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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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schönen Schillerplatz, unweit des Gouvernementsgebäudes gelegen, ließen in
ihrer Einrichtung nichts zu wünschen übrig. Dazu gehörten Gärten außerhalb
der Stadt. Hier hatten auch die Offiziere ihren Mittagstisch. Im preußischen
Casino fanden sich die Weimaraner. Meininger und Bückeburger zusammen,
später, nach dem Abzug der ersteren, ein Theil der Hessen. In den ersten Tagen
aßen auch die zurückgebliebenen preußischen Offiziere mit hier. Alles war ge¬
müthlich beisammen, man schien nicht zu wissen, wer Freund oder Feind war.
Selbst die Offiziere der feindlichen Mächte verkehrten noch in aller Eintracht
mit einander. Die Bayern und späterhin die Würtenberger und Nassauer
tafelten im östreichischen Casino. Doch wurde auch hier die Grenze nicht streng
gezogen.

Unterdeß ging vieles chaotisch durch einander und schwer war über dies und
jenes Auskunft zu erhalten. So war von einer planmäßigen Vertheilung
der Dienstwohnungen und Stallungen keine Rede.' Wer hier auf Recognos-
cirung ausging, nistete sich ein, wo es ihm gefiel und niemand Vertrieb ihn
daraus. Oft waren die Schlüssel einer Wohnung nicht zu finden, niemand
wußte, wer sie hatte. So war es auch nicht selten bei den Räumen, in denen
Vorräthe aufbewahrt wurden. Da wurde denn der Schlosser herbeigerufen, um
das Seine zu thun.

Das Nöthigste und Unaufschiebbare mußte mit aller Hast betrieben werden,
so namentlich die Uebergabe der Borräthe und Kassen am 21. Juni. An die¬
sem Tage durchzogen die alten und neuen Gouverneure und Commandanten
mit Adjutanten. Beamten und anderem Anhang die Straßen und Plätze von
Mainz, um sich von einem Local zum andern zu begeben. Alles war in voller
Galla mit Dekorationen; Gallawagm und Mietskutscher fuhren hinterher.
Bei der Eile konnte natürlich nichts ordentlich durchgezählt oder geprüft wer¬
den; man mußte eben alles, selbst die Kassen, aus Treu und Glauben über¬
nehmen.

Aber auch in anderem Wesentlichen ging es bunt her. Als z. B. der Prinz
von Holstein am Abend vor seinem Abzüge das Militärcasino besuchte, wie er
gewöhnlich that, und da traulich mit dem und jenem plauderte, sagte er unter
anderem zu den ihm zunächst sitzenden Offizieren: "Haben Sie je gehört, meine
Herren, daß in einer Nacht mehre tausend Mann eine Festung passirt haben,
ohne daß der Gouverneur etwas davon wußte? Nun. das ist mir in verrviche-
ner Nacht passirt. Die Nassauer sind durch, ohne es anzumelden und erst heute
Morgen erfuhr ich davon. Ich gehe weg und es wäre unnütz, hier ein Auf¬
heben davon zu machen, aber als Curiosum werde ich es doch an geeignetem
Orte melden." Es wär in der That so: die Nassauer, die planlos hin und
her trieben, waren in der Nacht gemüthlich und ohne angehalten zu werden
auf der Bahn durch die Festung gerutscht und kein Hahn hatte darum gekräht.


schönen Schillerplatz, unweit des Gouvernementsgebäudes gelegen, ließen in
ihrer Einrichtung nichts zu wünschen übrig. Dazu gehörten Gärten außerhalb
der Stadt. Hier hatten auch die Offiziere ihren Mittagstisch. Im preußischen
Casino fanden sich die Weimaraner. Meininger und Bückeburger zusammen,
später, nach dem Abzug der ersteren, ein Theil der Hessen. In den ersten Tagen
aßen auch die zurückgebliebenen preußischen Offiziere mit hier. Alles war ge¬
müthlich beisammen, man schien nicht zu wissen, wer Freund oder Feind war.
Selbst die Offiziere der feindlichen Mächte verkehrten noch in aller Eintracht
mit einander. Die Bayern und späterhin die Würtenberger und Nassauer
tafelten im östreichischen Casino. Doch wurde auch hier die Grenze nicht streng
gezogen.

Unterdeß ging vieles chaotisch durch einander und schwer war über dies und
jenes Auskunft zu erhalten. So war von einer planmäßigen Vertheilung
der Dienstwohnungen und Stallungen keine Rede.' Wer hier auf Recognos-
cirung ausging, nistete sich ein, wo es ihm gefiel und niemand Vertrieb ihn
daraus. Oft waren die Schlüssel einer Wohnung nicht zu finden, niemand
wußte, wer sie hatte. So war es auch nicht selten bei den Räumen, in denen
Vorräthe aufbewahrt wurden. Da wurde denn der Schlosser herbeigerufen, um
das Seine zu thun.

Das Nöthigste und Unaufschiebbare mußte mit aller Hast betrieben werden,
so namentlich die Uebergabe der Borräthe und Kassen am 21. Juni. An die¬
sem Tage durchzogen die alten und neuen Gouverneure und Commandanten
mit Adjutanten. Beamten und anderem Anhang die Straßen und Plätze von
Mainz, um sich von einem Local zum andern zu begeben. Alles war in voller
Galla mit Dekorationen; Gallawagm und Mietskutscher fuhren hinterher.
Bei der Eile konnte natürlich nichts ordentlich durchgezählt oder geprüft wer¬
den; man mußte eben alles, selbst die Kassen, aus Treu und Glauben über¬
nehmen.

Aber auch in anderem Wesentlichen ging es bunt her. Als z. B. der Prinz
von Holstein am Abend vor seinem Abzüge das Militärcasino besuchte, wie er
gewöhnlich that, und da traulich mit dem und jenem plauderte, sagte er unter
anderem zu den ihm zunächst sitzenden Offizieren: „Haben Sie je gehört, meine
Herren, daß in einer Nacht mehre tausend Mann eine Festung passirt haben,
ohne daß der Gouverneur etwas davon wußte? Nun. das ist mir in verrviche-
ner Nacht passirt. Die Nassauer sind durch, ohne es anzumelden und erst heute
Morgen erfuhr ich davon. Ich gehe weg und es wäre unnütz, hier ein Auf¬
heben davon zu machen, aber als Curiosum werde ich es doch an geeignetem
Orte melden." Es wär in der That so: die Nassauer, die planlos hin und
her trieben, waren in der Nacht gemüthlich und ohne angehalten zu werden
auf der Bahn durch die Festung gerutscht und kein Hahn hatte darum gekräht.


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[0368] schönen Schillerplatz, unweit des Gouvernementsgebäudes gelegen, ließen in ihrer Einrichtung nichts zu wünschen übrig. Dazu gehörten Gärten außerhalb der Stadt. Hier hatten auch die Offiziere ihren Mittagstisch. Im preußischen Casino fanden sich die Weimaraner. Meininger und Bückeburger zusammen, später, nach dem Abzug der ersteren, ein Theil der Hessen. In den ersten Tagen aßen auch die zurückgebliebenen preußischen Offiziere mit hier. Alles war ge¬ müthlich beisammen, man schien nicht zu wissen, wer Freund oder Feind war. Selbst die Offiziere der feindlichen Mächte verkehrten noch in aller Eintracht mit einander. Die Bayern und späterhin die Würtenberger und Nassauer tafelten im östreichischen Casino. Doch wurde auch hier die Grenze nicht streng gezogen. Unterdeß ging vieles chaotisch durch einander und schwer war über dies und jenes Auskunft zu erhalten. So war von einer planmäßigen Vertheilung der Dienstwohnungen und Stallungen keine Rede.' Wer hier auf Recognos- cirung ausging, nistete sich ein, wo es ihm gefiel und niemand Vertrieb ihn daraus. Oft waren die Schlüssel einer Wohnung nicht zu finden, niemand wußte, wer sie hatte. So war es auch nicht selten bei den Räumen, in denen Vorräthe aufbewahrt wurden. Da wurde denn der Schlosser herbeigerufen, um das Seine zu thun. Das Nöthigste und Unaufschiebbare mußte mit aller Hast betrieben werden, so namentlich die Uebergabe der Borräthe und Kassen am 21. Juni. An die¬ sem Tage durchzogen die alten und neuen Gouverneure und Commandanten mit Adjutanten. Beamten und anderem Anhang die Straßen und Plätze von Mainz, um sich von einem Local zum andern zu begeben. Alles war in voller Galla mit Dekorationen; Gallawagm und Mietskutscher fuhren hinterher. Bei der Eile konnte natürlich nichts ordentlich durchgezählt oder geprüft wer¬ den; man mußte eben alles, selbst die Kassen, aus Treu und Glauben über¬ nehmen. Aber auch in anderem Wesentlichen ging es bunt her. Als z. B. der Prinz von Holstein am Abend vor seinem Abzüge das Militärcasino besuchte, wie er gewöhnlich that, und da traulich mit dem und jenem plauderte, sagte er unter anderem zu den ihm zunächst sitzenden Offizieren: „Haben Sie je gehört, meine Herren, daß in einer Nacht mehre tausend Mann eine Festung passirt haben, ohne daß der Gouverneur etwas davon wußte? Nun. das ist mir in verrviche- ner Nacht passirt. Die Nassauer sind durch, ohne es anzumelden und erst heute Morgen erfuhr ich davon. Ich gehe weg und es wäre unnütz, hier ein Auf¬ heben davon zu machen, aber als Curiosum werde ich es doch an geeignetem Orte melden." Es wär in der That so: die Nassauer, die planlos hin und her trieben, waren in der Nacht gemüthlich und ohne angehalten zu werden auf der Bahn durch die Festung gerutscht und kein Hahn hatte darum gekräht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/368>, abgerufen am 22.07.2024.