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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Niemand empfindet dies lebhafter als Michelangelo selbst. Es kommt vor,
daß er die Freunde bittet, einem Gedicht nachzuhelfen. Auch er selbst läßt sich
die Mühe des Nachbesserns nicht verdrießen. Kaum ein Gedicht ohne hand¬
schriftliche Varianten. Wörter. Verse. Quattrine. ganze Sonette werden um¬
gearbeitet, andere unvollendet weggelegt. Man weiß aus Condivi, daß Michel¬
angelo überhaupt nicht leicht befriedigt von seinen Arbeiten war, die ihm weit
unter der Idee blieben, wie sie in seinem Geiste lebte, und oft schlug er ein
Werk wieder in Stücke, weil ihm die Hand unvermögend schien, die Größe der
Conception zu erreichen. So kommt er denn, wenn er einen Gedanken gefaßt,
wiederholt auf denselben zurück und gewinnt ihm eine andere Wendung ab; er
kann ihn nicht los werden, ehe er ihn in verschiedenen Tonarten wiedergegeben.
Einzelne Sonette liegen in fünf- und sechsfacher Redaction vor. Er hat sich
gleichsam ein Thema gehest, das er mehrfach variirt. Und an dieser Eigen¬
thümlichkeit fassen ihn die Freunde und stacheln ihn zu immer neuen Spielen
seines Witzes. Besonders in der späteren römischen Zeit (seit 1334) scheint
manches Gedicht weniger aus innerer Nöthigung, als aus der Anregung seiner
Freunde entstanden zu sein. Beim Tod des um seiner Schönheit willen be¬
rühmten siebzehnjährigen Römers Cecchino Bracci (1L44) dichtet er für Luigi
del Riccio. dem der Jüngling besonders befreundet gewesen, eine Anzahl von
Grabschriften. Aber Riccio ist noch nicht zufrieden. Er erfreut den Alten mit
kleinen Geschenken, mit Forellen und Trüffeln, die Michelangelo mit neuen
Sendungen von Versen erwiedert. So werden es ein Dutzend und etliche sol¬
cher Grabschriften. Aber Riccio, an den scharfsinnigen Variationen sich erfreuend,
setzt noch weiter zu. Wieder kommen Schwämme. Turteltauben. Forellen, Me¬
lonen und andere Leckerbissen, auch eine Flasche greev von San Gimigncmo.
Fast wird es dem Alten zu viel. Er schreibt bei dem 31. Epitaph: der Quell
ist versiegt, man muß jetzt Regen abwarten, ihr habt es gar zu dringlich. Und
beim 34.: dummes Zeug, aber wenn ihr wollt, daß ich tausend mache, so
muß wohl allerlei darunter sein. So bringt er endlich die Zahl dieser Grab-
schriften bis aus 48; schöne poetische Gedanken darunter, bald heidnisch, bald
christlich gefärbt, aber viele doch nur Spiele des Witzes, mit denen das Thema
zu Tod gehetzt wird. Jene Leckerbissen, eine Ente, eine Melone. Käse mit
Oliven u. s. w. spielen auch sonst ihre Rolle. Meist schickt er ein Liebcsgedichr
dagegen. Nur einmal ist die Sendung so beträchtlich -- es ist ein Maulesel,
eine große Flasche Maivafier, Zucker und Kerzen, daß er in einem eigenen
Sonett überschwänglichen Dank erstattet.

So viel vom Stil Michelangelos und von seiner Art zu schaffen. Aber
nun der Inhalt? Im Ganzen hat der jüngere Michelangelo an dem Gedanken¬
inhalt der Gedichte wenig geändert, wenn er auch die Ausdrücke meist verwäs¬
serte, die jetzt erst in ihrer originalen Kraft wiederhergestellt sind. Bei näherer


Vrenzboten III. 186L. 5

Niemand empfindet dies lebhafter als Michelangelo selbst. Es kommt vor,
daß er die Freunde bittet, einem Gedicht nachzuhelfen. Auch er selbst läßt sich
die Mühe des Nachbesserns nicht verdrießen. Kaum ein Gedicht ohne hand¬
schriftliche Varianten. Wörter. Verse. Quattrine. ganze Sonette werden um¬
gearbeitet, andere unvollendet weggelegt. Man weiß aus Condivi, daß Michel¬
angelo überhaupt nicht leicht befriedigt von seinen Arbeiten war, die ihm weit
unter der Idee blieben, wie sie in seinem Geiste lebte, und oft schlug er ein
Werk wieder in Stücke, weil ihm die Hand unvermögend schien, die Größe der
Conception zu erreichen. So kommt er denn, wenn er einen Gedanken gefaßt,
wiederholt auf denselben zurück und gewinnt ihm eine andere Wendung ab; er
kann ihn nicht los werden, ehe er ihn in verschiedenen Tonarten wiedergegeben.
Einzelne Sonette liegen in fünf- und sechsfacher Redaction vor. Er hat sich
gleichsam ein Thema gehest, das er mehrfach variirt. Und an dieser Eigen¬
thümlichkeit fassen ihn die Freunde und stacheln ihn zu immer neuen Spielen
seines Witzes. Besonders in der späteren römischen Zeit (seit 1334) scheint
manches Gedicht weniger aus innerer Nöthigung, als aus der Anregung seiner
Freunde entstanden zu sein. Beim Tod des um seiner Schönheit willen be¬
rühmten siebzehnjährigen Römers Cecchino Bracci (1L44) dichtet er für Luigi
del Riccio. dem der Jüngling besonders befreundet gewesen, eine Anzahl von
Grabschriften. Aber Riccio ist noch nicht zufrieden. Er erfreut den Alten mit
kleinen Geschenken, mit Forellen und Trüffeln, die Michelangelo mit neuen
Sendungen von Versen erwiedert. So werden es ein Dutzend und etliche sol¬
cher Grabschriften. Aber Riccio, an den scharfsinnigen Variationen sich erfreuend,
setzt noch weiter zu. Wieder kommen Schwämme. Turteltauben. Forellen, Me¬
lonen und andere Leckerbissen, auch eine Flasche greev von San Gimigncmo.
Fast wird es dem Alten zu viel. Er schreibt bei dem 31. Epitaph: der Quell
ist versiegt, man muß jetzt Regen abwarten, ihr habt es gar zu dringlich. Und
beim 34.: dummes Zeug, aber wenn ihr wollt, daß ich tausend mache, so
muß wohl allerlei darunter sein. So bringt er endlich die Zahl dieser Grab-
schriften bis aus 48; schöne poetische Gedanken darunter, bald heidnisch, bald
christlich gefärbt, aber viele doch nur Spiele des Witzes, mit denen das Thema
zu Tod gehetzt wird. Jene Leckerbissen, eine Ente, eine Melone. Käse mit
Oliven u. s. w. spielen auch sonst ihre Rolle. Meist schickt er ein Liebcsgedichr
dagegen. Nur einmal ist die Sendung so beträchtlich — es ist ein Maulesel,
eine große Flasche Maivafier, Zucker und Kerzen, daß er in einem eigenen
Sonett überschwänglichen Dank erstattet.

So viel vom Stil Michelangelos und von seiner Art zu schaffen. Aber
nun der Inhalt? Im Ganzen hat der jüngere Michelangelo an dem Gedanken¬
inhalt der Gedichte wenig geändert, wenn er auch die Ausdrücke meist verwäs¬
serte, die jetzt erst in ihrer originalen Kraft wiederhergestellt sind. Bei näherer


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[0043] Niemand empfindet dies lebhafter als Michelangelo selbst. Es kommt vor, daß er die Freunde bittet, einem Gedicht nachzuhelfen. Auch er selbst läßt sich die Mühe des Nachbesserns nicht verdrießen. Kaum ein Gedicht ohne hand¬ schriftliche Varianten. Wörter. Verse. Quattrine. ganze Sonette werden um¬ gearbeitet, andere unvollendet weggelegt. Man weiß aus Condivi, daß Michel¬ angelo überhaupt nicht leicht befriedigt von seinen Arbeiten war, die ihm weit unter der Idee blieben, wie sie in seinem Geiste lebte, und oft schlug er ein Werk wieder in Stücke, weil ihm die Hand unvermögend schien, die Größe der Conception zu erreichen. So kommt er denn, wenn er einen Gedanken gefaßt, wiederholt auf denselben zurück und gewinnt ihm eine andere Wendung ab; er kann ihn nicht los werden, ehe er ihn in verschiedenen Tonarten wiedergegeben. Einzelne Sonette liegen in fünf- und sechsfacher Redaction vor. Er hat sich gleichsam ein Thema gehest, das er mehrfach variirt. Und an dieser Eigen¬ thümlichkeit fassen ihn die Freunde und stacheln ihn zu immer neuen Spielen seines Witzes. Besonders in der späteren römischen Zeit (seit 1334) scheint manches Gedicht weniger aus innerer Nöthigung, als aus der Anregung seiner Freunde entstanden zu sein. Beim Tod des um seiner Schönheit willen be¬ rühmten siebzehnjährigen Römers Cecchino Bracci (1L44) dichtet er für Luigi del Riccio. dem der Jüngling besonders befreundet gewesen, eine Anzahl von Grabschriften. Aber Riccio ist noch nicht zufrieden. Er erfreut den Alten mit kleinen Geschenken, mit Forellen und Trüffeln, die Michelangelo mit neuen Sendungen von Versen erwiedert. So werden es ein Dutzend und etliche sol¬ cher Grabschriften. Aber Riccio, an den scharfsinnigen Variationen sich erfreuend, setzt noch weiter zu. Wieder kommen Schwämme. Turteltauben. Forellen, Me¬ lonen und andere Leckerbissen, auch eine Flasche greev von San Gimigncmo. Fast wird es dem Alten zu viel. Er schreibt bei dem 31. Epitaph: der Quell ist versiegt, man muß jetzt Regen abwarten, ihr habt es gar zu dringlich. Und beim 34.: dummes Zeug, aber wenn ihr wollt, daß ich tausend mache, so muß wohl allerlei darunter sein. So bringt er endlich die Zahl dieser Grab- schriften bis aus 48; schöne poetische Gedanken darunter, bald heidnisch, bald christlich gefärbt, aber viele doch nur Spiele des Witzes, mit denen das Thema zu Tod gehetzt wird. Jene Leckerbissen, eine Ente, eine Melone. Käse mit Oliven u. s. w. spielen auch sonst ihre Rolle. Meist schickt er ein Liebcsgedichr dagegen. Nur einmal ist die Sendung so beträchtlich — es ist ein Maulesel, eine große Flasche Maivafier, Zucker und Kerzen, daß er in einem eigenen Sonett überschwänglichen Dank erstattet. So viel vom Stil Michelangelos und von seiner Art zu schaffen. Aber nun der Inhalt? Im Ganzen hat der jüngere Michelangelo an dem Gedanken¬ inhalt der Gedichte wenig geändert, wenn er auch die Ausdrücke meist verwäs¬ serte, die jetzt erst in ihrer originalen Kraft wiederhergestellt sind. Bei näherer Vrenzboten III. 186L. 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/43>, abgerufen am 22.07.2024.