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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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als Staatsinstitute zu bewahren und unter Aufsicht des Oberpräsidenten oder
Statthalters dem Ministerium des Cultus unterzuordnen, welchem -- nebenbei
bemerkt -- auch die Bühnen in Preußen ebenso gut unterstehen sollten, wie
die Akademie der Wissenschaften und der Universitäten.

Ungünstiger wird die Stellung der Universitäten Göttingen und Marburg
innerhalb des preußischen Staats. Und diese Ungunst ist nicht ganz zu besei¬
tigen, auch wenn die preußische Regierung beiden Universitäten das thätigste
Wohlwollen erweist, ihr Budget bestehen läßt und ihre Dotation vergrößert.
Denn um die ganze Wahrheit zu sagen und zugleich ein Argument unserer
Gegner einzuschränken, -- auf jedem Gebiet unseres Lebens war die Vielstaaterei
vom Uebel, nur unsere Wissenschaft hat nach mancher Richtung dadurch gewonnen.
Nicht durchweg und nicht überall. Die kleinen Landesuniversitäten, nothdürftig
ausgestattet, nicht im Stande die neuen Disciplinen moderner Wissenschaft bei
sich zu etabliren, vermögen fast nur durch Zwangsmaßregeln und alte Stipen¬
dien die Landeskinder, eine ungenügende Hörerzahl sich zu . bewahren. Die
Studenten, welche allein auf solchen Universitäten gebildet werden, behalten
leicht einen engen Gesichtskreis, nicht nur für ihre Wissenschaft, auch für das
Leben. Selten gelingt es solcher provinziellen Anstalt, ein bedeutendes Lehr¬
talent für längere Zeit zu erhalten, jede Gclehrtenkraft, welche dort heraufkommt,
hat kaum Zeit sich einzuleben, bevor sie hinweggezogen wird, und auch der
ewige Personenwechsel in den Fächern verhindert gedeihliche Lehre. Es ist nicht
mehr möglich, den kleinen Universitäten zu neuer Blüthe zu helfen, vollends
wenn sie nahe an einander liegen, wie Marburg und Gießen, Erlangen und
Tübingen. Eine größere Centralisation des Lebens wird auch die Zahl unserer
Universitäten vermindern und die kleineren, welche fortbestehen, werden sich re-
signiren und einzelne Fächer, z. B. das große Gebiet der Naturwissenschaften
von sich ausschließen müssen. Damit werden sie freilich allmälig auch die me¬
dicinische Facultät verlieren und aufhören in bisheriger Weise Universitäten
zu sein.

Aber die Vielstaaterei hat der deutschen Wissenschaft einen großen Dienst
erwiesen, sie hat seit vier Jahrhunderten verhindert, daß auf den deutschen Lehr¬
stühlen überall die gleiche wissenschaftliche Richtung protegirt wurde. Während
in Preußen Stahl und Pernice Staatsrecht lehrten, vertraten außerhalb Mohl.
Bluntschli, Zachariä eine entgegengesetzte Tendenz, während Hengstenberg und
die Supranaiuralisten die Theologie in ganz Preußen inficirten, bereiteten Baur
und seine Schüler im Süden die heilenden Gegenmittel. Während der, große
Physiolog Müller die Anstellungen seines Faches in Preußen beeinflußte, er¬
blühte unter Ludwig, Helmholz u. a. im Südwesten eine in vielen Punkten
entgegengesetzte Auffassung der Physiologie. Die Einseitigkeit der Wissenschaft-


als Staatsinstitute zu bewahren und unter Aufsicht des Oberpräsidenten oder
Statthalters dem Ministerium des Cultus unterzuordnen, welchem — nebenbei
bemerkt — auch die Bühnen in Preußen ebenso gut unterstehen sollten, wie
die Akademie der Wissenschaften und der Universitäten.

Ungünstiger wird die Stellung der Universitäten Göttingen und Marburg
innerhalb des preußischen Staats. Und diese Ungunst ist nicht ganz zu besei¬
tigen, auch wenn die preußische Regierung beiden Universitäten das thätigste
Wohlwollen erweist, ihr Budget bestehen läßt und ihre Dotation vergrößert.
Denn um die ganze Wahrheit zu sagen und zugleich ein Argument unserer
Gegner einzuschränken, — auf jedem Gebiet unseres Lebens war die Vielstaaterei
vom Uebel, nur unsere Wissenschaft hat nach mancher Richtung dadurch gewonnen.
Nicht durchweg und nicht überall. Die kleinen Landesuniversitäten, nothdürftig
ausgestattet, nicht im Stande die neuen Disciplinen moderner Wissenschaft bei
sich zu etabliren, vermögen fast nur durch Zwangsmaßregeln und alte Stipen¬
dien die Landeskinder, eine ungenügende Hörerzahl sich zu . bewahren. Die
Studenten, welche allein auf solchen Universitäten gebildet werden, behalten
leicht einen engen Gesichtskreis, nicht nur für ihre Wissenschaft, auch für das
Leben. Selten gelingt es solcher provinziellen Anstalt, ein bedeutendes Lehr¬
talent für längere Zeit zu erhalten, jede Gclehrtenkraft, welche dort heraufkommt,
hat kaum Zeit sich einzuleben, bevor sie hinweggezogen wird, und auch der
ewige Personenwechsel in den Fächern verhindert gedeihliche Lehre. Es ist nicht
mehr möglich, den kleinen Universitäten zu neuer Blüthe zu helfen, vollends
wenn sie nahe an einander liegen, wie Marburg und Gießen, Erlangen und
Tübingen. Eine größere Centralisation des Lebens wird auch die Zahl unserer
Universitäten vermindern und die kleineren, welche fortbestehen, werden sich re-
signiren und einzelne Fächer, z. B. das große Gebiet der Naturwissenschaften
von sich ausschließen müssen. Damit werden sie freilich allmälig auch die me¬
dicinische Facultät verlieren und aufhören in bisheriger Weise Universitäten
zu sein.

Aber die Vielstaaterei hat der deutschen Wissenschaft einen großen Dienst
erwiesen, sie hat seit vier Jahrhunderten verhindert, daß auf den deutschen Lehr¬
stühlen überall die gleiche wissenschaftliche Richtung protegirt wurde. Während
in Preußen Stahl und Pernice Staatsrecht lehrten, vertraten außerhalb Mohl.
Bluntschli, Zachariä eine entgegengesetzte Tendenz, während Hengstenberg und
die Supranaiuralisten die Theologie in ganz Preußen inficirten, bereiteten Baur
und seine Schüler im Süden die heilenden Gegenmittel. Während der, große
Physiolog Müller die Anstellungen seines Faches in Preußen beeinflußte, er¬
blühte unter Ludwig, Helmholz u. a. im Südwesten eine in vielen Punkten
entgegengesetzte Auffassung der Physiologie. Die Einseitigkeit der Wissenschaft-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/478>, abgerufen am 22.07.2024.