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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Staaten-. Baden, Hessen-Darmstadt. Bayern und Würtemberg. Die drei letzt¬
genannten bildeten bekanntlich innerhalb des Zollvereins stets eine Art von
Sonderbund, welcher bei jeder Krisis frondirend gegen Preußen ins Feld rückte
und die Coalitionen von Darmstadt, Bamberg, Würzburg, München u. s. w.
anzettelte, in Gemeinschaft mit der Dynastie des Landes Nassau, welche nicht
zu wissen schien, daß ihr Land wirthschaftlich eine Enclave von Preußen ist,
und daß, wenn man diese handgreifliche Wahrheit auf die Dauer vnkannte.
entweder der Wohlstand des Landes zu Grunde gerichtet, oder der Tag muth¬
willig heraufbeschworen werden mußte, an welchem diese Dynastie "aufhören
werde zu regieren".

Es scheint nach der augenblicklichen Lage der Dinge auch für uns, die
wir in die Geheimnisse der preußischen Diplomatie nicht eingeweiht sind,
außer Zweifel gestellt, daß Baden, Hessen-Darmstadt (oder was davon übrig
bleibt), Würtemberg und Bayern dem nordischen Bundesstaat, an dessen Spitze
Preußen steht, nicht beitreten, und selbst dann, wenn sie beitreten wollten, nicht
werden zugelassen werden von Preußen, mag letzteres nun in dieser Beziehung
gebunden sein durch Verpflichtungen, welche es gegenüber Oestreich oder Frank¬
reich eingegangen hat, oder mag es eine nähere Allianz mit frondirenden Ca-
bineten und centrifugalen Volksstämmen vor vollendeter Sammlung und Con-
centrirung aller seiner eigenen, im Augenblick stark angespannten Kräfte als
vorerst noch bedenklich vermeiden. Jedenfalls bietet in der That der Süden
gegenwärtig mit seiner Unklarheit und Zerfahrenheit für uns Andere, die wir
etwas minder heißes Blut haben, kein sehr einladendes Bild; und namentlich
das Gebahren der tollen "Volksvereine", welche unter der rothen Flage des
Radicalism Hand in Hand gehen mit dem schwarzgelben und dem schwärzesten
Ultramontanismus, um jeder staatlichen Ordnung den Krieg zu erklären, ist ge¬
eignet auch dem Eßlustigen die Warnung, daß man auf einmal nicht mehr zu
sich nehmen soll, als man verdauen kann, und die alte Tischregel, "daß die
Artischocke blattweise genossen werden muß", ins Gedächtniß zu rufen. Warum
also so eilig eine politische Ehe eingehen, von welcher vorauszusehen, daß sie
keine glückliche sein wird? Jedenfalls eilt die Sache nicht so sehr, und ein
Aufschub von ein paar Jahren läßt die Leidenschaften mehr erkalten und
die Entwickelung der Dinge auf naturgemäßen Wege ihrem Ziele entgegen¬
reifen.

Nach der Bevölkerungsziffer gruppiren sich jene Bestandtheile Deutschlands
wie folgt:

Das ganze nicht-östreichische Deutschland hat 37.760.000 Einwohner.

Preußen erhält Zuwachs: durch Schleswig-Holstein 961.000, durch Hanno¬
ver 1,923,000, durch Kurhessen 746.000, durch Nassau 468.000. durch Frank¬
furt 91,000 Einwohner. Seine Gesammtbevölkerung wird also -- auch ab-


Staaten-. Baden, Hessen-Darmstadt. Bayern und Würtemberg. Die drei letzt¬
genannten bildeten bekanntlich innerhalb des Zollvereins stets eine Art von
Sonderbund, welcher bei jeder Krisis frondirend gegen Preußen ins Feld rückte
und die Coalitionen von Darmstadt, Bamberg, Würzburg, München u. s. w.
anzettelte, in Gemeinschaft mit der Dynastie des Landes Nassau, welche nicht
zu wissen schien, daß ihr Land wirthschaftlich eine Enclave von Preußen ist,
und daß, wenn man diese handgreifliche Wahrheit auf die Dauer vnkannte.
entweder der Wohlstand des Landes zu Grunde gerichtet, oder der Tag muth¬
willig heraufbeschworen werden mußte, an welchem diese Dynastie „aufhören
werde zu regieren".

Es scheint nach der augenblicklichen Lage der Dinge auch für uns, die
wir in die Geheimnisse der preußischen Diplomatie nicht eingeweiht sind,
außer Zweifel gestellt, daß Baden, Hessen-Darmstadt (oder was davon übrig
bleibt), Würtemberg und Bayern dem nordischen Bundesstaat, an dessen Spitze
Preußen steht, nicht beitreten, und selbst dann, wenn sie beitreten wollten, nicht
werden zugelassen werden von Preußen, mag letzteres nun in dieser Beziehung
gebunden sein durch Verpflichtungen, welche es gegenüber Oestreich oder Frank¬
reich eingegangen hat, oder mag es eine nähere Allianz mit frondirenden Ca-
bineten und centrifugalen Volksstämmen vor vollendeter Sammlung und Con-
centrirung aller seiner eigenen, im Augenblick stark angespannten Kräfte als
vorerst noch bedenklich vermeiden. Jedenfalls bietet in der That der Süden
gegenwärtig mit seiner Unklarheit und Zerfahrenheit für uns Andere, die wir
etwas minder heißes Blut haben, kein sehr einladendes Bild; und namentlich
das Gebahren der tollen „Volksvereine", welche unter der rothen Flage des
Radicalism Hand in Hand gehen mit dem schwarzgelben und dem schwärzesten
Ultramontanismus, um jeder staatlichen Ordnung den Krieg zu erklären, ist ge¬
eignet auch dem Eßlustigen die Warnung, daß man auf einmal nicht mehr zu
sich nehmen soll, als man verdauen kann, und die alte Tischregel, „daß die
Artischocke blattweise genossen werden muß", ins Gedächtniß zu rufen. Warum
also so eilig eine politische Ehe eingehen, von welcher vorauszusehen, daß sie
keine glückliche sein wird? Jedenfalls eilt die Sache nicht so sehr, und ein
Aufschub von ein paar Jahren läßt die Leidenschaften mehr erkalten und
die Entwickelung der Dinge auf naturgemäßen Wege ihrem Ziele entgegen¬
reifen.

Nach der Bevölkerungsziffer gruppiren sich jene Bestandtheile Deutschlands
wie folgt:

Das ganze nicht-östreichische Deutschland hat 37.760.000 Einwohner.

Preußen erhält Zuwachs: durch Schleswig-Holstein 961.000, durch Hanno¬
ver 1,923,000, durch Kurhessen 746.000, durch Nassau 468.000. durch Frank¬
furt 91,000 Einwohner. Seine Gesammtbevölkerung wird also — auch ab-


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[0408] Staaten-. Baden, Hessen-Darmstadt. Bayern und Würtemberg. Die drei letzt¬ genannten bildeten bekanntlich innerhalb des Zollvereins stets eine Art von Sonderbund, welcher bei jeder Krisis frondirend gegen Preußen ins Feld rückte und die Coalitionen von Darmstadt, Bamberg, Würzburg, München u. s. w. anzettelte, in Gemeinschaft mit der Dynastie des Landes Nassau, welche nicht zu wissen schien, daß ihr Land wirthschaftlich eine Enclave von Preußen ist, und daß, wenn man diese handgreifliche Wahrheit auf die Dauer vnkannte. entweder der Wohlstand des Landes zu Grunde gerichtet, oder der Tag muth¬ willig heraufbeschworen werden mußte, an welchem diese Dynastie „aufhören werde zu regieren". Es scheint nach der augenblicklichen Lage der Dinge auch für uns, die wir in die Geheimnisse der preußischen Diplomatie nicht eingeweiht sind, außer Zweifel gestellt, daß Baden, Hessen-Darmstadt (oder was davon übrig bleibt), Würtemberg und Bayern dem nordischen Bundesstaat, an dessen Spitze Preußen steht, nicht beitreten, und selbst dann, wenn sie beitreten wollten, nicht werden zugelassen werden von Preußen, mag letzteres nun in dieser Beziehung gebunden sein durch Verpflichtungen, welche es gegenüber Oestreich oder Frank¬ reich eingegangen hat, oder mag es eine nähere Allianz mit frondirenden Ca- bineten und centrifugalen Volksstämmen vor vollendeter Sammlung und Con- centrirung aller seiner eigenen, im Augenblick stark angespannten Kräfte als vorerst noch bedenklich vermeiden. Jedenfalls bietet in der That der Süden gegenwärtig mit seiner Unklarheit und Zerfahrenheit für uns Andere, die wir etwas minder heißes Blut haben, kein sehr einladendes Bild; und namentlich das Gebahren der tollen „Volksvereine", welche unter der rothen Flage des Radicalism Hand in Hand gehen mit dem schwarzgelben und dem schwärzesten Ultramontanismus, um jeder staatlichen Ordnung den Krieg zu erklären, ist ge¬ eignet auch dem Eßlustigen die Warnung, daß man auf einmal nicht mehr zu sich nehmen soll, als man verdauen kann, und die alte Tischregel, „daß die Artischocke blattweise genossen werden muß", ins Gedächtniß zu rufen. Warum also so eilig eine politische Ehe eingehen, von welcher vorauszusehen, daß sie keine glückliche sein wird? Jedenfalls eilt die Sache nicht so sehr, und ein Aufschub von ein paar Jahren läßt die Leidenschaften mehr erkalten und die Entwickelung der Dinge auf naturgemäßen Wege ihrem Ziele entgegen¬ reifen. Nach der Bevölkerungsziffer gruppiren sich jene Bestandtheile Deutschlands wie folgt: Das ganze nicht-östreichische Deutschland hat 37.760.000 Einwohner. Preußen erhält Zuwachs: durch Schleswig-Holstein 961.000, durch Hanno¬ ver 1,923,000, durch Kurhessen 746.000, durch Nassau 468.000. durch Frank¬ furt 91,000 Einwohner. Seine Gesammtbevölkerung wird also — auch ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/408>, abgerufen am 22.07.2024.