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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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den letzten entscheidenden Sieg Preußens, die Einnahme von Preßburg, durch
freundlich interponirte Vermittelung gehindert, es hat bereits durch sein Da¬
zwischentreten Oestreichs Territorialbestand und die Existenz der süddeutschen
Regierungen erhalten. Schon jetzt hat es dadurch einen Druck auf die deutschen
Verhältnisse und Preußens Erfolge ausgeübt, der grade so groß ist, als ihn ein
mannhaftes Volk noch ertragen kann; weiter zu gehen, wäre in Wahrheit
unloyal und beleidigend gegen den Sieger und ein ungerechter Eingriff in
fremde Angelegenheiten. Es ist ja dasselbe Nationalitätsprtncip, welches ein
Axiom der kaiserlichen Politik bildet, das sich jetzt in Deutschland zu realisiren
ringt, es wäre nicht klug und es wäre nicht recht, wenn Frankreich mit den
Waffen hindern wollte, was es selbst als die Grundlage berechtigter Staaten¬
bildung anerkannt hat.

Und doch. Trotz dieser naheliegenden Erwägungen hat Kaiser Napoleon deut¬
sches Rheinland von Preußen gefordert. Ueber den Umfang seiner Forderungen ist
nichts Sicheres bekannt; es ist Grund, anzunehmen, daß dieselben noch größer
sind als die Presse meldete, und außer Landau, Mainz, Luxemburg auch Rheinpfalz,
Rheinhessen und gegen Preußen die Saargrenze beanspruchen. Wir dürfen also
schließen, daß der kaiserliche Wille gerichtet wurde einmal durch den für den Moment
übermächtigen Wunsch, ein altes geheimes Project zu realisiren, vorzugsweise aber
durch die Meinung seines Volkes. In seinem Cabinet, wohin die Telegraphendrähte
alltäglich Gemurmel und Stimmung aus jedem Theile Frankreichs leiten, hat
er den Eindruck empfangen, daß die Franzosen ein heftiges Gelüst haben, mit
Preußen alte Rechnung abzumachen. Ein großer Theil der kaiserlichen Erfolge
beruht darauf, daß Napoleon solchen Stimmungen, die unfertig, zuweilen noch
der pariser Presse undeutlich, in dem Volk und Heere tönen, feste Formel und
Realisation zu geben wußte. Einige Mal, da, wo er am weisesten handelte,
faßte er Wunsch und Bedürfniß seines Frankreich höher als ein anderer der
Franzosen, so bei seinem Kampf gegen die Schutzzöllner; ein anderes Mal hörte
er wohl nicht deutlich genug, was in dem Telegraphen hämmerte, weil sein
eigener Wunsch ihn zu jäh vorwärts trieb, wie in der Frage Mexicos. Diesmal
Mag er die Tagesströmung Frankreichs richtig verstanden haben.

Denn selbst die Haltung der französischen Blätter giebt kein vollständiges
Bild von der gereizten und neidischen Stimmung, womit die Franzosen der
Hauptstadt und des östlichen Frankreichs die Fortschritte der preußischen Waffen
betrachteten. Sie gleichen jetzt älteren Autoren, welche im Besitz eines gewissen
Quantum Ruhms jeden Beifall, den sich ein anderer gewinnt, für eine Be¬
einträchtigung der ihnen gebührenden Quote halten. Hinter den Phrasen von
freier Nationalität liegt dort derselbe eitle Stolz, welcher zur Zeit Ludwig des
Vierzehnten und Napoleon des Ersten das Franzosenthum gemeinschädlich für
Europa machte. Die nationale Anmaßung und Selbstüberschätzung ist größer,


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den letzten entscheidenden Sieg Preußens, die Einnahme von Preßburg, durch
freundlich interponirte Vermittelung gehindert, es hat bereits durch sein Da¬
zwischentreten Oestreichs Territorialbestand und die Existenz der süddeutschen
Regierungen erhalten. Schon jetzt hat es dadurch einen Druck auf die deutschen
Verhältnisse und Preußens Erfolge ausgeübt, der grade so groß ist, als ihn ein
mannhaftes Volk noch ertragen kann; weiter zu gehen, wäre in Wahrheit
unloyal und beleidigend gegen den Sieger und ein ungerechter Eingriff in
fremde Angelegenheiten. Es ist ja dasselbe Nationalitätsprtncip, welches ein
Axiom der kaiserlichen Politik bildet, das sich jetzt in Deutschland zu realisiren
ringt, es wäre nicht klug und es wäre nicht recht, wenn Frankreich mit den
Waffen hindern wollte, was es selbst als die Grundlage berechtigter Staaten¬
bildung anerkannt hat.

Und doch. Trotz dieser naheliegenden Erwägungen hat Kaiser Napoleon deut¬
sches Rheinland von Preußen gefordert. Ueber den Umfang seiner Forderungen ist
nichts Sicheres bekannt; es ist Grund, anzunehmen, daß dieselben noch größer
sind als die Presse meldete, und außer Landau, Mainz, Luxemburg auch Rheinpfalz,
Rheinhessen und gegen Preußen die Saargrenze beanspruchen. Wir dürfen also
schließen, daß der kaiserliche Wille gerichtet wurde einmal durch den für den Moment
übermächtigen Wunsch, ein altes geheimes Project zu realisiren, vorzugsweise aber
durch die Meinung seines Volkes. In seinem Cabinet, wohin die Telegraphendrähte
alltäglich Gemurmel und Stimmung aus jedem Theile Frankreichs leiten, hat
er den Eindruck empfangen, daß die Franzosen ein heftiges Gelüst haben, mit
Preußen alte Rechnung abzumachen. Ein großer Theil der kaiserlichen Erfolge
beruht darauf, daß Napoleon solchen Stimmungen, die unfertig, zuweilen noch
der pariser Presse undeutlich, in dem Volk und Heere tönen, feste Formel und
Realisation zu geben wußte. Einige Mal, da, wo er am weisesten handelte,
faßte er Wunsch und Bedürfniß seines Frankreich höher als ein anderer der
Franzosen, so bei seinem Kampf gegen die Schutzzöllner; ein anderes Mal hörte
er wohl nicht deutlich genug, was in dem Telegraphen hämmerte, weil sein
eigener Wunsch ihn zu jäh vorwärts trieb, wie in der Frage Mexicos. Diesmal
Mag er die Tagesströmung Frankreichs richtig verstanden haben.

Denn selbst die Haltung der französischen Blätter giebt kein vollständiges
Bild von der gereizten und neidischen Stimmung, womit die Franzosen der
Hauptstadt und des östlichen Frankreichs die Fortschritte der preußischen Waffen
betrachteten. Sie gleichen jetzt älteren Autoren, welche im Besitz eines gewissen
Quantum Ruhms jeden Beifall, den sich ein anderer gewinnt, für eine Be¬
einträchtigung der ihnen gebührenden Quote halten. Hinter den Phrasen von
freier Nationalität liegt dort derselbe eitle Stolz, welcher zur Zeit Ludwig des
Vierzehnten und Napoleon des Ersten das Franzosenthum gemeinschädlich für
Europa machte. Die nationale Anmaßung und Selbstüberschätzung ist größer,


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[0307] den letzten entscheidenden Sieg Preußens, die Einnahme von Preßburg, durch freundlich interponirte Vermittelung gehindert, es hat bereits durch sein Da¬ zwischentreten Oestreichs Territorialbestand und die Existenz der süddeutschen Regierungen erhalten. Schon jetzt hat es dadurch einen Druck auf die deutschen Verhältnisse und Preußens Erfolge ausgeübt, der grade so groß ist, als ihn ein mannhaftes Volk noch ertragen kann; weiter zu gehen, wäre in Wahrheit unloyal und beleidigend gegen den Sieger und ein ungerechter Eingriff in fremde Angelegenheiten. Es ist ja dasselbe Nationalitätsprtncip, welches ein Axiom der kaiserlichen Politik bildet, das sich jetzt in Deutschland zu realisiren ringt, es wäre nicht klug und es wäre nicht recht, wenn Frankreich mit den Waffen hindern wollte, was es selbst als die Grundlage berechtigter Staaten¬ bildung anerkannt hat. Und doch. Trotz dieser naheliegenden Erwägungen hat Kaiser Napoleon deut¬ sches Rheinland von Preußen gefordert. Ueber den Umfang seiner Forderungen ist nichts Sicheres bekannt; es ist Grund, anzunehmen, daß dieselben noch größer sind als die Presse meldete, und außer Landau, Mainz, Luxemburg auch Rheinpfalz, Rheinhessen und gegen Preußen die Saargrenze beanspruchen. Wir dürfen also schließen, daß der kaiserliche Wille gerichtet wurde einmal durch den für den Moment übermächtigen Wunsch, ein altes geheimes Project zu realisiren, vorzugsweise aber durch die Meinung seines Volkes. In seinem Cabinet, wohin die Telegraphendrähte alltäglich Gemurmel und Stimmung aus jedem Theile Frankreichs leiten, hat er den Eindruck empfangen, daß die Franzosen ein heftiges Gelüst haben, mit Preußen alte Rechnung abzumachen. Ein großer Theil der kaiserlichen Erfolge beruht darauf, daß Napoleon solchen Stimmungen, die unfertig, zuweilen noch der pariser Presse undeutlich, in dem Volk und Heere tönen, feste Formel und Realisation zu geben wußte. Einige Mal, da, wo er am weisesten handelte, faßte er Wunsch und Bedürfniß seines Frankreich höher als ein anderer der Franzosen, so bei seinem Kampf gegen die Schutzzöllner; ein anderes Mal hörte er wohl nicht deutlich genug, was in dem Telegraphen hämmerte, weil sein eigener Wunsch ihn zu jäh vorwärts trieb, wie in der Frage Mexicos. Diesmal Mag er die Tagesströmung Frankreichs richtig verstanden haben. Denn selbst die Haltung der französischen Blätter giebt kein vollständiges Bild von der gereizten und neidischen Stimmung, womit die Franzosen der Hauptstadt und des östlichen Frankreichs die Fortschritte der preußischen Waffen betrachteten. Sie gleichen jetzt älteren Autoren, welche im Besitz eines gewissen Quantum Ruhms jeden Beifall, den sich ein anderer gewinnt, für eine Be¬ einträchtigung der ihnen gebührenden Quote halten. Hinter den Phrasen von freier Nationalität liegt dort derselbe eitle Stolz, welcher zur Zeit Ludwig des Vierzehnten und Napoleon des Ersten das Franzosenthum gemeinschädlich für Europa machte. Die nationale Anmaßung und Selbstüberschätzung ist größer, 36*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/307>, abgerufen am 22.07.2024.