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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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aber verwies er, trotz der feuchtenden Nachtluft, auf den Kutscherbock. "Denn,"
sagte er in seinem Landjägerkanzleistil, "zu einem Arrestanten darf niemand
Dritteres in den Wagen!"

Im Wagen fing dieser bewaffnete Schutzengel an auf den Landtag zu
schimpfen, welcher die Mittel zum Krieg gegen Preußen verweigert hatte und
deshalb am 6. Juli von dem Herzog aufgelöst worden war. "Diese frechen
Landstände," schrie er. "haben sich zu viel erlaubt, sie wollten alles zu Grunde
richten und stimmten gegen alle Vernunft!" Da mich diese Stimme des be-
waffneten Volks interessirte, bat ich ihn. mir ein Beispiel eines solchen unver¬
nünftigen Beschlusses anzuführen, und er erwiderte: "Diese Landstände haben sogar
die fünfhundert Gulden gestrichen, welche im Budget für Gratificationen an die
Landjäger angefordert waren; sie haben sich damit als Feinde der öffentlichen
Sicherheit dargestellt." Ich sagte ihm, diese Gratificationen seien notorischer¬
maßen an solche gegeben worden, welche sich zur politischen Spionage. zur Be¬
unruhigung der Gemüther, zur Störung des Friedens der bürgerlichen Gesell¬
schaft, zur Entweihung der Familie, zum Klatschen und Hetzen, zur Speichel-
leckerei gegen den Commandanten und zur Leistung von Privatverrichtungen
für denselben hergegeben und den eigentlichen und wahren Landessicherheits-
dienst vernachlässigt hätten; deshalb hätten die Landstände Geld zu fernerem
Mißbrauch verweigert. Gratificationen für solche Landjäger, die sich durch Bravour
oder sonstwie im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgezeichnet,
würde die Ständeversammlung mit Vergnügen verwilligt haben. Damit schien
sich der Landjäger zu beruhigen.

Nachts zwischen 11 und 12 Uhr kamen wir in Bad Schwalbach an. Wir
wurden im Amtshof abgeladen; und da der gestrenge Herr Amtmann bereits
schlief, so klopften wir ihn heraus. Er war merkwürdigerweise sehr höflich,
blätterte ein wenig in den Acten herum, die ihm der Landjäger überreichte, er¬
klärte darauf, er finde nicht den geringsten Grund, uns gefangen zu halten, und
setzte uns in Freiheit.

Das Räthsel, warum wir verhaftet worden seien, wurde mir immer unlös-
barer. Ich habe nie einen Haftbefehl, nie einen Freilassungsbefehl, nie ein Ur¬
theil oder Was dem gleicht, zu sehen bekommen. Als ich nach meinen Anklägern
und Denuncianten fragte, hieß es: "Das sei Dienstgeheimniß."

Ich legte mich mit großem Wohlbehagen in mein eigenes Bett und sprach
mit Wallenstein:


"Ich denke einen langen Schlaf zu thun,
Denn dieser letzten Tage Last war groß."

Am andern Tag marschirten die Preußen in Bad Schwalbach und Wies¬
baden ein. Der Amtmann Gull wurde vom Dienste suspendirt und in Unter-


aber verwies er, trotz der feuchtenden Nachtluft, auf den Kutscherbock. „Denn,"
sagte er in seinem Landjägerkanzleistil, „zu einem Arrestanten darf niemand
Dritteres in den Wagen!"

Im Wagen fing dieser bewaffnete Schutzengel an auf den Landtag zu
schimpfen, welcher die Mittel zum Krieg gegen Preußen verweigert hatte und
deshalb am 6. Juli von dem Herzog aufgelöst worden war. „Diese frechen
Landstände," schrie er. „haben sich zu viel erlaubt, sie wollten alles zu Grunde
richten und stimmten gegen alle Vernunft!" Da mich diese Stimme des be-
waffneten Volks interessirte, bat ich ihn. mir ein Beispiel eines solchen unver¬
nünftigen Beschlusses anzuführen, und er erwiderte: „Diese Landstände haben sogar
die fünfhundert Gulden gestrichen, welche im Budget für Gratificationen an die
Landjäger angefordert waren; sie haben sich damit als Feinde der öffentlichen
Sicherheit dargestellt." Ich sagte ihm, diese Gratificationen seien notorischer¬
maßen an solche gegeben worden, welche sich zur politischen Spionage. zur Be¬
unruhigung der Gemüther, zur Störung des Friedens der bürgerlichen Gesell¬
schaft, zur Entweihung der Familie, zum Klatschen und Hetzen, zur Speichel-
leckerei gegen den Commandanten und zur Leistung von Privatverrichtungen
für denselben hergegeben und den eigentlichen und wahren Landessicherheits-
dienst vernachlässigt hätten; deshalb hätten die Landstände Geld zu fernerem
Mißbrauch verweigert. Gratificationen für solche Landjäger, die sich durch Bravour
oder sonstwie im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgezeichnet,
würde die Ständeversammlung mit Vergnügen verwilligt haben. Damit schien
sich der Landjäger zu beruhigen.

Nachts zwischen 11 und 12 Uhr kamen wir in Bad Schwalbach an. Wir
wurden im Amtshof abgeladen; und da der gestrenge Herr Amtmann bereits
schlief, so klopften wir ihn heraus. Er war merkwürdigerweise sehr höflich,
blätterte ein wenig in den Acten herum, die ihm der Landjäger überreichte, er¬
klärte darauf, er finde nicht den geringsten Grund, uns gefangen zu halten, und
setzte uns in Freiheit.

Das Räthsel, warum wir verhaftet worden seien, wurde mir immer unlös-
barer. Ich habe nie einen Haftbefehl, nie einen Freilassungsbefehl, nie ein Ur¬
theil oder Was dem gleicht, zu sehen bekommen. Als ich nach meinen Anklägern
und Denuncianten fragte, hieß es: „Das sei Dienstgeheimniß."

Ich legte mich mit großem Wohlbehagen in mein eigenes Bett und sprach
mit Wallenstein:


„Ich denke einen langen Schlaf zu thun,
Denn dieser letzten Tage Last war groß."

Am andern Tag marschirten die Preußen in Bad Schwalbach und Wies¬
baden ein. Der Amtmann Gull wurde vom Dienste suspendirt und in Unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/459>, abgerufen am 25.08.2024.