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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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wird noch längere Zeit ihre Nachwirkungen spüren, aber der Friede erfüllt mit
neuer Zuversicht, und der Verleger wird zur Friedenstaube, die das Oelblatt
in Gestalt eines "Friedensfestmarsches" oder in einem "vorm'ire "küvum ssg,e
reßöm" für bevorstehende kirchliche Feierlichkeiten bringt.




Proben deutscher Friedenspoefie aus dem Jahre 1763.

Es liegt sehr nahe, die Stimmungen dieses Sommers mir den entsprechen¬
den der Jahre 1763 und 1813 zu vergleichen. Das Ende des siebenjährigen
Krieges ist den preußischen Patrioten der erste Schritt zur politischen Neu-
belebung Deutschlands, die Freiheitskriege der zweite, die Arbeit dieses Sommers,
so hoffen wir, der dritte. Ueberraschend ist in vielem die AeKnlichkeil der alten
und neuen Zustände. Sogar schon das Jahr 1763 bietet viele Parallelen und
wir nehmen an. daß unsere Presse sich bei größerer Ruhe nicht versagen wird,
reichlich darauf hinzuweisen. Nur auf einem Gebiet deutschen Lebens wird der
Vergleich nicht leicht, im Reiche deutscher Poesie. Unsere Oden und Festspiele
zur Feier des Sieges lauten ziemlich anspruchslos, fast in jeder Hinsicht ist un¬
ser Leben anspruchsvoller geworden, nur unsere Dichter haben gelernt, daß sie
bei Krieg und Friedensschluß nicht die Führer der Nation sind. Unzweifelhaft
hatten sie im Jahr 1863 etwas von diesem jugendlichen Selbstgefühl. Friedrich
der Zweite selbst hielt sich für einen Dichter, und seine Zeitgenossen hätten daS
ganz in der Ordnung gefunden, wäre er nur den deutschen Versen hold gewe¬
sen; Ramler, Kleist, Gleim und wieder Gellert und Rabener waren in Wahr¬
heit die Führer der öffentlichen Meinung, fast genau so. wie in unseren Tagen
die Journalistik. Unter den zahlreichen Poesien, welche Krieg und Frieden poe¬
tisch verklären, nehmen die dramatischen nicht geringen Raum ein. Sie wurden
aber nicht nur wie jetzt für die Aufführung geschrieben, die dramatische Form war
damals auch beliebt für politische Pamphlets, welche zuweilen genau Scenirung
und Zwischenspiele der damaligen Ballets und Divertissements haben. In ein¬
zelnen Fällen kann man sogar zweifelhaft sein, ob sie für Aufführung oder
Lecture geschrieben seien. Sie erschienen in der Regel anonym, denn politische
Parteinahme war damals den Gewaltigen gegenüber keine kleine Sache, und
der Deutsche durchaus nicht geneigt, den Frieden seines Hauses dadurch auf das
Spiel zu setzen, daß er sich zum Gegenstand einer skeptischen Aufmerksamkeit
der Zeitgenossen machte und den "Noirius oder Neid mit seinem scheelen und
verdrießlichen Angesicht" gewissermaßen- gegen sich herausforderte. Von solcher
dramatischen Politik nennen wir hier einige Seltenheiten. zunächst: ., Der Krieg
in Teutschland", ein dramatisches Gedicht in fünf Auszügen (1758), in wel¬
chem die Götter der Römer und allegorische Personen sich heftig über den Hel¬
den Friedrich streiten und gegen ihn intriguiren. Dann.-. "Der Krieg und


wird noch längere Zeit ihre Nachwirkungen spüren, aber der Friede erfüllt mit
neuer Zuversicht, und der Verleger wird zur Friedenstaube, die das Oelblatt
in Gestalt eines „Friedensfestmarsches" oder in einem „vorm'ire «küvum ssg,e
reßöm" für bevorstehende kirchliche Feierlichkeiten bringt.




Proben deutscher Friedenspoefie aus dem Jahre 1763.

Es liegt sehr nahe, die Stimmungen dieses Sommers mir den entsprechen¬
den der Jahre 1763 und 1813 zu vergleichen. Das Ende des siebenjährigen
Krieges ist den preußischen Patrioten der erste Schritt zur politischen Neu-
belebung Deutschlands, die Freiheitskriege der zweite, die Arbeit dieses Sommers,
so hoffen wir, der dritte. Ueberraschend ist in vielem die AeKnlichkeil der alten
und neuen Zustände. Sogar schon das Jahr 1763 bietet viele Parallelen und
wir nehmen an. daß unsere Presse sich bei größerer Ruhe nicht versagen wird,
reichlich darauf hinzuweisen. Nur auf einem Gebiet deutschen Lebens wird der
Vergleich nicht leicht, im Reiche deutscher Poesie. Unsere Oden und Festspiele
zur Feier des Sieges lauten ziemlich anspruchslos, fast in jeder Hinsicht ist un¬
ser Leben anspruchsvoller geworden, nur unsere Dichter haben gelernt, daß sie
bei Krieg und Friedensschluß nicht die Führer der Nation sind. Unzweifelhaft
hatten sie im Jahr 1863 etwas von diesem jugendlichen Selbstgefühl. Friedrich
der Zweite selbst hielt sich für einen Dichter, und seine Zeitgenossen hätten daS
ganz in der Ordnung gefunden, wäre er nur den deutschen Versen hold gewe¬
sen; Ramler, Kleist, Gleim und wieder Gellert und Rabener waren in Wahr¬
heit die Führer der öffentlichen Meinung, fast genau so. wie in unseren Tagen
die Journalistik. Unter den zahlreichen Poesien, welche Krieg und Frieden poe¬
tisch verklären, nehmen die dramatischen nicht geringen Raum ein. Sie wurden
aber nicht nur wie jetzt für die Aufführung geschrieben, die dramatische Form war
damals auch beliebt für politische Pamphlets, welche zuweilen genau Scenirung
und Zwischenspiele der damaligen Ballets und Divertissements haben. In ein¬
zelnen Fällen kann man sogar zweifelhaft sein, ob sie für Aufführung oder
Lecture geschrieben seien. Sie erschienen in der Regel anonym, denn politische
Parteinahme war damals den Gewaltigen gegenüber keine kleine Sache, und
der Deutsche durchaus nicht geneigt, den Frieden seines Hauses dadurch auf das
Spiel zu setzen, daß er sich zum Gegenstand einer skeptischen Aufmerksamkeit
der Zeitgenossen machte und den „Noirius oder Neid mit seinem scheelen und
verdrießlichen Angesicht" gewissermaßen- gegen sich herausforderte. Von solcher
dramatischen Politik nennen wir hier einige Seltenheiten. zunächst: ., Der Krieg
in Teutschland", ein dramatisches Gedicht in fünf Auszügen (1758), in wel¬
chem die Götter der Römer und allegorische Personen sich heftig über den Hel¬
den Friedrich streiten und gegen ihn intriguiren. Dann.-. „Der Krieg und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/468>, abgerufen am 03.07.2024.