Preußens mit dem Rhein wurde um so mehr ein
Lebensbedürfniß für den Staat, je mehr die flugschnelle Dampfkraft Provinz
mit Provinz vereinte. Es ist wahr, die Landschaften im innern Deutschland
sind, auch wenn sie nicht preußisch heißen, thatsächlich abhängig von Preußen
geworden und seit den neuesten Siegen gezwungen, seinem Schicksal zu folgen.
Es ist wahr, wir leben nicht mehr in der Zeit Friedrich des Zweiten, wo
in Deutschland selbst alles Chaos war und -der kleine Staat der Hohenzollern
wie ein Emporkömmling gewaltthätig gegen stärkere Fürstengeschlechter des hei¬
ligen römischen Reiches rang, mit den Anfängen des Verfassungslebens in
Deutschland sind auch andere Formen gefunden, in denen die Völker und
Staaten ihre gemeinsamen Interessen vereint wahrnehmen können, ohne daß
eines den Namen und das Banner des andern annehmen muß.

Und dennoch. Noch immer bieten die sächsischen Bergpässe einem Heer,
das in vielen fremden Zungen spricht, den nahen Zugang zur preußischen Königs¬
stadt, noch immer ist, das Landgebiet des norddeutschen Staates in seiner Mitte
tief eingebuchtet, so lange ihm Sachsen fehlt, noch immer entbehrt der Preuße
die bescheiden verständige und wundervoll praktische Tüchtigkeit des sächsischen
Volkes in seinem Staatsbäu, grade die Elemente, welche ihm am meisten wohl¬
thun würden, ein hochentwickeltes Bürgerthum von feinen Formen, großer Ge-
scheidtheit und ruhiger Unbefangenheit. Den Sachsen selbst fehlt nichts als der
Stolz, Bürger eines großen Staates zu sein, und sie werden ein Muster werden
für alle andern deutschen Stämme, dem preußischen Staat wäre das hoch¬
entwickelte industrielle Volk mit seinem höchst praktischen Wesen die beste Stärkung
seiner Bürgcrkraft. So empfindet man in Preußen. Die Pflicht der Selbst¬
erhaltung und militärische Ehre, herbe Lehren der Vergangenheit und der höchste
Vortheil des Staates mahnen in Preußen, Sachsen aus der kriegerischen Um¬
armung nicht zu entlassen.

In Sachsen aber gewinnt grade jetzt die Ueberzeugung der nationalen


schönste Sieg der Ahnen, es hat jetzt die Kraft, das schwer gewonnene Land fest¬
zuhalten. Friedrich der Zweite kämpfte sieben Jahre in Wahrheit nicht um
Schlesien, sondern um Sachsen, und er hielt sich am Ende des harten Krieges
nicht für einen beneidenswerthen Sieger. Nach den Freiheitskriegen rang die
preußische Diplomatie Jahre lang um dies Kleinod, und für die herbste Demüthi¬
gung galt dem Heere Blüchers, daß über dem Schlachtfeld von Leipzig nicht das
preußische Banner wehen sollte. Und wieder im Jahre 1866 meint man in
Preußen, dieser Gewinn sei wohl eine Schlacht bei Wien, ja er sei einen
zweiten Krieg werth gewesen.

Es ist wahr, breiter sind seitdem die Grundlagen für das Gedeihen des
preußischen Staates geworden, der Besitz der Nordseeküste von Hannover hat
höhere Bedeutung gewonnen, als er vor hundert Jahren hatte, die territoriale
Verbindung des östlichen Preußens mit dem Rhein wurde um so mehr ein
Lebensbedürfniß für den Staat, je mehr die flugschnelle Dampfkraft Provinz
mit Provinz vereinte. Es ist wahr, die Landschaften im innern Deutschland
sind, auch wenn sie nicht preußisch heißen, thatsächlich abhängig von Preußen
geworden und seit den neuesten Siegen gezwungen, seinem Schicksal zu folgen.
Es ist wahr, wir leben nicht mehr in der Zeit Friedrich des Zweiten, wo
in Deutschland selbst alles Chaos war und -der kleine Staat der Hohenzollern
wie ein Emporkömmling gewaltthätig gegen stärkere Fürstengeschlechter des hei¬
ligen römischen Reiches rang, mit den Anfängen des Verfassungslebens in
Deutschland sind auch andere Formen gefunden, in denen die Völker und
Staaten ihre gemeinsamen Interessen vereint wahrnehmen können, ohne daß
eines den Namen und das Banner des andern annehmen muß.

Und dennoch. Noch immer bieten die sächsischen Bergpässe einem Heer,
das in vielen fremden Zungen spricht, den nahen Zugang zur preußischen Königs¬
stadt, noch immer ist, das Landgebiet des norddeutschen Staates in seiner Mitte
tief eingebuchtet, so lange ihm Sachsen fehlt, noch immer entbehrt der Preuße
die bescheiden verständige und wundervoll praktische Tüchtigkeit des sächsischen
Volkes in seinem Staatsbäu, grade die Elemente, welche ihm am meisten wohl¬
thun würden, ein hochentwickeltes Bürgerthum von feinen Formen, großer Ge-
scheidtheit und ruhiger Unbefangenheit. Den Sachsen selbst fehlt nichts als der
Stolz, Bürger eines großen Staates zu sein, und sie werden ein Muster werden
für alle andern deutschen Stämme, dem preußischen Staat wäre das hoch¬
entwickelte industrielle Volk mit seinem höchst praktischen Wesen die beste Stärkung
seiner Bürgcrkraft. So empfindet man in Preußen. Die Pflicht der Selbst¬
erhaltung und militärische Ehre, herbe Lehren der Vergangenheit und der höchste
Vortheil des Staates mahnen in Preußen, Sachsen aus der kriegerischen Um¬
armung nicht zu entlassen.

In Sachsen aber gewinnt grade jetzt die Ueberzeugung der nationalen


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[0521] schönste Sieg der Ahnen, es hat jetzt die Kraft, das schwer gewonnene Land fest¬ zuhalten. Friedrich der Zweite kämpfte sieben Jahre in Wahrheit nicht um Schlesien, sondern um Sachsen, und er hielt sich am Ende des harten Krieges nicht für einen beneidenswerthen Sieger. Nach den Freiheitskriegen rang die preußische Diplomatie Jahre lang um dies Kleinod, und für die herbste Demüthi¬ gung galt dem Heere Blüchers, daß über dem Schlachtfeld von Leipzig nicht das preußische Banner wehen sollte. Und wieder im Jahre 1866 meint man in Preußen, dieser Gewinn sei wohl eine Schlacht bei Wien, ja er sei einen zweiten Krieg werth gewesen. Es ist wahr, breiter sind seitdem die Grundlagen für das Gedeihen des preußischen Staates geworden, der Besitz der Nordseeküste von Hannover hat höhere Bedeutung gewonnen, als er vor hundert Jahren hatte, die territoriale Verbindung des östlichen Preußens mit dem Rhein wurde um so mehr ein Lebensbedürfniß für den Staat, je mehr die flugschnelle Dampfkraft Provinz mit Provinz vereinte. Es ist wahr, die Landschaften im innern Deutschland sind, auch wenn sie nicht preußisch heißen, thatsächlich abhängig von Preußen geworden und seit den neuesten Siegen gezwungen, seinem Schicksal zu folgen. Es ist wahr, wir leben nicht mehr in der Zeit Friedrich des Zweiten, wo in Deutschland selbst alles Chaos war und -der kleine Staat der Hohenzollern wie ein Emporkömmling gewaltthätig gegen stärkere Fürstengeschlechter des hei¬ ligen römischen Reiches rang, mit den Anfängen des Verfassungslebens in Deutschland sind auch andere Formen gefunden, in denen die Völker und Staaten ihre gemeinsamen Interessen vereint wahrnehmen können, ohne daß eines den Namen und das Banner des andern annehmen muß. Und dennoch. Noch immer bieten die sächsischen Bergpässe einem Heer, das in vielen fremden Zungen spricht, den nahen Zugang zur preußischen Königs¬ stadt, noch immer ist, das Landgebiet des norddeutschen Staates in seiner Mitte tief eingebuchtet, so lange ihm Sachsen fehlt, noch immer entbehrt der Preuße die bescheiden verständige und wundervoll praktische Tüchtigkeit des sächsischen Volkes in seinem Staatsbäu, grade die Elemente, welche ihm am meisten wohl¬ thun würden, ein hochentwickeltes Bürgerthum von feinen Formen, großer Ge- scheidtheit und ruhiger Unbefangenheit. Den Sachsen selbst fehlt nichts als der Stolz, Bürger eines großen Staates zu sein, und sie werden ein Muster werden für alle andern deutschen Stämme, dem preußischen Staat wäre das hoch¬ entwickelte industrielle Volk mit seinem höchst praktischen Wesen die beste Stärkung seiner Bürgcrkraft. So empfindet man in Preußen. Die Pflicht der Selbst¬ erhaltung und militärische Ehre, herbe Lehren der Vergangenheit und der höchste Vortheil des Staates mahnen in Preußen, Sachsen aus der kriegerischen Um¬ armung nicht zu entlassen. In Sachsen aber gewinnt grade jetzt die Ueberzeugung der nationalen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/521>, abgerufen am 22.07.2024.