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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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aufs Ungewisse hin etwas herzugeben. War doch fast überall die Truppcnzahl
Weit geringer, als sie auf dem geduldigen Papier angegeben war. Und der
Bund -- was war er noch? Ist man selbst im Frieden und bei seinem vollen
Bestehen seinen militärischen Weisungen gewissenhaft nachgekommen? Hat man
je von einer Execution gegen Säumige oder störrige gehört? Was konnte
man jetzt von ihm erwarten, wo er bereits im Absterben war? Das waren
Fragen, die sich jeder ohne Kopfzerbrechen selbst beantworten konnte. Die com-
mandirenden Herren hatten also vor der Ankunft der Hessen auf keinen sicheren
Beistand zu rechnen, denn selbst die nächsten Nachbarn, Rheinhessen und Nassau,
schienen Mainz seinem Schicksal überlassen zu wollen. So kamen denn die
Hessen, die ihr Stern hierher geleitet, als wahre Helfer in der Noth. Es war
Wohl anfangs ihre Absicht nicht, in Mainz zu verbleiben, sondern vielmehr sich
hier zu ordnen und das Weitere zu erwarten. Sie waren so Plötzlich aus dem
Lande herausgescheucht, daß sie selbst nicht wußten wie? Offiziere von der
kasseler Garnison sagten aus. daß es kein geordneter Abzug, sondern ein Her¬
ausstürzen gewesen sei. In der Morgendämmerung wären sie plötzlich allarmirt
worden. Niemand habe an einen Abzug gedacht und so hätten die meisten
Offiziere nur das Allernöthigste mitgenommen. Aber durch die gute Disciplin
der Truppen war fast alles gesichert worden, bis auf eine Anzahl Zündnadel'
gewehre, die man nicht gleich haben konnte. So geschah es denn, daß in einem
Bataillon ein Theil mit Zündnadelgcwehren, ein anderer mit Percussionsgewehren
bewaffnet war. Letztere waren meist ungeänderte alte Schießprügel, noch von
dem französischen Kriege her. Man trug sie bei Uebungen, um die Zündnadel¬
gewehre zu schonen.

Die Hessen wurden sofort stark in Anspruch genommen. Nach Mainz und
Castell vertheilt, mußten sie die äußersten Vorposten beziehen. Unter ihrem
Schutz wurden die Außenwerke in Vertheidigungsstand gesetzt, vog denen manche
noch, wie das starke Außenfort Bingen, zu vollenden waren. Die Cavalerie
wußte Patrouilliren und recognosciren; Artillerie, Train und Pionnieren war
auch ihr Theil zugedacht. Aber auch zu anderen, oft sonderbaren Zwecken wur¬
den die braven Hessen mit verwendet. Der Herzog von Nassau schien mehr an
sich, denn an das Allgemeine zu denken, seine Person und sein Eigenthum
Mochte ihm über alles gehen. Statt seine Truppen dem entblößten nahen und
ihrer bedürftigen Mainz zuzusenden, behielt er sie nicht nur bei sich, sondern
"bat sich zu seinem weiteren Schutz "och aus der Bundesfestung einige Ba-
taillone und Reiterei, und man war so gütig, den Wunsch des Herrn zu
gewähren. Eine Zeit lang mußten die Hessen Abends in der angegebenen
Stärke hinüber ins Nassauischc. dort die Nacht bivouakiren und Morgens
wieder zurückkehren. Einige Nächte soll auch der Herzog in Mainz zugebracht


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aufs Ungewisse hin etwas herzugeben. War doch fast überall die Truppcnzahl
Weit geringer, als sie auf dem geduldigen Papier angegeben war. Und der
Bund — was war er noch? Ist man selbst im Frieden und bei seinem vollen
Bestehen seinen militärischen Weisungen gewissenhaft nachgekommen? Hat man
je von einer Execution gegen Säumige oder störrige gehört? Was konnte
man jetzt von ihm erwarten, wo er bereits im Absterben war? Das waren
Fragen, die sich jeder ohne Kopfzerbrechen selbst beantworten konnte. Die com-
mandirenden Herren hatten also vor der Ankunft der Hessen auf keinen sicheren
Beistand zu rechnen, denn selbst die nächsten Nachbarn, Rheinhessen und Nassau,
schienen Mainz seinem Schicksal überlassen zu wollen. So kamen denn die
Hessen, die ihr Stern hierher geleitet, als wahre Helfer in der Noth. Es war
Wohl anfangs ihre Absicht nicht, in Mainz zu verbleiben, sondern vielmehr sich
hier zu ordnen und das Weitere zu erwarten. Sie waren so Plötzlich aus dem
Lande herausgescheucht, daß sie selbst nicht wußten wie? Offiziere von der
kasseler Garnison sagten aus. daß es kein geordneter Abzug, sondern ein Her¬
ausstürzen gewesen sei. In der Morgendämmerung wären sie plötzlich allarmirt
worden. Niemand habe an einen Abzug gedacht und so hätten die meisten
Offiziere nur das Allernöthigste mitgenommen. Aber durch die gute Disciplin
der Truppen war fast alles gesichert worden, bis auf eine Anzahl Zündnadel'
gewehre, die man nicht gleich haben konnte. So geschah es denn, daß in einem
Bataillon ein Theil mit Zündnadelgcwehren, ein anderer mit Percussionsgewehren
bewaffnet war. Letztere waren meist ungeänderte alte Schießprügel, noch von
dem französischen Kriege her. Man trug sie bei Uebungen, um die Zündnadel¬
gewehre zu schonen.

Die Hessen wurden sofort stark in Anspruch genommen. Nach Mainz und
Castell vertheilt, mußten sie die äußersten Vorposten beziehen. Unter ihrem
Schutz wurden die Außenwerke in Vertheidigungsstand gesetzt, vog denen manche
noch, wie das starke Außenfort Bingen, zu vollenden waren. Die Cavalerie
wußte Patrouilliren und recognosciren; Artillerie, Train und Pionnieren war
auch ihr Theil zugedacht. Aber auch zu anderen, oft sonderbaren Zwecken wur¬
den die braven Hessen mit verwendet. Der Herzog von Nassau schien mehr an
sich, denn an das Allgemeine zu denken, seine Person und sein Eigenthum
Mochte ihm über alles gehen. Statt seine Truppen dem entblößten nahen und
ihrer bedürftigen Mainz zuzusenden, behielt er sie nicht nur bei sich, sondern
«bat sich zu seinem weiteren Schutz »och aus der Bundesfestung einige Ba-
taillone und Reiterei, und man war so gütig, den Wunsch des Herrn zu
gewähren. Eine Zeit lang mußten die Hessen Abends in der angegebenen
Stärke hinüber ins Nassauischc. dort die Nacht bivouakiren und Morgens
wieder zurückkehren. Einige Nächte soll auch der Herzog in Mainz zugebracht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/371>, abgerufen am 22.07.2024.