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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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"Strebe nur immer zum Ganzen; und kannst du selber kein Ganzes
Bilden, als dienendes Glied schließ' an ein Ganzes dich an!"

Auch für die Budgetconflicte, welche in Preußen flagrant und anne. in
den andern deutschen Staaten latent und chronisch an der Tagesordnung sind,
hat vielleicht die Volkswirthschaft eine Lösung gefunden, welche gegenüber einem
wirklichen Staat auf keine Schwierigkeiten stoßen würde.

Der Staat sagt zur Gesellschaft: "Ich gewähre dir den Rechtsschutz im
Innern, den Machtschutz nach außen; stelle mir zu diesem Zwecke deine Mittel
zur Verfügung." Die Gesellschaft antwortet: "Meine Mittel habe ich zum
größten Theile für mich selbst nöthig; ohne Capital kann ich nicht produciren,
ohne Production nicht leben und auch dir nichts leisten; ich kann dir daher nur
einen Theil meiner jeweiligen Productionsüberschüsse geben; wieviel? -- das
muß ich selbst nach einem jeden Abschluß entscheiden; denn davon
verstehst du nichts, mein lieber Staat." Er, der Staat, erwidert, von seinem
Standpunkte aus ganz richtig: "Aber das verstehe ich doch, daß ich nicht in
Ungewißheit von der Hand in den Mund leben, daß ich nicht warten kann, bis
du deine Bilanz gemacht hast; denn zwischenzeitig überschreitet vielleicht der
Feind die Grenze, oder eine Räuberbande verwüstet das Land; ich kenne meine
Pflichten und habe das Recht zu fordern, daß mir die Mittel zu deren Erfül¬
lung ungeschmälert zur Verfügung gestellt werden; wieviel? -- das ent¬
scheidet mein Bedürfniß."

Da haben wir den Conflict. Er und sie streiten, es fehlt auf beiden
Seiten nicht an falschen Freunden, Zuträgern, AusHetzern. Die Kluft erweitert
sich. Man träufelt Gift in Wunde. Die bisher so glückliche Ehe zwischen
dem Staat und der Gesellschaft ist in Gefahr, sich aufzulösen.

Da tritt die Volkswirthschaft als Mittler zwischen die strittigen Ehegatten;
sie sagt dem Staat: Du verlangst zu viel, und der Gesellschaft: Du willst zu
wenig geben. Sie sagt beiden: Ihr beide bedürft für Euer Geschäft Capital-
und Menschenkraft, Eisen und Blut; suchen wir eine dauernde Grenzregulirung,
einen bleibenden Distributionsmodus zu finden, welcher im Nothwendigen
Festigkeit, im Nützlichen Spielraum und im Zweifelhaften Frei¬
heit gewährt. Versuchen wir ein normal- und Minimalbudget zu finden, wel¬
ches sich beschränkt auf das nothwendige Maß dessen, was der Staat Jahr aus
Jahr ein regelmäßig bedarf zur Erfüllung seiner Misston des Rechts- und des
Machtschutzes. Vereinbaren wir dieses Normalbudget der unabweisbaren Aus¬
gaben, ohne welche der Staat nicht bestehen, die Gesellschaft nicht geschützt
werden kann. Ist dieses normale Ausgabenbudget zwischen dem Staat einer¬
seits und der Gesellschaft andererseits festgestellt, so kommen wir überein, daß
es nur in Uebereinstimmung beider geändert werden kann (nur xsr rrinwum
6isLeu8Mit, wie die Pandektisten sagen). Gehen wir weiter. Ermitteln wir


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„Strebe nur immer zum Ganzen; und kannst du selber kein Ganzes
Bilden, als dienendes Glied schließ' an ein Ganzes dich an!"

Auch für die Budgetconflicte, welche in Preußen flagrant und anne. in
den andern deutschen Staaten latent und chronisch an der Tagesordnung sind,
hat vielleicht die Volkswirthschaft eine Lösung gefunden, welche gegenüber einem
wirklichen Staat auf keine Schwierigkeiten stoßen würde.

Der Staat sagt zur Gesellschaft: „Ich gewähre dir den Rechtsschutz im
Innern, den Machtschutz nach außen; stelle mir zu diesem Zwecke deine Mittel
zur Verfügung." Die Gesellschaft antwortet: „Meine Mittel habe ich zum
größten Theile für mich selbst nöthig; ohne Capital kann ich nicht produciren,
ohne Production nicht leben und auch dir nichts leisten; ich kann dir daher nur
einen Theil meiner jeweiligen Productionsüberschüsse geben; wieviel? — das
muß ich selbst nach einem jeden Abschluß entscheiden; denn davon
verstehst du nichts, mein lieber Staat." Er, der Staat, erwidert, von seinem
Standpunkte aus ganz richtig: „Aber das verstehe ich doch, daß ich nicht in
Ungewißheit von der Hand in den Mund leben, daß ich nicht warten kann, bis
du deine Bilanz gemacht hast; denn zwischenzeitig überschreitet vielleicht der
Feind die Grenze, oder eine Räuberbande verwüstet das Land; ich kenne meine
Pflichten und habe das Recht zu fordern, daß mir die Mittel zu deren Erfül¬
lung ungeschmälert zur Verfügung gestellt werden; wieviel? — das ent¬
scheidet mein Bedürfniß."

Da haben wir den Conflict. Er und sie streiten, es fehlt auf beiden
Seiten nicht an falschen Freunden, Zuträgern, AusHetzern. Die Kluft erweitert
sich. Man träufelt Gift in Wunde. Die bisher so glückliche Ehe zwischen
dem Staat und der Gesellschaft ist in Gefahr, sich aufzulösen.

Da tritt die Volkswirthschaft als Mittler zwischen die strittigen Ehegatten;
sie sagt dem Staat: Du verlangst zu viel, und der Gesellschaft: Du willst zu
wenig geben. Sie sagt beiden: Ihr beide bedürft für Euer Geschäft Capital-
und Menschenkraft, Eisen und Blut; suchen wir eine dauernde Grenzregulirung,
einen bleibenden Distributionsmodus zu finden, welcher im Nothwendigen
Festigkeit, im Nützlichen Spielraum und im Zweifelhaften Frei¬
heit gewährt. Versuchen wir ein normal- und Minimalbudget zu finden, wel¬
ches sich beschränkt auf das nothwendige Maß dessen, was der Staat Jahr aus
Jahr ein regelmäßig bedarf zur Erfüllung seiner Misston des Rechts- und des
Machtschutzes. Vereinbaren wir dieses Normalbudget der unabweisbaren Aus¬
gaben, ohne welche der Staat nicht bestehen, die Gesellschaft nicht geschützt
werden kann. Ist dieses normale Ausgabenbudget zwischen dem Staat einer¬
seits und der Gesellschaft andererseits festgestellt, so kommen wir überein, daß
es nur in Uebereinstimmung beider geändert werden kann (nur xsr rrinwum
6isLeu8Mit, wie die Pandektisten sagen). Gehen wir weiter. Ermitteln wir


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[0339] „Strebe nur immer zum Ganzen; und kannst du selber kein Ganzes Bilden, als dienendes Glied schließ' an ein Ganzes dich an!" Auch für die Budgetconflicte, welche in Preußen flagrant und anne. in den andern deutschen Staaten latent und chronisch an der Tagesordnung sind, hat vielleicht die Volkswirthschaft eine Lösung gefunden, welche gegenüber einem wirklichen Staat auf keine Schwierigkeiten stoßen würde. Der Staat sagt zur Gesellschaft: „Ich gewähre dir den Rechtsschutz im Innern, den Machtschutz nach außen; stelle mir zu diesem Zwecke deine Mittel zur Verfügung." Die Gesellschaft antwortet: „Meine Mittel habe ich zum größten Theile für mich selbst nöthig; ohne Capital kann ich nicht produciren, ohne Production nicht leben und auch dir nichts leisten; ich kann dir daher nur einen Theil meiner jeweiligen Productionsüberschüsse geben; wieviel? — das muß ich selbst nach einem jeden Abschluß entscheiden; denn davon verstehst du nichts, mein lieber Staat." Er, der Staat, erwidert, von seinem Standpunkte aus ganz richtig: „Aber das verstehe ich doch, daß ich nicht in Ungewißheit von der Hand in den Mund leben, daß ich nicht warten kann, bis du deine Bilanz gemacht hast; denn zwischenzeitig überschreitet vielleicht der Feind die Grenze, oder eine Räuberbande verwüstet das Land; ich kenne meine Pflichten und habe das Recht zu fordern, daß mir die Mittel zu deren Erfül¬ lung ungeschmälert zur Verfügung gestellt werden; wieviel? — das ent¬ scheidet mein Bedürfniß." Da haben wir den Conflict. Er und sie streiten, es fehlt auf beiden Seiten nicht an falschen Freunden, Zuträgern, AusHetzern. Die Kluft erweitert sich. Man träufelt Gift in Wunde. Die bisher so glückliche Ehe zwischen dem Staat und der Gesellschaft ist in Gefahr, sich aufzulösen. Da tritt die Volkswirthschaft als Mittler zwischen die strittigen Ehegatten; sie sagt dem Staat: Du verlangst zu viel, und der Gesellschaft: Du willst zu wenig geben. Sie sagt beiden: Ihr beide bedürft für Euer Geschäft Capital- und Menschenkraft, Eisen und Blut; suchen wir eine dauernde Grenzregulirung, einen bleibenden Distributionsmodus zu finden, welcher im Nothwendigen Festigkeit, im Nützlichen Spielraum und im Zweifelhaften Frei¬ heit gewährt. Versuchen wir ein normal- und Minimalbudget zu finden, wel¬ ches sich beschränkt auf das nothwendige Maß dessen, was der Staat Jahr aus Jahr ein regelmäßig bedarf zur Erfüllung seiner Misston des Rechts- und des Machtschutzes. Vereinbaren wir dieses Normalbudget der unabweisbaren Aus¬ gaben, ohne welche der Staat nicht bestehen, die Gesellschaft nicht geschützt werden kann. Ist dieses normale Ausgabenbudget zwischen dem Staat einer¬ seits und der Gesellschaft andererseits festgestellt, so kommen wir überein, daß es nur in Uebereinstimmung beider geändert werden kann (nur xsr rrinwum 6isLeu8Mit, wie die Pandektisten sagen). Gehen wir weiter. Ermitteln wir 40*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/339>, abgerufen am 22.07.2024.