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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Soldaten nicht leiden. "Wir haben keine Ordres dazu", sagten sie. Wir wur¬
den in einen Omnibus gepackt und nach Wiesbaden in das Amtsgefängniß ge¬
fahren, um vor unsern gesetzlichen Richter gestellt zu werden, welchem man uns
nicht hätte entziehen sollen. Kaum im Gefängniß angelangt, hatte ich dort das
Vergnügen, meinen Landtagscollcgen Dr. Braun zu begrüßen, der nicht nur
mit geistigem Trost, sondern als praktischer Mann auch mit einem für uns alle
hinreichenden dampfenden und schmackhaften Mittagsessen und einigen Flaschen'
trefflichen Nheingauers erschien. Von ihm erfuhren wir, welche Anstrengungen
er und unsere Freunde gemacht hatten, um uns zu befreien. Das Obergericht
in Wiesbaden hatte dem Amtmann Gull in Schwalbach befohlen, uns wieder
zur Stelle zu schaffen und vor unseren ordentlichen Richter zu stellen. Die
Militärbehörden gaben aber unter Berufung auf "höhere Ordre" den Civil-
requisitionen keine Folge mehr. Man bestürmte nun das Ministerium. Allein
der alte achtzigjährige Minister Prinz Wittgenstein, der. obgleich Cavalerie-
general, wie gesagt, auch die Geschäfte des Justizdepartements führte, weigerte sich,
den Befehl zu unserer Auslieferung an .die Gerichte zu erlassen. Erst nachdem
ihm der Regierungspräsident Winter, ein sehr konservativer, aber hochachtbarer
und strengrechtlicher Mann, erklärt hatte, wenn er diesen Befehl nicht erlasse,
wenn in Nassau das Gesetz nichts mehr gelte, dann werde er, Winter, sofort
seinen Posten niederlegen, -- erst da erging am 17. Juli Nachmittags der Be¬
fehl. Er kam in Bibrich zu spät. Erst in Castel erreichte er uns. Dies war
der Grund, warum wir statt in die Kasematten der Festung zu wandern, zurück¬
kehrten. Waren wir einmal in den Kasematten, so waren wir, da Mainz bald
danach von den Preußen cernirt wurde, vorab gut verwahrt; und was weiter
aus uns wurde, das konnte bei der gemüthlichen Anarchie, die bei der Bundes¬
tagsarmee herrschte, kein Sterblicher ahnen. Wer weiß, was unser Schicksal
war, wenn nicht der Herzog am 16. Juli schon das Land hätte verlassen müssen.
Wir wären dann vielleicht unfreiwillig noch weiter nach Süden gewandert, wie
der bibricher Marstall und die rheingauer Weine.

Der Amtmann in Wiesbaden eröffnete uns. er finde in den Acten nicht
den geringsten Grund zu unserer Verhaftung, bedauere aber, uns nicht sofort
freigeben, sondern nur nach Schwalbach schicken zu können, weil dort das Amt
competent sei.

So fuhren wir denn Abends spät nach. Bad Schwalbach. Die andern
im Omnibus, ich und der kranke Dr. Davey in meinem Wagen, den meine
Frau mitgebracht hatte. Der braven Frau, welche die größten Anstrengungen
für mich gemacht hatte und von diesen und der schrecklichen Aufregung des
Tages halb entseelt war, gestattete der Landjäger, welcher uns escortirte, nicht
einmal, in meinem eigenen Wagen zu fahren. Er postirte mich und den Doctor
Davey in die Kutsche und pflanzte sich selbst uns gegenüber auf. Meine Frau


Soldaten nicht leiden. „Wir haben keine Ordres dazu", sagten sie. Wir wur¬
den in einen Omnibus gepackt und nach Wiesbaden in das Amtsgefängniß ge¬
fahren, um vor unsern gesetzlichen Richter gestellt zu werden, welchem man uns
nicht hätte entziehen sollen. Kaum im Gefängniß angelangt, hatte ich dort das
Vergnügen, meinen Landtagscollcgen Dr. Braun zu begrüßen, der nicht nur
mit geistigem Trost, sondern als praktischer Mann auch mit einem für uns alle
hinreichenden dampfenden und schmackhaften Mittagsessen und einigen Flaschen'
trefflichen Nheingauers erschien. Von ihm erfuhren wir, welche Anstrengungen
er und unsere Freunde gemacht hatten, um uns zu befreien. Das Obergericht
in Wiesbaden hatte dem Amtmann Gull in Schwalbach befohlen, uns wieder
zur Stelle zu schaffen und vor unseren ordentlichen Richter zu stellen. Die
Militärbehörden gaben aber unter Berufung auf „höhere Ordre" den Civil-
requisitionen keine Folge mehr. Man bestürmte nun das Ministerium. Allein
der alte achtzigjährige Minister Prinz Wittgenstein, der. obgleich Cavalerie-
general, wie gesagt, auch die Geschäfte des Justizdepartements führte, weigerte sich,
den Befehl zu unserer Auslieferung an .die Gerichte zu erlassen. Erst nachdem
ihm der Regierungspräsident Winter, ein sehr konservativer, aber hochachtbarer
und strengrechtlicher Mann, erklärt hatte, wenn er diesen Befehl nicht erlasse,
wenn in Nassau das Gesetz nichts mehr gelte, dann werde er, Winter, sofort
seinen Posten niederlegen, — erst da erging am 17. Juli Nachmittags der Be¬
fehl. Er kam in Bibrich zu spät. Erst in Castel erreichte er uns. Dies war
der Grund, warum wir statt in die Kasematten der Festung zu wandern, zurück¬
kehrten. Waren wir einmal in den Kasematten, so waren wir, da Mainz bald
danach von den Preußen cernirt wurde, vorab gut verwahrt; und was weiter
aus uns wurde, das konnte bei der gemüthlichen Anarchie, die bei der Bundes¬
tagsarmee herrschte, kein Sterblicher ahnen. Wer weiß, was unser Schicksal
war, wenn nicht der Herzog am 16. Juli schon das Land hätte verlassen müssen.
Wir wären dann vielleicht unfreiwillig noch weiter nach Süden gewandert, wie
der bibricher Marstall und die rheingauer Weine.

Der Amtmann in Wiesbaden eröffnete uns. er finde in den Acten nicht
den geringsten Grund zu unserer Verhaftung, bedauere aber, uns nicht sofort
freigeben, sondern nur nach Schwalbach schicken zu können, weil dort das Amt
competent sei.

So fuhren wir denn Abends spät nach. Bad Schwalbach. Die andern
im Omnibus, ich und der kranke Dr. Davey in meinem Wagen, den meine
Frau mitgebracht hatte. Der braven Frau, welche die größten Anstrengungen
für mich gemacht hatte und von diesen und der schrecklichen Aufregung des
Tages halb entseelt war, gestattete der Landjäger, welcher uns escortirte, nicht
einmal, in meinem eigenen Wagen zu fahren. Er postirte mich und den Doctor
Davey in die Kutsche und pflanzte sich selbst uns gegenüber auf. Meine Frau


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/458>, abgerufen am 22.07.2024.