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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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lichen Richtungen innerhalb des Staates ist schwer zu verhindern. Sie wird
sich immer einstellen, wo die Staatsregierung ein Parteiinteresse zu begünstigen
oder anzufeinden Veranlassung hat, zunächst in Theologie. Jurisprudenz. Ge¬
schichte, sie wird aber auch, weniger auffällig und doch ebenso beschränkend, in
allen andern Disciplinen fühlbar werden. Denn auch in ihnen hat ein Mi¬
nisterium des Cultus entweder selbst gestimmte Ansicht und Vorliebe oder es
wird beeinflußt von einem bedeutenden Gelehrten, der in seiner Wissenschaft
natürlich die eigene Richtung obenauf sehen will.

Deshalb würde eine Centralisation der gesammten Universitätswissenschast
unter ein deutsches Ministerium neben großen Vortheilen auch Gefahren bereiten,
der freien Forschung, und der wundervoll selbständigen Entwickelung der deutschen
Wissenschaft.

Dieser Uebelstand ist allerdings zum größten Theil dadurch zu beseitigen,
daß man den Universitäten selbst das Recht erweitert, durch Berufungen ihren
Lehrerbestand zu ergänzen und nach dem Bedürfniß der Wissenschaft zu vervoll¬
ständigen. Denn Facultäten und Senat einer Universität sind im Ganzen
bessere Schüler freier wissenschaftlicher Forschung als ein Beamter des Cullus-
mimsteriums. Freilich sind auch sie in Gefahr, durch einzelne Mitglieder ihrer
Corporation und durch eingelebte Richtungen übermäßig beherrscht zu werden.
Aber diese Gefahr ist unvergleichlich geringer als eigenmächtiges Eingreifen der
Regierungen und Ernennungen gegen den Willen der Facultäten. Es wird auch
bei Erweiterung und gewissenhafter Beachtung des akademischen Wahlrechts
einzelnen Disciplinen eine temporäre Verkümmerung nicht erspart werden Und
den einzelnen Universitäten nicht große Einseitigkeit ihrer Richtung. Aber in
diesem Falle wird eine derselben die andere cmrigiren und der deutschen
Wissenschaft wird im Ganzen die freie Entwickelung nicht dauernd beschränkt
werden.

Da es für den Staat wünschenswerth ist, neben Rector und Senat eine
stabile Verbindung der Universität mit der Negierung herzustellen, so empfiehlt
sich die Ernennung eines Kanzlers oder Curatorö als Vermittler zwischen
Universität und Negierung. Eine solche Stellung darf aber nicht Nebenposten
eines höheren Beamten sein, sondern die gut dotirte Stellung eines unabhängigen
und wissenschaftlich gebildeten Mannes, der, wenn nicht jetzt, doch nach sicherer
Constituirunz deS deutschen Bundesstaates von der Universität selbst der Regie¬
rung vorgeschlagen wird.

Die preußische Regierung hat jetzt die Aufgabe, für Göttingen und Mar¬
burg zu sorgen. Wäre Gießen preußisch geworden, so würde eine Verschmelzung
dieser Universität mit Marburg kaum hingereicht haben, eine große Universität
ju fundiren, wie 'sie in der Gegenwart wünschenswerth ist. Jetzt wird man


lichen Richtungen innerhalb des Staates ist schwer zu verhindern. Sie wird
sich immer einstellen, wo die Staatsregierung ein Parteiinteresse zu begünstigen
oder anzufeinden Veranlassung hat, zunächst in Theologie. Jurisprudenz. Ge¬
schichte, sie wird aber auch, weniger auffällig und doch ebenso beschränkend, in
allen andern Disciplinen fühlbar werden. Denn auch in ihnen hat ein Mi¬
nisterium des Cultus entweder selbst gestimmte Ansicht und Vorliebe oder es
wird beeinflußt von einem bedeutenden Gelehrten, der in seiner Wissenschaft
natürlich die eigene Richtung obenauf sehen will.

Deshalb würde eine Centralisation der gesammten Universitätswissenschast
unter ein deutsches Ministerium neben großen Vortheilen auch Gefahren bereiten,
der freien Forschung, und der wundervoll selbständigen Entwickelung der deutschen
Wissenschaft.

Dieser Uebelstand ist allerdings zum größten Theil dadurch zu beseitigen,
daß man den Universitäten selbst das Recht erweitert, durch Berufungen ihren
Lehrerbestand zu ergänzen und nach dem Bedürfniß der Wissenschaft zu vervoll¬
ständigen. Denn Facultäten und Senat einer Universität sind im Ganzen
bessere Schüler freier wissenschaftlicher Forschung als ein Beamter des Cullus-
mimsteriums. Freilich sind auch sie in Gefahr, durch einzelne Mitglieder ihrer
Corporation und durch eingelebte Richtungen übermäßig beherrscht zu werden.
Aber diese Gefahr ist unvergleichlich geringer als eigenmächtiges Eingreifen der
Regierungen und Ernennungen gegen den Willen der Facultäten. Es wird auch
bei Erweiterung und gewissenhafter Beachtung des akademischen Wahlrechts
einzelnen Disciplinen eine temporäre Verkümmerung nicht erspart werden Und
den einzelnen Universitäten nicht große Einseitigkeit ihrer Richtung. Aber in
diesem Falle wird eine derselben die andere cmrigiren und der deutschen
Wissenschaft wird im Ganzen die freie Entwickelung nicht dauernd beschränkt
werden.

Da es für den Staat wünschenswerth ist, neben Rector und Senat eine
stabile Verbindung der Universität mit der Negierung herzustellen, so empfiehlt
sich die Ernennung eines Kanzlers oder Curatorö als Vermittler zwischen
Universität und Negierung. Eine solche Stellung darf aber nicht Nebenposten
eines höheren Beamten sein, sondern die gut dotirte Stellung eines unabhängigen
und wissenschaftlich gebildeten Mannes, der, wenn nicht jetzt, doch nach sicherer
Constituirunz deS deutschen Bundesstaates von der Universität selbst der Regie¬
rung vorgeschlagen wird.

Die preußische Regierung hat jetzt die Aufgabe, für Göttingen und Mar¬
burg zu sorgen. Wäre Gießen preußisch geworden, so würde eine Verschmelzung
dieser Universität mit Marburg kaum hingereicht haben, eine große Universität
ju fundiren, wie 'sie in der Gegenwart wünschenswerth ist. Jetzt wird man


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[0479] lichen Richtungen innerhalb des Staates ist schwer zu verhindern. Sie wird sich immer einstellen, wo die Staatsregierung ein Parteiinteresse zu begünstigen oder anzufeinden Veranlassung hat, zunächst in Theologie. Jurisprudenz. Ge¬ schichte, sie wird aber auch, weniger auffällig und doch ebenso beschränkend, in allen andern Disciplinen fühlbar werden. Denn auch in ihnen hat ein Mi¬ nisterium des Cultus entweder selbst gestimmte Ansicht und Vorliebe oder es wird beeinflußt von einem bedeutenden Gelehrten, der in seiner Wissenschaft natürlich die eigene Richtung obenauf sehen will. Deshalb würde eine Centralisation der gesammten Universitätswissenschast unter ein deutsches Ministerium neben großen Vortheilen auch Gefahren bereiten, der freien Forschung, und der wundervoll selbständigen Entwickelung der deutschen Wissenschaft. Dieser Uebelstand ist allerdings zum größten Theil dadurch zu beseitigen, daß man den Universitäten selbst das Recht erweitert, durch Berufungen ihren Lehrerbestand zu ergänzen und nach dem Bedürfniß der Wissenschaft zu vervoll¬ ständigen. Denn Facultäten und Senat einer Universität sind im Ganzen bessere Schüler freier wissenschaftlicher Forschung als ein Beamter des Cullus- mimsteriums. Freilich sind auch sie in Gefahr, durch einzelne Mitglieder ihrer Corporation und durch eingelebte Richtungen übermäßig beherrscht zu werden. Aber diese Gefahr ist unvergleichlich geringer als eigenmächtiges Eingreifen der Regierungen und Ernennungen gegen den Willen der Facultäten. Es wird auch bei Erweiterung und gewissenhafter Beachtung des akademischen Wahlrechts einzelnen Disciplinen eine temporäre Verkümmerung nicht erspart werden Und den einzelnen Universitäten nicht große Einseitigkeit ihrer Richtung. Aber in diesem Falle wird eine derselben die andere cmrigiren und der deutschen Wissenschaft wird im Ganzen die freie Entwickelung nicht dauernd beschränkt werden. Da es für den Staat wünschenswerth ist, neben Rector und Senat eine stabile Verbindung der Universität mit der Negierung herzustellen, so empfiehlt sich die Ernennung eines Kanzlers oder Curatorö als Vermittler zwischen Universität und Negierung. Eine solche Stellung darf aber nicht Nebenposten eines höheren Beamten sein, sondern die gut dotirte Stellung eines unabhängigen und wissenschaftlich gebildeten Mannes, der, wenn nicht jetzt, doch nach sicherer Constituirunz deS deutschen Bundesstaates von der Universität selbst der Regie¬ rung vorgeschlagen wird. Die preußische Regierung hat jetzt die Aufgabe, für Göttingen und Mar¬ burg zu sorgen. Wäre Gießen preußisch geworden, so würde eine Verschmelzung dieser Universität mit Marburg kaum hingereicht haben, eine große Universität ju fundiren, wie 'sie in der Gegenwart wünschenswerth ist. Jetzt wird man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/479>, abgerufen am 22.07.2024.