Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Germanien, im zweiten Jahre der Welterlösung." Sie wird der Beherzigung
der Mitbürger empfohlen, rührt also vermuthlich von einem Sachsen her. Der
Verfasser geht die Meinungen durch, die über Schuld und Unschuld des Königs
im Lande umlaufen. Seine Argumente richten sich namentlich gegen die falschen
Auffassungen, die der Adel, auf den er schlecht genug zu sprechen ist, unter der
Bevölkerung auszubilden suche. Wenn man die unseligen Entschlüsse des Königs
durchweg seinen Rathgebern zur Last lege, möge mau doch bedenken, daß man
ihn dadurch auch bezüglich seiner wahrhaften und anerkennenswerther Tugenden
zum Automaten und zur Marionette herabwürdige. Gegen Verunglimpfung des
königlichen Herrn legt er Verwahrung ein*), andererseits deckt er die üble Ver¬
fassung der Justizpflege und der Verwaltung ohne Scheu auf; aber er sucht zu
einem maßvollen Urtheile über den Zustand Sachsens und seiner Chancen zü
gelangen. Auch damals schon gab es jene Species von Menschen, die man
heute Annexionisten nennt. Der Verfasser der obigen Schrift ist einer der
schlimmsten von ihnen. Er redet ohne Leidenschaft, so sachlich wie möglich, auf
Grund langjähriger Erfahrungen. Die Erhaltung der Dynastie gilt ihm nur
unter Bedingungen als wünschenswert!), welche so gut als unerfüllbar sind,
nämlich dann, wenn Sachsen durch starken Territorialzuwachs eine wirklich selb¬
ständige Macht würde und aufhöre, Spielball und Schachbret der großen Ge¬
walten zu sein. "Wir wollen uns" -- schreibt er u. a. -- " fürderhin nicht
mehr darum kümmern, was andere sagen oder nicht sagen, halten wir nur das
Bild fest, wozu die strengste Wahrheit uns die Farben reichte und das in jedes
Sachsens Herz und Erinnerung flammend genug brennt; dann kann es uns
unmöglich schwer fallen, unmöglich hart ankommen, wenn im weisen Rathe der
hohen Monarchen eine ewige Trennung von unserem Könige beschlossen sein
sollte, dem die Gleichgiltigkeit des Volkes selbst nicht entgangen sein kann und
die sich überall noch merkbar genug äußert; denn selbst in der jüngeren Ver¬
gangenheit habe ich häusig auf dem platten Lande Ausdrücke und Bemerkungen
über ihn gehört, die mir die alte Ehrfurcht hier zu wiederholen verbietet, die
jedoch nichts weniger als Achtung und Liebe, Ehrerbietung und.Anhänglichkeit
bewiesen." Er meint, auch nicht einem einzigen Mann aus dem Volke sei
in den Sinn gekommen, eine Adresse oder Bittschrift zu Gunsten des ver¬
triebenen Fürsten zu veranlassen oder zu unterschreiben. Wo zu solchen Suppliken
Anregung gegeben worden sei. lasse sich der Ursprung derselben auf einzelne



") Unter anderm war über die Wirthschaftspolitik des Königs gesagt worden: "Wenn
man nicht genug rühmen könne, daß man hinsichtlich des Landescredits unter Friedrich Augusts
Regierung so lange glücklich gewesen sei, so müsse man es mit demselben Rechte ebenso dank¬
bar anerkennen, daß man sich unter den Regierungen eines Abdul Hamid oder eines Hyder
Ali so wohl befunden habe, weil weder Se, konstantinopolitanische noch Se> scringapatnamsche
Majestät der Betriebsamkeit, dem Gewerb- und Handelsfleiße, folglich dem erhöhten Wohlstand
der thätigen, rührigen Sachsen das Geringste in den Weg gelegt habe!"

Germanien, im zweiten Jahre der Welterlösung." Sie wird der Beherzigung
der Mitbürger empfohlen, rührt also vermuthlich von einem Sachsen her. Der
Verfasser geht die Meinungen durch, die über Schuld und Unschuld des Königs
im Lande umlaufen. Seine Argumente richten sich namentlich gegen die falschen
Auffassungen, die der Adel, auf den er schlecht genug zu sprechen ist, unter der
Bevölkerung auszubilden suche. Wenn man die unseligen Entschlüsse des Königs
durchweg seinen Rathgebern zur Last lege, möge mau doch bedenken, daß man
ihn dadurch auch bezüglich seiner wahrhaften und anerkennenswerther Tugenden
zum Automaten und zur Marionette herabwürdige. Gegen Verunglimpfung des
königlichen Herrn legt er Verwahrung ein*), andererseits deckt er die üble Ver¬
fassung der Justizpflege und der Verwaltung ohne Scheu auf; aber er sucht zu
einem maßvollen Urtheile über den Zustand Sachsens und seiner Chancen zü
gelangen. Auch damals schon gab es jene Species von Menschen, die man
heute Annexionisten nennt. Der Verfasser der obigen Schrift ist einer der
schlimmsten von ihnen. Er redet ohne Leidenschaft, so sachlich wie möglich, auf
Grund langjähriger Erfahrungen. Die Erhaltung der Dynastie gilt ihm nur
unter Bedingungen als wünschenswert!), welche so gut als unerfüllbar sind,
nämlich dann, wenn Sachsen durch starken Territorialzuwachs eine wirklich selb¬
ständige Macht würde und aufhöre, Spielball und Schachbret der großen Ge¬
walten zu sein. „Wir wollen uns" — schreibt er u. a. — „ fürderhin nicht
mehr darum kümmern, was andere sagen oder nicht sagen, halten wir nur das
Bild fest, wozu die strengste Wahrheit uns die Farben reichte und das in jedes
Sachsens Herz und Erinnerung flammend genug brennt; dann kann es uns
unmöglich schwer fallen, unmöglich hart ankommen, wenn im weisen Rathe der
hohen Monarchen eine ewige Trennung von unserem Könige beschlossen sein
sollte, dem die Gleichgiltigkeit des Volkes selbst nicht entgangen sein kann und
die sich überall noch merkbar genug äußert; denn selbst in der jüngeren Ver¬
gangenheit habe ich häusig auf dem platten Lande Ausdrücke und Bemerkungen
über ihn gehört, die mir die alte Ehrfurcht hier zu wiederholen verbietet, die
jedoch nichts weniger als Achtung und Liebe, Ehrerbietung und.Anhänglichkeit
bewiesen." Er meint, auch nicht einem einzigen Mann aus dem Volke sei
in den Sinn gekommen, eine Adresse oder Bittschrift zu Gunsten des ver¬
triebenen Fürsten zu veranlassen oder zu unterschreiben. Wo zu solchen Suppliken
Anregung gegeben worden sei. lasse sich der Ursprung derselben auf einzelne



") Unter anderm war über die Wirthschaftspolitik des Königs gesagt worden: „Wenn
man nicht genug rühmen könne, daß man hinsichtlich des Landescredits unter Friedrich Augusts
Regierung so lange glücklich gewesen sei, so müsse man es mit demselben Rechte ebenso dank¬
bar anerkennen, daß man sich unter den Regierungen eines Abdul Hamid oder eines Hyder
Ali so wohl befunden habe, weil weder Se, konstantinopolitanische noch Se> scringapatnamsche
Majestät der Betriebsamkeit, dem Gewerb- und Handelsfleiße, folglich dem erhöhten Wohlstand
der thätigen, rührigen Sachsen das Geringste in den Weg gelegt habe!"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0394" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285982"/>
          <p xml:id="ID_1348" prev="#ID_1347" next="#ID_1349"> Germanien, im zweiten Jahre der Welterlösung." Sie wird der Beherzigung<lb/>
der Mitbürger empfohlen, rührt also vermuthlich von einem Sachsen her. Der<lb/>
Verfasser geht die Meinungen durch, die über Schuld und Unschuld des Königs<lb/>
im Lande umlaufen. Seine Argumente richten sich namentlich gegen die falschen<lb/>
Auffassungen, die der Adel, auf den er schlecht genug zu sprechen ist, unter der<lb/>
Bevölkerung auszubilden suche. Wenn man die unseligen Entschlüsse des Königs<lb/>
durchweg seinen Rathgebern zur Last lege, möge mau doch bedenken, daß man<lb/>
ihn dadurch auch bezüglich seiner wahrhaften und anerkennenswerther Tugenden<lb/>
zum Automaten und zur Marionette herabwürdige. Gegen Verunglimpfung des<lb/>
königlichen Herrn legt er Verwahrung ein*), andererseits deckt er die üble Ver¬<lb/>
fassung der Justizpflege und der Verwaltung ohne Scheu auf; aber er sucht zu<lb/>
einem maßvollen Urtheile über den Zustand Sachsens und seiner Chancen zü<lb/>
gelangen. Auch damals schon gab es jene Species von Menschen, die man<lb/>
heute Annexionisten nennt. Der Verfasser der obigen Schrift ist einer der<lb/>
schlimmsten von ihnen. Er redet ohne Leidenschaft, so sachlich wie möglich, auf<lb/>
Grund langjähriger Erfahrungen. Die Erhaltung der Dynastie gilt ihm nur<lb/>
unter Bedingungen als wünschenswert!), welche so gut als unerfüllbar sind,<lb/>
nämlich dann, wenn Sachsen durch starken Territorialzuwachs eine wirklich selb¬<lb/>
ständige Macht würde und aufhöre, Spielball und Schachbret der großen Ge¬<lb/>
walten zu sein. &#x201E;Wir wollen uns" &#x2014; schreibt er u. a. &#x2014; &#x201E; fürderhin nicht<lb/>
mehr darum kümmern, was andere sagen oder nicht sagen, halten wir nur das<lb/>
Bild fest, wozu die strengste Wahrheit uns die Farben reichte und das in jedes<lb/>
Sachsens Herz und Erinnerung flammend genug brennt; dann kann es uns<lb/>
unmöglich schwer fallen, unmöglich hart ankommen, wenn im weisen Rathe der<lb/>
hohen Monarchen eine ewige Trennung von unserem Könige beschlossen sein<lb/>
sollte, dem die Gleichgiltigkeit des Volkes selbst nicht entgangen sein kann und<lb/>
die sich überall noch merkbar genug äußert; denn selbst in der jüngeren Ver¬<lb/>
gangenheit habe ich häusig auf dem platten Lande Ausdrücke und Bemerkungen<lb/>
über ihn gehört, die mir die alte Ehrfurcht hier zu wiederholen verbietet, die<lb/>
jedoch nichts weniger als Achtung und Liebe, Ehrerbietung und.Anhänglichkeit<lb/>
bewiesen." Er meint, auch nicht einem einzigen Mann aus dem Volke sei<lb/>
in den Sinn gekommen, eine Adresse oder Bittschrift zu Gunsten des ver¬<lb/>
triebenen Fürsten zu veranlassen oder zu unterschreiben. Wo zu solchen Suppliken<lb/>
Anregung gegeben worden sei. lasse sich der Ursprung derselben auf einzelne</p><lb/>
          <note xml:id="FID_10" place="foot"> ") Unter anderm war über die Wirthschaftspolitik des Königs gesagt worden: &#x201E;Wenn<lb/>
man nicht genug rühmen könne, daß man hinsichtlich des Landescredits unter Friedrich Augusts<lb/>
Regierung so lange glücklich gewesen sei, so müsse man es mit demselben Rechte ebenso dank¬<lb/>
bar anerkennen, daß man sich unter den Regierungen eines Abdul Hamid oder eines Hyder<lb/>
Ali so wohl befunden habe, weil weder Se, konstantinopolitanische noch Se&gt; scringapatnamsche<lb/>
Majestät der Betriebsamkeit, dem Gewerb- und Handelsfleiße, folglich dem erhöhten Wohlstand<lb/>
der thätigen, rührigen Sachsen das Geringste in den Weg gelegt habe!"</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0394] Germanien, im zweiten Jahre der Welterlösung." Sie wird der Beherzigung der Mitbürger empfohlen, rührt also vermuthlich von einem Sachsen her. Der Verfasser geht die Meinungen durch, die über Schuld und Unschuld des Königs im Lande umlaufen. Seine Argumente richten sich namentlich gegen die falschen Auffassungen, die der Adel, auf den er schlecht genug zu sprechen ist, unter der Bevölkerung auszubilden suche. Wenn man die unseligen Entschlüsse des Königs durchweg seinen Rathgebern zur Last lege, möge mau doch bedenken, daß man ihn dadurch auch bezüglich seiner wahrhaften und anerkennenswerther Tugenden zum Automaten und zur Marionette herabwürdige. Gegen Verunglimpfung des königlichen Herrn legt er Verwahrung ein*), andererseits deckt er die üble Ver¬ fassung der Justizpflege und der Verwaltung ohne Scheu auf; aber er sucht zu einem maßvollen Urtheile über den Zustand Sachsens und seiner Chancen zü gelangen. Auch damals schon gab es jene Species von Menschen, die man heute Annexionisten nennt. Der Verfasser der obigen Schrift ist einer der schlimmsten von ihnen. Er redet ohne Leidenschaft, so sachlich wie möglich, auf Grund langjähriger Erfahrungen. Die Erhaltung der Dynastie gilt ihm nur unter Bedingungen als wünschenswert!), welche so gut als unerfüllbar sind, nämlich dann, wenn Sachsen durch starken Territorialzuwachs eine wirklich selb¬ ständige Macht würde und aufhöre, Spielball und Schachbret der großen Ge¬ walten zu sein. „Wir wollen uns" — schreibt er u. a. — „ fürderhin nicht mehr darum kümmern, was andere sagen oder nicht sagen, halten wir nur das Bild fest, wozu die strengste Wahrheit uns die Farben reichte und das in jedes Sachsens Herz und Erinnerung flammend genug brennt; dann kann es uns unmöglich schwer fallen, unmöglich hart ankommen, wenn im weisen Rathe der hohen Monarchen eine ewige Trennung von unserem Könige beschlossen sein sollte, dem die Gleichgiltigkeit des Volkes selbst nicht entgangen sein kann und die sich überall noch merkbar genug äußert; denn selbst in der jüngeren Ver¬ gangenheit habe ich häusig auf dem platten Lande Ausdrücke und Bemerkungen über ihn gehört, die mir die alte Ehrfurcht hier zu wiederholen verbietet, die jedoch nichts weniger als Achtung und Liebe, Ehrerbietung und.Anhänglichkeit bewiesen." Er meint, auch nicht einem einzigen Mann aus dem Volke sei in den Sinn gekommen, eine Adresse oder Bittschrift zu Gunsten des ver¬ triebenen Fürsten zu veranlassen oder zu unterschreiben. Wo zu solchen Suppliken Anregung gegeben worden sei. lasse sich der Ursprung derselben auf einzelne ") Unter anderm war über die Wirthschaftspolitik des Königs gesagt worden: „Wenn man nicht genug rühmen könne, daß man hinsichtlich des Landescredits unter Friedrich Augusts Regierung so lange glücklich gewesen sei, so müsse man es mit demselben Rechte ebenso dank¬ bar anerkennen, daß man sich unter den Regierungen eines Abdul Hamid oder eines Hyder Ali so wohl befunden habe, weil weder Se, konstantinopolitanische noch Se> scringapatnamsche Majestät der Betriebsamkeit, dem Gewerb- und Handelsfleiße, folglich dem erhöhten Wohlstand der thätigen, rührigen Sachsen das Geringste in den Weg gelegt habe!"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/394
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/394>, abgerufen am 22.07.2024.