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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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die geistlichen und weltlichen Behörden Sachsens ist erschienen, um den Nach¬
theil und die Gefahren von den ins Land gezogenen katholischen Geistlichen zu
zeigen. Pfui! der teuflischen Grimassen und Machinationen!"

6. 20. October. Die schlimmste Zumuthung für jeden wahren Sachsen
war die vom Gouvernement angeordnete Feier des 18. und 19. October durch
Gottesdienst im ganzen Lande. Die Tage, "an denen wir nicht unsere Freiheit
erhalten, sondern nur einen Wechsel der Herrschaft erfahren", festlich zu begehen, ist
doch wohl ein neuer Beweis des Hohns, mit dem wir fortdauernd behandelt werden.
Aber trotz der Mißhandlungen, die uns das russische Cabinet anthut, erschrecken
wir bei der Kunde, daß wir möglicherweise "preußische" Verwaltung bekommen!

ä. 18. November 1814. Das Schlimmste ist Wahrheit geworden laut Ver¬
einbarung vom 28. September. Seit dem 8. November Uebergabe, Abschieds-
und Antrittsfeste, preußische Garnison! "Versagen sie Ihre kräftige und be¬
sonnene Zusprache dem Manne nicht, der bei dem unverschuldeten Leiden seines
Königshauses und bei dem kecken Uebermuthe seiner Feinde kaum noch in der
Religion Hilfe und Trost findet." --

ä. 19. December 1814. Unsere Gouverneurs haben das Lob einer ein¬
gezogenen Lebensweise und theilnehmenden Milde. (Ein großes Zugeständnis?,
das dem Briefsteller sichtlich sauer ankommt.) Auch das Verhalten der Truppen
zeigt sich untadelhaft. Aber dabei die Knebelung des Patriotismus! Appel¬
lationsrath Fleck, der die Svedirung von Loyalitätsadressen nach Wien leitete,
anetirt, entsetzt; brave Viertclsmcister und andere Ehrenmänner polizeilich ver¬
nommen; der Nürnberger Correspondent, weil er Repliken auf inspirirte preußisch¬
freundliche Artikel gebracht hat, bei 100 Thlr. Strafe verboten. Das drohende
Schicksal kündigt sich an durch das Erscheinen einer neuen Schrift mit dem
ominösen Titel: "An die Sachsen bei ihrer Vereinigung mit der
Preußischen Monarchie". Die Trostgründe des Verfassers, eines ehemaligen
Staatsmannes, sind schlimm genug: wir erlitten dadurch, meint er, nur ein
sianz gewöhnliches Schicksal; durch das Recht des Krieges verlören wir um der
zukünftigen allgemeinen Sicherheit wegen nicht die Selbständigkeit, sondern blos
den angeborenen Regenten, ein Wechsel, der in unserem Zeitalter die Völker
nur in so weit interessiren könne, als Wohl und Wehe des Vaterlandes damit
in Verbindung stehe. Rücksichtlich der Religion, der Commerzinteressen und des
staatsbürgerlichen Fortschrittes überhaupt wären wir dadurch nur gebessert. Mit
Preußen vereinigt würden wir an den kleinen Nachbarn ebenso viele Neider
haben, die ohne unser Schicksal zu theilen ferner nicht mehr bestehen könnten.*)



*) Die Anschauung, daß ein Volk seinen Fürsten ablegen könne wie einen verhärteten
Fehler, erregt die größte Indignation unsres Briefstellers; zum Schluß macht er die Glosse
dazu: "El. Hans Christoph, das ist dumm!" Zu derselben Zeit kommt auch die oben von
uns charakteristrte Schrift "Blicke auf Sachsen' dem Schreiber vor die Augen. Er erklärt die¬
selbe natürlich für das "schamloseste aller Libells".

die geistlichen und weltlichen Behörden Sachsens ist erschienen, um den Nach¬
theil und die Gefahren von den ins Land gezogenen katholischen Geistlichen zu
zeigen. Pfui! der teuflischen Grimassen und Machinationen!"

6. 20. October. Die schlimmste Zumuthung für jeden wahren Sachsen
war die vom Gouvernement angeordnete Feier des 18. und 19. October durch
Gottesdienst im ganzen Lande. Die Tage, „an denen wir nicht unsere Freiheit
erhalten, sondern nur einen Wechsel der Herrschaft erfahren", festlich zu begehen, ist
doch wohl ein neuer Beweis des Hohns, mit dem wir fortdauernd behandelt werden.
Aber trotz der Mißhandlungen, die uns das russische Cabinet anthut, erschrecken
wir bei der Kunde, daß wir möglicherweise „preußische" Verwaltung bekommen!

ä. 18. November 1814. Das Schlimmste ist Wahrheit geworden laut Ver¬
einbarung vom 28. September. Seit dem 8. November Uebergabe, Abschieds-
und Antrittsfeste, preußische Garnison! „Versagen sie Ihre kräftige und be¬
sonnene Zusprache dem Manne nicht, der bei dem unverschuldeten Leiden seines
Königshauses und bei dem kecken Uebermuthe seiner Feinde kaum noch in der
Religion Hilfe und Trost findet." —

ä. 19. December 1814. Unsere Gouverneurs haben das Lob einer ein¬
gezogenen Lebensweise und theilnehmenden Milde. (Ein großes Zugeständnis?,
das dem Briefsteller sichtlich sauer ankommt.) Auch das Verhalten der Truppen
zeigt sich untadelhaft. Aber dabei die Knebelung des Patriotismus! Appel¬
lationsrath Fleck, der die Svedirung von Loyalitätsadressen nach Wien leitete,
anetirt, entsetzt; brave Viertclsmcister und andere Ehrenmänner polizeilich ver¬
nommen; der Nürnberger Correspondent, weil er Repliken auf inspirirte preußisch¬
freundliche Artikel gebracht hat, bei 100 Thlr. Strafe verboten. Das drohende
Schicksal kündigt sich an durch das Erscheinen einer neuen Schrift mit dem
ominösen Titel: „An die Sachsen bei ihrer Vereinigung mit der
Preußischen Monarchie". Die Trostgründe des Verfassers, eines ehemaligen
Staatsmannes, sind schlimm genug: wir erlitten dadurch, meint er, nur ein
sianz gewöhnliches Schicksal; durch das Recht des Krieges verlören wir um der
zukünftigen allgemeinen Sicherheit wegen nicht die Selbständigkeit, sondern blos
den angeborenen Regenten, ein Wechsel, der in unserem Zeitalter die Völker
nur in so weit interessiren könne, als Wohl und Wehe des Vaterlandes damit
in Verbindung stehe. Rücksichtlich der Religion, der Commerzinteressen und des
staatsbürgerlichen Fortschrittes überhaupt wären wir dadurch nur gebessert. Mit
Preußen vereinigt würden wir an den kleinen Nachbarn ebenso viele Neider
haben, die ohne unser Schicksal zu theilen ferner nicht mehr bestehen könnten.*)



*) Die Anschauung, daß ein Volk seinen Fürsten ablegen könne wie einen verhärteten
Fehler, erregt die größte Indignation unsres Briefstellers; zum Schluß macht er die Glosse
dazu: „El. Hans Christoph, das ist dumm!" Zu derselben Zeit kommt auch die oben von
uns charakteristrte Schrift „Blicke auf Sachsen' dem Schreiber vor die Augen. Er erklärt die¬
selbe natürlich für das „schamloseste aller Libells".
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[0401] die geistlichen und weltlichen Behörden Sachsens ist erschienen, um den Nach¬ theil und die Gefahren von den ins Land gezogenen katholischen Geistlichen zu zeigen. Pfui! der teuflischen Grimassen und Machinationen!" 6. 20. October. Die schlimmste Zumuthung für jeden wahren Sachsen war die vom Gouvernement angeordnete Feier des 18. und 19. October durch Gottesdienst im ganzen Lande. Die Tage, „an denen wir nicht unsere Freiheit erhalten, sondern nur einen Wechsel der Herrschaft erfahren", festlich zu begehen, ist doch wohl ein neuer Beweis des Hohns, mit dem wir fortdauernd behandelt werden. Aber trotz der Mißhandlungen, die uns das russische Cabinet anthut, erschrecken wir bei der Kunde, daß wir möglicherweise „preußische" Verwaltung bekommen! ä. 18. November 1814. Das Schlimmste ist Wahrheit geworden laut Ver¬ einbarung vom 28. September. Seit dem 8. November Uebergabe, Abschieds- und Antrittsfeste, preußische Garnison! „Versagen sie Ihre kräftige und be¬ sonnene Zusprache dem Manne nicht, der bei dem unverschuldeten Leiden seines Königshauses und bei dem kecken Uebermuthe seiner Feinde kaum noch in der Religion Hilfe und Trost findet." — ä. 19. December 1814. Unsere Gouverneurs haben das Lob einer ein¬ gezogenen Lebensweise und theilnehmenden Milde. (Ein großes Zugeständnis?, das dem Briefsteller sichtlich sauer ankommt.) Auch das Verhalten der Truppen zeigt sich untadelhaft. Aber dabei die Knebelung des Patriotismus! Appel¬ lationsrath Fleck, der die Svedirung von Loyalitätsadressen nach Wien leitete, anetirt, entsetzt; brave Viertclsmcister und andere Ehrenmänner polizeilich ver¬ nommen; der Nürnberger Correspondent, weil er Repliken auf inspirirte preußisch¬ freundliche Artikel gebracht hat, bei 100 Thlr. Strafe verboten. Das drohende Schicksal kündigt sich an durch das Erscheinen einer neuen Schrift mit dem ominösen Titel: „An die Sachsen bei ihrer Vereinigung mit der Preußischen Monarchie". Die Trostgründe des Verfassers, eines ehemaligen Staatsmannes, sind schlimm genug: wir erlitten dadurch, meint er, nur ein sianz gewöhnliches Schicksal; durch das Recht des Krieges verlören wir um der zukünftigen allgemeinen Sicherheit wegen nicht die Selbständigkeit, sondern blos den angeborenen Regenten, ein Wechsel, der in unserem Zeitalter die Völker nur in so weit interessiren könne, als Wohl und Wehe des Vaterlandes damit in Verbindung stehe. Rücksichtlich der Religion, der Commerzinteressen und des staatsbürgerlichen Fortschrittes überhaupt wären wir dadurch nur gebessert. Mit Preußen vereinigt würden wir an den kleinen Nachbarn ebenso viele Neider haben, die ohne unser Schicksal zu theilen ferner nicht mehr bestehen könnten.*) *) Die Anschauung, daß ein Volk seinen Fürsten ablegen könne wie einen verhärteten Fehler, erregt die größte Indignation unsres Briefstellers; zum Schluß macht er die Glosse dazu: „El. Hans Christoph, das ist dumm!" Zu derselben Zeit kommt auch die oben von uns charakteristrte Schrift „Blicke auf Sachsen' dem Schreiber vor die Augen. Er erklärt die¬ selbe natürlich für das „schamloseste aller Libells".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/401>, abgerufen am 22.07.2024.