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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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jetzt im Uebergang aus dem Beamten- zu freiem Gemeindeleben und selbständiger
Organisation der realen Interessen. Alle haben in den wichtigsten Theilen ihrer
Gesetzgebung und Verwaltung seit Decennien viele Umbildungen erfahren, die
Beamten und das Volk sind gewöhnt, sich in Neues zu finden. Die Gesetz¬
gebung der letzten fünfzig Jahre ist überall unter Einwirkung eines Staates
auf den andern erfolgt, schon jetzt sind Gesetze und die Verwaltungsmaschinerie
nur an sehr wenigen Stellen grundverschieden.

Die Annäherung wird ferner dadurch erleichtert, daß auch in Preußen
Gesetzgebung und Verwaltung in der nächsten Zeit eine lange zurückgehaltene
Fortbildung erfahren müssen, die Gemeinde- und Kreisverfassung, die Bezirks¬
regierungen, die Kompetenz der Provinzialstände, ja sogar die Competenz des
preußischen Landtags müssen geändert werden. Die gesammte Verkehrsgesetz¬
gebung aber soll jetzt für alle durch die Bundesgewalt neu geordnet werden.

So stehen wir Deutsche sämmtlich vor einer innern Neubildung, welche
allen Theilen nöthig ist und überall den Werth des Bestehenden vermindert.
Und es ist zu hoffen, daß grade dies gemeinsame Bedürfniß der gesammten
Nation und die Größe der Aufgabe den Gebieten, welche jetzt preußisch geworden
sind, leichter machen wird, sich in das Ganze einzuleben.

Deshalb werden die Berathungen, welche jetzt in den preußischen Mini¬
sterien stattfinden, wahrscheinlich nur den Zweck haben, die Regierungsmaschine
in den erworbenen Ländern zu promptem Dienst zu bringen und auffallende
Schäden zu tilgen. In Preußen selbst wird Recht nach verschiedenen Gesetz¬
büchern gesprochen, schon besteht dort der Code neben dem Landrecht, der Han¬
noveraner wird wie bisher nach gemeinem Recht Urtheil erhalten, der Ostfriese
sich leicht an die Fortbildung gewöhnen, welche das preußische Landrecht er¬
fahren hat, seit er vom preußischen Staat getrennt wurde. Eine neue Gemeinde-
und Kreisverfassung wird der Hesse und Nassauer in der nächsten Zukunft
gemeinsam mit dem Preußen berathen, ein neues Gewerbcgesctz wird in dem
Parlament von allen Bundesstaaten vereinbart werden.

Prüft man die innern Schwierigkeiten der Vereinigung, so liegen dieselben,
soweit unser Verständniß reicht, vornehmlich auf den Gebieten der Steuern und
der idealen Interessen. Die Steuerlast ist in den neuen Provinzen nicht des¬
halb niedriger, weil die Regierung des Kleinstaats weniger leistete und Kosten
verursachte, im Gegentheil, die Kosten des Beamtenthums waren größer, nur
die des Heeres kleiner. Aber Hannover, Hessen. Nassau und Sachsen, wenn
dies hier erwähnt werden darf, haben einen größeren Bruchtheil ihrer Staats¬
einnahmen aus ihrem Domanialvermögen bezogen, als Preußen. Bergwerke,
Forsten. Staatsgüter, in Sachsen die Rente der Staatseisenbahn, haben dem
Volke die Steuerlast crieichurt. Jetzt fürchtet die Bevölkerung dieser Länder


jetzt im Uebergang aus dem Beamten- zu freiem Gemeindeleben und selbständiger
Organisation der realen Interessen. Alle haben in den wichtigsten Theilen ihrer
Gesetzgebung und Verwaltung seit Decennien viele Umbildungen erfahren, die
Beamten und das Volk sind gewöhnt, sich in Neues zu finden. Die Gesetz¬
gebung der letzten fünfzig Jahre ist überall unter Einwirkung eines Staates
auf den andern erfolgt, schon jetzt sind Gesetze und die Verwaltungsmaschinerie
nur an sehr wenigen Stellen grundverschieden.

Die Annäherung wird ferner dadurch erleichtert, daß auch in Preußen
Gesetzgebung und Verwaltung in der nächsten Zeit eine lange zurückgehaltene
Fortbildung erfahren müssen, die Gemeinde- und Kreisverfassung, die Bezirks¬
regierungen, die Kompetenz der Provinzialstände, ja sogar die Competenz des
preußischen Landtags müssen geändert werden. Die gesammte Verkehrsgesetz¬
gebung aber soll jetzt für alle durch die Bundesgewalt neu geordnet werden.

So stehen wir Deutsche sämmtlich vor einer innern Neubildung, welche
allen Theilen nöthig ist und überall den Werth des Bestehenden vermindert.
Und es ist zu hoffen, daß grade dies gemeinsame Bedürfniß der gesammten
Nation und die Größe der Aufgabe den Gebieten, welche jetzt preußisch geworden
sind, leichter machen wird, sich in das Ganze einzuleben.

Deshalb werden die Berathungen, welche jetzt in den preußischen Mini¬
sterien stattfinden, wahrscheinlich nur den Zweck haben, die Regierungsmaschine
in den erworbenen Ländern zu promptem Dienst zu bringen und auffallende
Schäden zu tilgen. In Preußen selbst wird Recht nach verschiedenen Gesetz¬
büchern gesprochen, schon besteht dort der Code neben dem Landrecht, der Han¬
noveraner wird wie bisher nach gemeinem Recht Urtheil erhalten, der Ostfriese
sich leicht an die Fortbildung gewöhnen, welche das preußische Landrecht er¬
fahren hat, seit er vom preußischen Staat getrennt wurde. Eine neue Gemeinde-
und Kreisverfassung wird der Hesse und Nassauer in der nächsten Zukunft
gemeinsam mit dem Preußen berathen, ein neues Gewerbcgesctz wird in dem
Parlament von allen Bundesstaaten vereinbart werden.

Prüft man die innern Schwierigkeiten der Vereinigung, so liegen dieselben,
soweit unser Verständniß reicht, vornehmlich auf den Gebieten der Steuern und
der idealen Interessen. Die Steuerlast ist in den neuen Provinzen nicht des¬
halb niedriger, weil die Regierung des Kleinstaats weniger leistete und Kosten
verursachte, im Gegentheil, die Kosten des Beamtenthums waren größer, nur
die des Heeres kleiner. Aber Hannover, Hessen. Nassau und Sachsen, wenn
dies hier erwähnt werden darf, haben einen größeren Bruchtheil ihrer Staats¬
einnahmen aus ihrem Domanialvermögen bezogen, als Preußen. Bergwerke,
Forsten. Staatsgüter, in Sachsen die Rente der Staatseisenbahn, haben dem
Volke die Steuerlast crieichurt. Jetzt fürchtet die Bevölkerung dieser Länder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/476>, abgerufen am 22.07.2024.