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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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forderungen für Staatszwecke. Daß die Regierung oft einseitig verfuhr, ja zu"
weilen höchst berechtigte Forderungen unserer Bildung mißverstand, hat doch im
Großen nicht die zeitgemäße Entwickelung aufgehalten und nicht das Ueber¬
gewicht über die andern deutschen Stämme. Wenn der Preuße höhere Steuern
zu zahlen hatte als die meisten Nachbarn, wenn jeder gesunde Mann dem
Staate militärpflichtig war, wenn jeder Besitzende weit stärker als ein anderer
Deutscher daran erinnert wurde, daß er dem Staat Geld, Rosse, Fuhren, Dienste,
Arbeit, Leib und Leben zu geben schuldig sei, so hat diese unablässige Nöthi¬
gung doch die Cultur des Volkes nicht beeinträchtigt und dem Preußen das Recht
gegeben, mit stolzem Selbstgefühl sich als Eins mit seinem Staate zu empfinden.

Daß die Physiognomie, welche ein solches Staatsleben den Angehörigen
aufprägt, den Nachbarn nicht immer behaglich erschienen ist, wissen wir. In
dem armen Staate Friedrich des Großen galt den Fremden das Leben für be¬
sonders reizlos, noch unter Friedrich Wilhelm dem Dritten klagte der Deutsche
aus dem Süden mit Recht über das knappe, steife, schulmeisterliche Wesen der
Preußen. Schon jetzt ist zu solcher Klage kein Grund. Aber unzweifelhaft,
man wird einst in dem stärkern und reichern Leben unserer Zukunft diese ganze
spartanische Richtung des alten Preußens als eine einseitige Größe begutachten.
Uns kümmert das nicht, denn wir haben Grund, dieses Wesen als etwas sehr
Großes zu achten. In dem Staat der Hohenzollern ist den Deutschen zuerst
eine Eigenschaft geworden, welche ihrem Wesen seit der Urzeit zu schwach ent¬
wickelt war: behende Hingabe des Einzelnen an den Staat.

Auf den böhmischen Schlachtfeldern hat Preußen das älteste Leiden der
Deutschen beseitigt; dasselbe Leiden, dem schon Armin erlag, das den Staat
der Frankenkaiser und Hohenstaufen verdorben hat, das die undeutsche Politik
Karls des Fünften, des Habsburgers, möglich machte, das den dreißigjährigen
Krieg nährte und seitdem die Germanenvölker auf dem Continent zu politischer
Ohnmacht herabgedrückt hat^ die preußischen Heere haben die deutsche Klein¬
staaterei getödtet. Das ist der unermeßliche Erfolg, die Glorie des preußischen
Sieges, und darum beginnt mit dem Sommer 1866 für Deutschland eine neue
Geschichte. Noch sind bei weitem nicht alle Consequenzen der großen Arbeit gezogen,
nicht alles Verichte ist beseitigt und neue opfervolle Anstrengungen werden nöthig
sein. Aber die Hauptsache ist doch gethan, die Grenzpfähle sind umgehauen, was im
Norden des Main davon stehen blieb, ist fast nur noch unschädliche Erinnerung
vergangene Zustände, das kleinstädtische Behagen der Völker und die dyna¬
stischen Interessen der regierenden Familien werden nicht mehr die Geschicke des
deutschen Staates bestimmen. Wir Deutsche sind jetzt mitten darin, ein moder¬
ner Großstaat zu werden und unsern Nachkommen ein Selbstgefühl zu bereiten,
welches die Vorfahren selbst damals nicht gehabt haben, als Karl der Große
die Sachsen zur Taufe zwang und als Friedrich Rothbart in Mailand einzog.


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forderungen für Staatszwecke. Daß die Regierung oft einseitig verfuhr, ja zu«
weilen höchst berechtigte Forderungen unserer Bildung mißverstand, hat doch im
Großen nicht die zeitgemäße Entwickelung aufgehalten und nicht das Ueber¬
gewicht über die andern deutschen Stämme. Wenn der Preuße höhere Steuern
zu zahlen hatte als die meisten Nachbarn, wenn jeder gesunde Mann dem
Staate militärpflichtig war, wenn jeder Besitzende weit stärker als ein anderer
Deutscher daran erinnert wurde, daß er dem Staat Geld, Rosse, Fuhren, Dienste,
Arbeit, Leib und Leben zu geben schuldig sei, so hat diese unablässige Nöthi¬
gung doch die Cultur des Volkes nicht beeinträchtigt und dem Preußen das Recht
gegeben, mit stolzem Selbstgefühl sich als Eins mit seinem Staate zu empfinden.

Daß die Physiognomie, welche ein solches Staatsleben den Angehörigen
aufprägt, den Nachbarn nicht immer behaglich erschienen ist, wissen wir. In
dem armen Staate Friedrich des Großen galt den Fremden das Leben für be¬
sonders reizlos, noch unter Friedrich Wilhelm dem Dritten klagte der Deutsche
aus dem Süden mit Recht über das knappe, steife, schulmeisterliche Wesen der
Preußen. Schon jetzt ist zu solcher Klage kein Grund. Aber unzweifelhaft,
man wird einst in dem stärkern und reichern Leben unserer Zukunft diese ganze
spartanische Richtung des alten Preußens als eine einseitige Größe begutachten.
Uns kümmert das nicht, denn wir haben Grund, dieses Wesen als etwas sehr
Großes zu achten. In dem Staat der Hohenzollern ist den Deutschen zuerst
eine Eigenschaft geworden, welche ihrem Wesen seit der Urzeit zu schwach ent¬
wickelt war: behende Hingabe des Einzelnen an den Staat.

Auf den böhmischen Schlachtfeldern hat Preußen das älteste Leiden der
Deutschen beseitigt; dasselbe Leiden, dem schon Armin erlag, das den Staat
der Frankenkaiser und Hohenstaufen verdorben hat, das die undeutsche Politik
Karls des Fünften, des Habsburgers, möglich machte, das den dreißigjährigen
Krieg nährte und seitdem die Germanenvölker auf dem Continent zu politischer
Ohnmacht herabgedrückt hat^ die preußischen Heere haben die deutsche Klein¬
staaterei getödtet. Das ist der unermeßliche Erfolg, die Glorie des preußischen
Sieges, und darum beginnt mit dem Sommer 1866 für Deutschland eine neue
Geschichte. Noch sind bei weitem nicht alle Consequenzen der großen Arbeit gezogen,
nicht alles Verichte ist beseitigt und neue opfervolle Anstrengungen werden nöthig
sein. Aber die Hauptsache ist doch gethan, die Grenzpfähle sind umgehauen, was im
Norden des Main davon stehen blieb, ist fast nur noch unschädliche Erinnerung
vergangene Zustände, das kleinstädtische Behagen der Völker und die dyna¬
stischen Interessen der regierenden Familien werden nicht mehr die Geschicke des
deutschen Staates bestimmen. Wir Deutsche sind jetzt mitten darin, ein moder¬
ner Großstaat zu werden und unsern Nachkommen ein Selbstgefühl zu bereiten,
welches die Vorfahren selbst damals nicht gehabt haben, als Karl der Große
die Sachsen zur Taufe zwang und als Friedrich Rothbart in Mailand einzog.


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[0349] forderungen für Staatszwecke. Daß die Regierung oft einseitig verfuhr, ja zu« weilen höchst berechtigte Forderungen unserer Bildung mißverstand, hat doch im Großen nicht die zeitgemäße Entwickelung aufgehalten und nicht das Ueber¬ gewicht über die andern deutschen Stämme. Wenn der Preuße höhere Steuern zu zahlen hatte als die meisten Nachbarn, wenn jeder gesunde Mann dem Staate militärpflichtig war, wenn jeder Besitzende weit stärker als ein anderer Deutscher daran erinnert wurde, daß er dem Staat Geld, Rosse, Fuhren, Dienste, Arbeit, Leib und Leben zu geben schuldig sei, so hat diese unablässige Nöthi¬ gung doch die Cultur des Volkes nicht beeinträchtigt und dem Preußen das Recht gegeben, mit stolzem Selbstgefühl sich als Eins mit seinem Staate zu empfinden. Daß die Physiognomie, welche ein solches Staatsleben den Angehörigen aufprägt, den Nachbarn nicht immer behaglich erschienen ist, wissen wir. In dem armen Staate Friedrich des Großen galt den Fremden das Leben für be¬ sonders reizlos, noch unter Friedrich Wilhelm dem Dritten klagte der Deutsche aus dem Süden mit Recht über das knappe, steife, schulmeisterliche Wesen der Preußen. Schon jetzt ist zu solcher Klage kein Grund. Aber unzweifelhaft, man wird einst in dem stärkern und reichern Leben unserer Zukunft diese ganze spartanische Richtung des alten Preußens als eine einseitige Größe begutachten. Uns kümmert das nicht, denn wir haben Grund, dieses Wesen als etwas sehr Großes zu achten. In dem Staat der Hohenzollern ist den Deutschen zuerst eine Eigenschaft geworden, welche ihrem Wesen seit der Urzeit zu schwach ent¬ wickelt war: behende Hingabe des Einzelnen an den Staat. Auf den böhmischen Schlachtfeldern hat Preußen das älteste Leiden der Deutschen beseitigt; dasselbe Leiden, dem schon Armin erlag, das den Staat der Frankenkaiser und Hohenstaufen verdorben hat, das die undeutsche Politik Karls des Fünften, des Habsburgers, möglich machte, das den dreißigjährigen Krieg nährte und seitdem die Germanenvölker auf dem Continent zu politischer Ohnmacht herabgedrückt hat^ die preußischen Heere haben die deutsche Klein¬ staaterei getödtet. Das ist der unermeßliche Erfolg, die Glorie des preußischen Sieges, und darum beginnt mit dem Sommer 1866 für Deutschland eine neue Geschichte. Noch sind bei weitem nicht alle Consequenzen der großen Arbeit gezogen, nicht alles Verichte ist beseitigt und neue opfervolle Anstrengungen werden nöthig sein. Aber die Hauptsache ist doch gethan, die Grenzpfähle sind umgehauen, was im Norden des Main davon stehen blieb, ist fast nur noch unschädliche Erinnerung vergangene Zustände, das kleinstädtische Behagen der Völker und die dyna¬ stischen Interessen der regierenden Familien werden nicht mehr die Geschicke des deutschen Staates bestimmen. Wir Deutsche sind jetzt mitten darin, ein moder¬ ner Großstaat zu werden und unsern Nachkommen ein Selbstgefühl zu bereiten, welches die Vorfahren selbst damals nicht gehabt haben, als Karl der Große die Sachsen zur Taufe zwang und als Friedrich Rothbart in Mailand einzog. 41'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/349>, abgerufen am 22.07.2024.