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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Am Nachmittag des letztgenannten Tages aber wurde der reichsübliche
Spionenfang mit erneuerten Kräften wieder begonnen. Wir hatten Gelegenheit,
den Hergang aus dem Munde eines der Opfer erzählen zu hören, dessen Namen
wir unserer Aufzeichnung vorgesetzt haben. Herr Christian Kling, ein in all¬
gemeiner Achtung stehender Mann, von etwa 84 Jahren, ist Besitzer eines
Badehaus^s, "zum Kranich" in Schwalbach und Rechner oder Kämmerer der
S'adtgemeinde. Er war eines der trotz wiederholter Auflösungen stets wieder¬
gewählten liberalen Mitglieder des Landtages von 1866, der so tapfer den
vereinigten Drohungen einer verblendeten Negierung und eines bethörten Pöbels
widerstanden und sich dadurch, -- wie man jetzt, freilich erst jetzt, allgemein
anerkennt -- das Land zum größten Danke verpflichtet hat. Ehemals Lehrer,
vereinigt Herr Kling mit einem gebildeten Geiste ein versöhnliches, fast weiches
Gemüth. Er ist ein Man", der vielleicht Gegner haben kann, gewiß keine
Feinde haben sollte, der aber gleichwohl zum Gegenstand falscher Denunciationen
ward in einer Zeit, wo eine noch so unbegründete Denunciation eine begründete
Anwartschaft auf standrechtliche Behandlung gab.

Dieser Herr Kling also erzählt seine ernsten Schicksale im Folgenden mit
eigenen Worten:

"Am Nachmittag des 13. Juli war ich mit einigen Freunden in dem Rus¬
sischen Hof in Schwalbach. Da erschien der Landjägerwachimeister Schmidt,
bekannt durch seine Wahlumtriebe und seinen bei dieser Gelegenheit kundgege¬
benen politischen Parteifanatismus. Er trat auf mich zu mit den Worten:
"Herr Kling, Sie möchten doch gleich einmal zu dem Herrn Amtmann Gull
kommen." -- Ein nassauischer Amtmann ist el" großer Mann. Er ist nämlich
nicht allein Ehef der localen Verwaltung und Polizei, sondern auch Borsitzender
des Gerichts erster Instanz, in Civil- wie in Kriminalsachen. Durch diese son¬
derbare Stellung vereinigt sich öfters die Functio" des Anklägers (oder des An¬
geklagten) und des Richters in einer und derselben Person. Herr Gull hatte in den
Wahlkämpfen der letzten Jahre stets eine sehr prononcirte Stellung zu Gunsten
des Herrn Werren. der ihm die gute Pfründe Schwalbach in Anbetracht seiner
nicht mit hervorragenden Fähigkeiten verbundenen starken Gesinnung verliehen
hatte, und zu Gunsten des klerikal-östreichischen Systems eingenommen. Na¬
mentlich hatte er sich durch einige öffentliche Erklärungen hervorgethan, in
welchen er die liberale Partei mit Ausdrücken beehrte, welche man sonst in
guter Gesellschaft zu hören nicht gewöhnt ist. Infolge dieser Stellung war ich
als liberaler Abgeordneter einige Male in persönliche Conflicte mit ihm ge¬
kommen, unter andern deshalb, weil er die Zusammenkünfte der Liberalen unter¬
drückte, verbot und durch bewaffnete Landjäger auflöste, während er selbst auf
Befehl und unter persönlicher Mitwirkung seines Gönners, des Regierungs-
directors Werren, in Bad Schwalbach "Versammlungen prcußenfcindlicher,


Am Nachmittag des letztgenannten Tages aber wurde der reichsübliche
Spionenfang mit erneuerten Kräften wieder begonnen. Wir hatten Gelegenheit,
den Hergang aus dem Munde eines der Opfer erzählen zu hören, dessen Namen
wir unserer Aufzeichnung vorgesetzt haben. Herr Christian Kling, ein in all¬
gemeiner Achtung stehender Mann, von etwa 84 Jahren, ist Besitzer eines
Badehaus^s, „zum Kranich" in Schwalbach und Rechner oder Kämmerer der
S'adtgemeinde. Er war eines der trotz wiederholter Auflösungen stets wieder¬
gewählten liberalen Mitglieder des Landtages von 1866, der so tapfer den
vereinigten Drohungen einer verblendeten Negierung und eines bethörten Pöbels
widerstanden und sich dadurch, — wie man jetzt, freilich erst jetzt, allgemein
anerkennt — das Land zum größten Danke verpflichtet hat. Ehemals Lehrer,
vereinigt Herr Kling mit einem gebildeten Geiste ein versöhnliches, fast weiches
Gemüth. Er ist ein Man», der vielleicht Gegner haben kann, gewiß keine
Feinde haben sollte, der aber gleichwohl zum Gegenstand falscher Denunciationen
ward in einer Zeit, wo eine noch so unbegründete Denunciation eine begründete
Anwartschaft auf standrechtliche Behandlung gab.

Dieser Herr Kling also erzählt seine ernsten Schicksale im Folgenden mit
eigenen Worten:

„Am Nachmittag des 13. Juli war ich mit einigen Freunden in dem Rus¬
sischen Hof in Schwalbach. Da erschien der Landjägerwachimeister Schmidt,
bekannt durch seine Wahlumtriebe und seinen bei dieser Gelegenheit kundgege¬
benen politischen Parteifanatismus. Er trat auf mich zu mit den Worten:
„Herr Kling, Sie möchten doch gleich einmal zu dem Herrn Amtmann Gull
kommen." — Ein nassauischer Amtmann ist el» großer Mann. Er ist nämlich
nicht allein Ehef der localen Verwaltung und Polizei, sondern auch Borsitzender
des Gerichts erster Instanz, in Civil- wie in Kriminalsachen. Durch diese son¬
derbare Stellung vereinigt sich öfters die Functio» des Anklägers (oder des An¬
geklagten) und des Richters in einer und derselben Person. Herr Gull hatte in den
Wahlkämpfen der letzten Jahre stets eine sehr prononcirte Stellung zu Gunsten
des Herrn Werren. der ihm die gute Pfründe Schwalbach in Anbetracht seiner
nicht mit hervorragenden Fähigkeiten verbundenen starken Gesinnung verliehen
hatte, und zu Gunsten des klerikal-östreichischen Systems eingenommen. Na¬
mentlich hatte er sich durch einige öffentliche Erklärungen hervorgethan, in
welchen er die liberale Partei mit Ausdrücken beehrte, welche man sonst in
guter Gesellschaft zu hören nicht gewöhnt ist. Infolge dieser Stellung war ich
als liberaler Abgeordneter einige Male in persönliche Conflicte mit ihm ge¬
kommen, unter andern deshalb, weil er die Zusammenkünfte der Liberalen unter¬
drückte, verbot und durch bewaffnete Landjäger auflöste, während er selbst auf
Befehl und unter persönlicher Mitwirkung seines Gönners, des Regierungs-
directors Werren, in Bad Schwalbach „Versammlungen prcußenfcindlicher,


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[0444] Am Nachmittag des letztgenannten Tages aber wurde der reichsübliche Spionenfang mit erneuerten Kräften wieder begonnen. Wir hatten Gelegenheit, den Hergang aus dem Munde eines der Opfer erzählen zu hören, dessen Namen wir unserer Aufzeichnung vorgesetzt haben. Herr Christian Kling, ein in all¬ gemeiner Achtung stehender Mann, von etwa 84 Jahren, ist Besitzer eines Badehaus^s, „zum Kranich" in Schwalbach und Rechner oder Kämmerer der S'adtgemeinde. Er war eines der trotz wiederholter Auflösungen stets wieder¬ gewählten liberalen Mitglieder des Landtages von 1866, der so tapfer den vereinigten Drohungen einer verblendeten Negierung und eines bethörten Pöbels widerstanden und sich dadurch, — wie man jetzt, freilich erst jetzt, allgemein anerkennt — das Land zum größten Danke verpflichtet hat. Ehemals Lehrer, vereinigt Herr Kling mit einem gebildeten Geiste ein versöhnliches, fast weiches Gemüth. Er ist ein Man», der vielleicht Gegner haben kann, gewiß keine Feinde haben sollte, der aber gleichwohl zum Gegenstand falscher Denunciationen ward in einer Zeit, wo eine noch so unbegründete Denunciation eine begründete Anwartschaft auf standrechtliche Behandlung gab. Dieser Herr Kling also erzählt seine ernsten Schicksale im Folgenden mit eigenen Worten: „Am Nachmittag des 13. Juli war ich mit einigen Freunden in dem Rus¬ sischen Hof in Schwalbach. Da erschien der Landjägerwachimeister Schmidt, bekannt durch seine Wahlumtriebe und seinen bei dieser Gelegenheit kundgege¬ benen politischen Parteifanatismus. Er trat auf mich zu mit den Worten: „Herr Kling, Sie möchten doch gleich einmal zu dem Herrn Amtmann Gull kommen." — Ein nassauischer Amtmann ist el» großer Mann. Er ist nämlich nicht allein Ehef der localen Verwaltung und Polizei, sondern auch Borsitzender des Gerichts erster Instanz, in Civil- wie in Kriminalsachen. Durch diese son¬ derbare Stellung vereinigt sich öfters die Functio» des Anklägers (oder des An¬ geklagten) und des Richters in einer und derselben Person. Herr Gull hatte in den Wahlkämpfen der letzten Jahre stets eine sehr prononcirte Stellung zu Gunsten des Herrn Werren. der ihm die gute Pfründe Schwalbach in Anbetracht seiner nicht mit hervorragenden Fähigkeiten verbundenen starken Gesinnung verliehen hatte, und zu Gunsten des klerikal-östreichischen Systems eingenommen. Na¬ mentlich hatte er sich durch einige öffentliche Erklärungen hervorgethan, in welchen er die liberale Partei mit Ausdrücken beehrte, welche man sonst in guter Gesellschaft zu hören nicht gewöhnt ist. Infolge dieser Stellung war ich als liberaler Abgeordneter einige Male in persönliche Conflicte mit ihm ge¬ kommen, unter andern deshalb, weil er die Zusammenkünfte der Liberalen unter¬ drückte, verbot und durch bewaffnete Landjäger auflöste, während er selbst auf Befehl und unter persönlicher Mitwirkung seines Gönners, des Regierungs- directors Werren, in Bad Schwalbach „Versammlungen prcußenfcindlicher,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/444>, abgerufen am 01.07.2024.