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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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ständische Behörden zurückführen, die selbst wieder von Mitgliedern des Adels
oder von einem capitularischen Vorstande dazu bewogen worden seien. Er
läugnet weder, noch tadelt er, daß hier und da lebhaftes Interesse und Mitleid
für den gefangenen König gesunden werde, aber wenn man auf diejenigen,
welche so empfinden, und möchten es auch wirklich Tausende sein, so geflissent¬
lich hinweise, dann täusche man nicht blos darüber, daß Hunderttausende
anders dächten und fühlten, sondern auch darüber, was der eigentliche Er¬
klärungsgrund jener Seufzer sei. In der Hauptsache müßten diese Stimmungen
auf den wechselnden Zustand des Negierungsprovisoriums zurückgeführt werden.
Dieser sei allen peinlich; was wunder, daß sich bei vielen das Mißvergnügen
am Gegenwärtigen, welches eben Durchgangsstadium sei, mit der Sehnsucht
nach den alten Zuständen idendificire? "Wollten sich jedoch Friedrich Augusts
Räthe und Umgebungen durch gewisse in Sachsen zurückgelassene Correspon-
denten zu dem Wahne verleiten lassen, daß die alte Liebe und Achtung von
neuem wieder erglüht sei. wollten sie auf diese falsche Voraussetzung im schlimm¬
sten Falle gewisse Revolutionspiäne gründen, so würden sie sich übel berathen
finden." "Ueberhaupt" -- fügt er hinzu -- "begegnen wir in der ganzen
sächsischen Geschichte nicht leicht einem Beispiel von Volksbewegung zu Gunsten
einer Fürstenfamilie. Hätte je eine und zwar aus sehr gerechten Beweggründen
stattfinden können, so wärs zu jener Zeit gewesen, wo der Machtspruch eines
Gewaltigen die ernestinische Linie von Land und Leuten verjagte und diese der
albertinischen zuerkannte; allein auch damals lehnte sich selbst gegen ein solches
Verfahren kein einziger Sachse auf. und man wollte dies jetzt erwarten und in
dieser Erwartung darauf hinarbeiten? Da ist man in der That gar sehr zu
beklagen und beweist, daß man den ruhigen, stillen und ernsten Charakter der
Sachsen auch gar nicht kennt, der zu verständig und einsichtsvoll ist, als daß
er sich selbst verläugnen und irgendeinem eigensüchtigen, einseitigen Zwecke seine
Ruhe, seinen noch übrigen Wohlstand, seine Gesundheit und seinen Frieden
nur auf einen Augenblick opfern könnte!" Selbst von Militärs habe er
wiederholt dies Zugestcindniß gehört, daß eine Schilderhebung der Armee völlig
fruchtlos sein werde, da man wohl wisse, daß man das Volk nicht hinter
sich habe.

Drei Möglichkeiten stellen sich dem Verfasser unserer Schrift als künftiges
Schicksal Sachsens dar: Annexion an Weimar, oder an Oestreich oder an Preu¬
ßen. Er prüft die Vortheile dieser Alternativen freilich nach ziemlich elementaren
Gesichtspunkten. Aber er kommt doch zunächst zu dem Schluß, daß trotz der
schönen Aussichten, welche der Anschluß an das liberal gesinnte protestantische
Haus Weimar biete, die politischen Gründe überwiegen müßten, welche Ver¬
einigung mit einer der Großmächte empfehlen. Nun constatirt er zwar, daß er
auf allen seinen Kreuz, und Querzügen durch das sächsische Land nirgend,


ständische Behörden zurückführen, die selbst wieder von Mitgliedern des Adels
oder von einem capitularischen Vorstande dazu bewogen worden seien. Er
läugnet weder, noch tadelt er, daß hier und da lebhaftes Interesse und Mitleid
für den gefangenen König gesunden werde, aber wenn man auf diejenigen,
welche so empfinden, und möchten es auch wirklich Tausende sein, so geflissent¬
lich hinweise, dann täusche man nicht blos darüber, daß Hunderttausende
anders dächten und fühlten, sondern auch darüber, was der eigentliche Er¬
klärungsgrund jener Seufzer sei. In der Hauptsache müßten diese Stimmungen
auf den wechselnden Zustand des Negierungsprovisoriums zurückgeführt werden.
Dieser sei allen peinlich; was wunder, daß sich bei vielen das Mißvergnügen
am Gegenwärtigen, welches eben Durchgangsstadium sei, mit der Sehnsucht
nach den alten Zuständen idendificire? „Wollten sich jedoch Friedrich Augusts
Räthe und Umgebungen durch gewisse in Sachsen zurückgelassene Correspon-
denten zu dem Wahne verleiten lassen, daß die alte Liebe und Achtung von
neuem wieder erglüht sei. wollten sie auf diese falsche Voraussetzung im schlimm¬
sten Falle gewisse Revolutionspiäne gründen, so würden sie sich übel berathen
finden." „Ueberhaupt" — fügt er hinzu — „begegnen wir in der ganzen
sächsischen Geschichte nicht leicht einem Beispiel von Volksbewegung zu Gunsten
einer Fürstenfamilie. Hätte je eine und zwar aus sehr gerechten Beweggründen
stattfinden können, so wärs zu jener Zeit gewesen, wo der Machtspruch eines
Gewaltigen die ernestinische Linie von Land und Leuten verjagte und diese der
albertinischen zuerkannte; allein auch damals lehnte sich selbst gegen ein solches
Verfahren kein einziger Sachse auf. und man wollte dies jetzt erwarten und in
dieser Erwartung darauf hinarbeiten? Da ist man in der That gar sehr zu
beklagen und beweist, daß man den ruhigen, stillen und ernsten Charakter der
Sachsen auch gar nicht kennt, der zu verständig und einsichtsvoll ist, als daß
er sich selbst verläugnen und irgendeinem eigensüchtigen, einseitigen Zwecke seine
Ruhe, seinen noch übrigen Wohlstand, seine Gesundheit und seinen Frieden
nur auf einen Augenblick opfern könnte!" Selbst von Militärs habe er
wiederholt dies Zugestcindniß gehört, daß eine Schilderhebung der Armee völlig
fruchtlos sein werde, da man wohl wisse, daß man das Volk nicht hinter
sich habe.

Drei Möglichkeiten stellen sich dem Verfasser unserer Schrift als künftiges
Schicksal Sachsens dar: Annexion an Weimar, oder an Oestreich oder an Preu¬
ßen. Er prüft die Vortheile dieser Alternativen freilich nach ziemlich elementaren
Gesichtspunkten. Aber er kommt doch zunächst zu dem Schluß, daß trotz der
schönen Aussichten, welche der Anschluß an das liberal gesinnte protestantische
Haus Weimar biete, die politischen Gründe überwiegen müßten, welche Ver¬
einigung mit einer der Großmächte empfehlen. Nun constatirt er zwar, daß er
auf allen seinen Kreuz, und Querzügen durch das sächsische Land nirgend,


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[0395] ständische Behörden zurückführen, die selbst wieder von Mitgliedern des Adels oder von einem capitularischen Vorstande dazu bewogen worden seien. Er läugnet weder, noch tadelt er, daß hier und da lebhaftes Interesse und Mitleid für den gefangenen König gesunden werde, aber wenn man auf diejenigen, welche so empfinden, und möchten es auch wirklich Tausende sein, so geflissent¬ lich hinweise, dann täusche man nicht blos darüber, daß Hunderttausende anders dächten und fühlten, sondern auch darüber, was der eigentliche Er¬ klärungsgrund jener Seufzer sei. In der Hauptsache müßten diese Stimmungen auf den wechselnden Zustand des Negierungsprovisoriums zurückgeführt werden. Dieser sei allen peinlich; was wunder, daß sich bei vielen das Mißvergnügen am Gegenwärtigen, welches eben Durchgangsstadium sei, mit der Sehnsucht nach den alten Zuständen idendificire? „Wollten sich jedoch Friedrich Augusts Räthe und Umgebungen durch gewisse in Sachsen zurückgelassene Correspon- denten zu dem Wahne verleiten lassen, daß die alte Liebe und Achtung von neuem wieder erglüht sei. wollten sie auf diese falsche Voraussetzung im schlimm¬ sten Falle gewisse Revolutionspiäne gründen, so würden sie sich übel berathen finden." „Ueberhaupt" — fügt er hinzu — „begegnen wir in der ganzen sächsischen Geschichte nicht leicht einem Beispiel von Volksbewegung zu Gunsten einer Fürstenfamilie. Hätte je eine und zwar aus sehr gerechten Beweggründen stattfinden können, so wärs zu jener Zeit gewesen, wo der Machtspruch eines Gewaltigen die ernestinische Linie von Land und Leuten verjagte und diese der albertinischen zuerkannte; allein auch damals lehnte sich selbst gegen ein solches Verfahren kein einziger Sachse auf. und man wollte dies jetzt erwarten und in dieser Erwartung darauf hinarbeiten? Da ist man in der That gar sehr zu beklagen und beweist, daß man den ruhigen, stillen und ernsten Charakter der Sachsen auch gar nicht kennt, der zu verständig und einsichtsvoll ist, als daß er sich selbst verläugnen und irgendeinem eigensüchtigen, einseitigen Zwecke seine Ruhe, seinen noch übrigen Wohlstand, seine Gesundheit und seinen Frieden nur auf einen Augenblick opfern könnte!" Selbst von Militärs habe er wiederholt dies Zugestcindniß gehört, daß eine Schilderhebung der Armee völlig fruchtlos sein werde, da man wohl wisse, daß man das Volk nicht hinter sich habe. Drei Möglichkeiten stellen sich dem Verfasser unserer Schrift als künftiges Schicksal Sachsens dar: Annexion an Weimar, oder an Oestreich oder an Preu¬ ßen. Er prüft die Vortheile dieser Alternativen freilich nach ziemlich elementaren Gesichtspunkten. Aber er kommt doch zunächst zu dem Schluß, daß trotz der schönen Aussichten, welche der Anschluß an das liberal gesinnte protestantische Haus Weimar biete, die politischen Gründe überwiegen müßten, welche Ver¬ einigung mit einer der Großmächte empfehlen. Nun constatirt er zwar, daß er auf allen seinen Kreuz, und Querzügen durch das sächsische Land nirgend,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/395>, abgerufen am 22.07.2024.