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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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auf ihrem Willen bestand, so fügte sich der achtzigjährige Minister wie immer.
Am 17. Juli 1866, Nachmittags 4 Uhr wurde der Schloßverwalter ni. D. Hoff¬
mann wegen seiner Aeußerung über die Kuh verhaftet und in die Kasematten
von Mainz gebracht. Am 18. Juli 1866. Nachmittags um 4 Uhr rückten ti-e
Preußen ein, und Prinz Wittgenstein verließ Wiesbaden, um in den drei Mohren
zu Augsburg Bundestag zu spielen. Wechsel des Schicksals!

Doch zurück nach Zorn. Ein Gutsbesitzer aus der Nähe belauschte die
preußische Feldwache, welche sich ganz sicher glaubte, bei ihrer "kannibalischen
Mahlzeit" und verrieth sie den Nassauern. Ein Theil der letzteren schlich sich
hinten herum durch die Wälder. Ein kleinerer Trupp gerieth ans den wirklich
sinnreiche" Einfall, sich in den leeren Eilwagen zu setzen und so unbemerkt in
die Nähe der Preußen zu gelangen. Die letzteren, von beiden Seiten zugleich
attakirt, ohne Waffen, in Hemdsärmeln, ergaben sich. Es waren neunzehn
Mann Landwehr zweiten Aufgebots.' Sie wurden am 14. nach Wiesbaden,
am 1ö. nach der Buudesfestung Mainz gebracht. Auf der Eisenbahn dort¬
hin fahrend, saugen sie wohlgemut!): "Ich bin ein Preuße, kennt Ihr meine
Farben."

Avr Mainz wurden sie nach Rastadt, dann nach Ulm und wer weiß wo¬
hin sonst noch geschleppt. Dieses sind jene gefangenen "neunzehn Preußen"
welche von der süddeutschen Presse wenigstens verzwanzigfacht und von jedem
Gefecht benannt worden sind. Dieselben neunzehn Mann sind erstens in Nassau,
zweitens in Aschaffenburg, drittens in Lohr, viertens in Kissingen u. s. w. ge¬
fangen worden. Alle Gcfcchtsplätze stritten sich um dieselben, wie die griechi¬
schen Städte um die Ehre, der Geburtsort des blinden Säugers zu sein. Es
waren und blieben aber immer doch nur neunzehn.*)

Das war die Schlacht bei Zorn. Da es aber in der Reichsarmee nun
einmal Sitte war, wenigstens ebenso viel "Spione" zu fangen als Feinde, so
mußte in dem kleinen Bad Schwalbach. einem Städtchen von 2,000 Einwohnern,
welches das friedlichste aller Gewerbe, die Bäder-Industrie, betreibt und keine
Nation vor der andern bevorzugt, sie vielmehr alle gleich freundlich aufnimmt,
vorausgesetzt, daß sie Geld haben. -- auch hier mußte das Bedürfniß nach
Spionen, so gut wie es die vorhandenen geringen Mittel erlaubten, befriedigt
werden. So forderte es ja auch die Stimme des Volkes, wie sie sich aussprach
in der klerikalen und radicalen Presse.

.In jener Stunde der Mitternacht, welche inmitten lag zwischen der Schlacht
bei Schwalbach und der Schlacht bei Zorn, füllte sich plötzlich im "Russischen
Hofe" zu Bad Schwalbach das Schlafzimmer des Eigenthümers Herrn Wilhelm



") Dieselben sind auch schon in No. 3S der Grenzboten i "Zwei Monate in der Bundes,
festung Mainz" dramatisch aufgetreten.

auf ihrem Willen bestand, so fügte sich der achtzigjährige Minister wie immer.
Am 17. Juli 1866, Nachmittags 4 Uhr wurde der Schloßverwalter ni. D. Hoff¬
mann wegen seiner Aeußerung über die Kuh verhaftet und in die Kasematten
von Mainz gebracht. Am 18. Juli 1866. Nachmittags um 4 Uhr rückten ti-e
Preußen ein, und Prinz Wittgenstein verließ Wiesbaden, um in den drei Mohren
zu Augsburg Bundestag zu spielen. Wechsel des Schicksals!

Doch zurück nach Zorn. Ein Gutsbesitzer aus der Nähe belauschte die
preußische Feldwache, welche sich ganz sicher glaubte, bei ihrer „kannibalischen
Mahlzeit" und verrieth sie den Nassauern. Ein Theil der letzteren schlich sich
hinten herum durch die Wälder. Ein kleinerer Trupp gerieth ans den wirklich
sinnreiche» Einfall, sich in den leeren Eilwagen zu setzen und so unbemerkt in
die Nähe der Preußen zu gelangen. Die letzteren, von beiden Seiten zugleich
attakirt, ohne Waffen, in Hemdsärmeln, ergaben sich. Es waren neunzehn
Mann Landwehr zweiten Aufgebots.' Sie wurden am 14. nach Wiesbaden,
am 1ö. nach der Buudesfestung Mainz gebracht. Auf der Eisenbahn dort¬
hin fahrend, saugen sie wohlgemut!): „Ich bin ein Preuße, kennt Ihr meine
Farben."

Avr Mainz wurden sie nach Rastadt, dann nach Ulm und wer weiß wo¬
hin sonst noch geschleppt. Dieses sind jene gefangenen „neunzehn Preußen"
welche von der süddeutschen Presse wenigstens verzwanzigfacht und von jedem
Gefecht benannt worden sind. Dieselben neunzehn Mann sind erstens in Nassau,
zweitens in Aschaffenburg, drittens in Lohr, viertens in Kissingen u. s. w. ge¬
fangen worden. Alle Gcfcchtsplätze stritten sich um dieselben, wie die griechi¬
schen Städte um die Ehre, der Geburtsort des blinden Säugers zu sein. Es
waren und blieben aber immer doch nur neunzehn.*)

Das war die Schlacht bei Zorn. Da es aber in der Reichsarmee nun
einmal Sitte war, wenigstens ebenso viel „Spione" zu fangen als Feinde, so
mußte in dem kleinen Bad Schwalbach. einem Städtchen von 2,000 Einwohnern,
welches das friedlichste aller Gewerbe, die Bäder-Industrie, betreibt und keine
Nation vor der andern bevorzugt, sie vielmehr alle gleich freundlich aufnimmt,
vorausgesetzt, daß sie Geld haben. — auch hier mußte das Bedürfniß nach
Spionen, so gut wie es die vorhandenen geringen Mittel erlaubten, befriedigt
werden. So forderte es ja auch die Stimme des Volkes, wie sie sich aussprach
in der klerikalen und radicalen Presse.

.In jener Stunde der Mitternacht, welche inmitten lag zwischen der Schlacht
bei Schwalbach und der Schlacht bei Zorn, füllte sich plötzlich im „Russischen
Hofe" zu Bad Schwalbach das Schlafzimmer des Eigenthümers Herrn Wilhelm



") Dieselben sind auch schon in No. 3S der Grenzboten i „Zwei Monate in der Bundes,
festung Mainz" dramatisch aufgetreten.
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[0442] auf ihrem Willen bestand, so fügte sich der achtzigjährige Minister wie immer. Am 17. Juli 1866, Nachmittags 4 Uhr wurde der Schloßverwalter ni. D. Hoff¬ mann wegen seiner Aeußerung über die Kuh verhaftet und in die Kasematten von Mainz gebracht. Am 18. Juli 1866. Nachmittags um 4 Uhr rückten ti-e Preußen ein, und Prinz Wittgenstein verließ Wiesbaden, um in den drei Mohren zu Augsburg Bundestag zu spielen. Wechsel des Schicksals! Doch zurück nach Zorn. Ein Gutsbesitzer aus der Nähe belauschte die preußische Feldwache, welche sich ganz sicher glaubte, bei ihrer „kannibalischen Mahlzeit" und verrieth sie den Nassauern. Ein Theil der letzteren schlich sich hinten herum durch die Wälder. Ein kleinerer Trupp gerieth ans den wirklich sinnreiche» Einfall, sich in den leeren Eilwagen zu setzen und so unbemerkt in die Nähe der Preußen zu gelangen. Die letzteren, von beiden Seiten zugleich attakirt, ohne Waffen, in Hemdsärmeln, ergaben sich. Es waren neunzehn Mann Landwehr zweiten Aufgebots.' Sie wurden am 14. nach Wiesbaden, am 1ö. nach der Buudesfestung Mainz gebracht. Auf der Eisenbahn dort¬ hin fahrend, saugen sie wohlgemut!): „Ich bin ein Preuße, kennt Ihr meine Farben." Avr Mainz wurden sie nach Rastadt, dann nach Ulm und wer weiß wo¬ hin sonst noch geschleppt. Dieses sind jene gefangenen „neunzehn Preußen" welche von der süddeutschen Presse wenigstens verzwanzigfacht und von jedem Gefecht benannt worden sind. Dieselben neunzehn Mann sind erstens in Nassau, zweitens in Aschaffenburg, drittens in Lohr, viertens in Kissingen u. s. w. ge¬ fangen worden. Alle Gcfcchtsplätze stritten sich um dieselben, wie die griechi¬ schen Städte um die Ehre, der Geburtsort des blinden Säugers zu sein. Es waren und blieben aber immer doch nur neunzehn.*) Das war die Schlacht bei Zorn. Da es aber in der Reichsarmee nun einmal Sitte war, wenigstens ebenso viel „Spione" zu fangen als Feinde, so mußte in dem kleinen Bad Schwalbach. einem Städtchen von 2,000 Einwohnern, welches das friedlichste aller Gewerbe, die Bäder-Industrie, betreibt und keine Nation vor der andern bevorzugt, sie vielmehr alle gleich freundlich aufnimmt, vorausgesetzt, daß sie Geld haben. — auch hier mußte das Bedürfniß nach Spionen, so gut wie es die vorhandenen geringen Mittel erlaubten, befriedigt werden. So forderte es ja auch die Stimme des Volkes, wie sie sich aussprach in der klerikalen und radicalen Presse. .In jener Stunde der Mitternacht, welche inmitten lag zwischen der Schlacht bei Schwalbach und der Schlacht bei Zorn, füllte sich plötzlich im „Russischen Hofe" zu Bad Schwalbach das Schlafzimmer des Eigenthümers Herrn Wilhelm ") Dieselben sind auch schon in No. 3S der Grenzboten i „Zwei Monate in der Bundes, festung Mainz" dramatisch aufgetreten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/442>, abgerufen am 23.06.2024.