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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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auf Jahre hinaus in Anspruch nehmen. Eines aber ist nöthig: die Neuen müssen
ganze Preußen werden, und das Kraftgefühl bekommen, welches der innige Zu¬
sammenhang mit einem großen Staate giebt. Sie mögen ihre Gesetzbücher,
Gerichte behalten, nur der oberste Gerichtshof Preußens als letzte Instanz, so weit
dies nöthig, durch Zutritt einiger Mitglieder aus ihrem Richterstande vermehrt
werden. Sie mögen ihre direkten Steuern nach den bisherigen Modalitäten
zahlen, mögen ihre Kommunal- und Kreisverwaltung bis auf weiteres bewahren,
mögen für ihre Bildungsanstalten ihre bisherige Ausstattung und besondere In-
spection behaupten, das alles wird allmälig zusammenwachsen, und es ist nach
vieler Richtung in Preußen nicht weniger zu reformiren als bei ihnen selbst.
Aber sie werden an det preußischen Volksvertretung Theil haben müssen. Dann
erst, wenn sie dort im Rath, und im Heere zur That mit den Preußen Eins ge¬
worden sind, werden sie sich in den neuen Verhältnissen wohl fühlen.

Freilich, ob fortan die Volksvertretung für Altpreußen und die erworbenen
Länder der bisherige Landtag oder das neue Parlament sein wird, ist vielleicht
die größte Frage unserer Zukunft. Nach dem Entwurf vom 10. Juni soll das
Bundesparlament seine gesetzgebenden Qualitäten über die gesammten Verkehrs-
interessen, zu denen auch die Civilgesetzgebung gerechnet ist. über Heer und
Flotte ausdehnen, also fast den größten und wichtigsten Theil der parlamenta¬
rischen Thätigkeit erhalten. Der nächste Fortschritt wird sein, daß man das
dem Parlament vorzulegende Budget nicht durch Matricularbeiträge, sondern
zunächst durch Ueberweisung bestimmter Bundeseinnahmen, etwa der Zollvereins¬
steuern, und nach einem Ausgleichungsverfahren der Eisenbahn-Steuern und -Er¬
träge fundirt. Es liegt im Wesen einer solchen nationalen Versammlung und zugleich
im Interesse der preußischen Regierung, ihre Competenz auszudehnen, schon jetzt
Wird der Schwerpunkt des deutschen Versasiungslebens auf die Bundesgewalt
übergehen. Im Laufe der Jahre wird das Parlament voraussichtlich neben sich nur
Provinziallandtage dulden, und man darf ohne zu große Kühnheit sagen, daß mit
Beginn des Parlamentes auch für die preußischen Parteien eine völlig verän¬
derte Thätigkeit und Gruppirung beginnen wird.

Man hat für dieses Parlament verschiedene Städte in Vorschlag gebracht,
auch Ihr Leipzig ist genannt worden; das mag für die ersten Zusammenkünfte
praktisch sein, als definitiver Sitz ist doch nur Berlin möglich.

Unterdeß erwartet der Berliner ungeduldig Neuigkeiten; die letzten Wochen
haben so sehr an Überraschungen gewöhnt, daß sie zum Tagesbedürfniß ge¬
hören, die erste Rede des Grafen Bismarck in der Kammer, der Friede, die
'Verkündigung der neuen Erwerbungen werden täglich erhofft. Nicht unmöglich,
daß die ganze reiche Gabe mit einem Mal dem Publikum zu Theil wird.




auf Jahre hinaus in Anspruch nehmen. Eines aber ist nöthig: die Neuen müssen
ganze Preußen werden, und das Kraftgefühl bekommen, welches der innige Zu¬
sammenhang mit einem großen Staate giebt. Sie mögen ihre Gesetzbücher,
Gerichte behalten, nur der oberste Gerichtshof Preußens als letzte Instanz, so weit
dies nöthig, durch Zutritt einiger Mitglieder aus ihrem Richterstande vermehrt
werden. Sie mögen ihre direkten Steuern nach den bisherigen Modalitäten
zahlen, mögen ihre Kommunal- und Kreisverwaltung bis auf weiteres bewahren,
mögen für ihre Bildungsanstalten ihre bisherige Ausstattung und besondere In-
spection behaupten, das alles wird allmälig zusammenwachsen, und es ist nach
vieler Richtung in Preußen nicht weniger zu reformiren als bei ihnen selbst.
Aber sie werden an det preußischen Volksvertretung Theil haben müssen. Dann
erst, wenn sie dort im Rath, und im Heere zur That mit den Preußen Eins ge¬
worden sind, werden sie sich in den neuen Verhältnissen wohl fühlen.

Freilich, ob fortan die Volksvertretung für Altpreußen und die erworbenen
Länder der bisherige Landtag oder das neue Parlament sein wird, ist vielleicht
die größte Frage unserer Zukunft. Nach dem Entwurf vom 10. Juni soll das
Bundesparlament seine gesetzgebenden Qualitäten über die gesammten Verkehrs-
interessen, zu denen auch die Civilgesetzgebung gerechnet ist. über Heer und
Flotte ausdehnen, also fast den größten und wichtigsten Theil der parlamenta¬
rischen Thätigkeit erhalten. Der nächste Fortschritt wird sein, daß man das
dem Parlament vorzulegende Budget nicht durch Matricularbeiträge, sondern
zunächst durch Ueberweisung bestimmter Bundeseinnahmen, etwa der Zollvereins¬
steuern, und nach einem Ausgleichungsverfahren der Eisenbahn-Steuern und -Er¬
träge fundirt. Es liegt im Wesen einer solchen nationalen Versammlung und zugleich
im Interesse der preußischen Regierung, ihre Competenz auszudehnen, schon jetzt
Wird der Schwerpunkt des deutschen Versasiungslebens auf die Bundesgewalt
übergehen. Im Laufe der Jahre wird das Parlament voraussichtlich neben sich nur
Provinziallandtage dulden, und man darf ohne zu große Kühnheit sagen, daß mit
Beginn des Parlamentes auch für die preußischen Parteien eine völlig verän¬
derte Thätigkeit und Gruppirung beginnen wird.

Man hat für dieses Parlament verschiedene Städte in Vorschlag gebracht,
auch Ihr Leipzig ist genannt worden; das mag für die ersten Zusammenkünfte
praktisch sein, als definitiver Sitz ist doch nur Berlin möglich.

Unterdeß erwartet der Berliner ungeduldig Neuigkeiten; die letzten Wochen
haben so sehr an Überraschungen gewöhnt, daß sie zum Tagesbedürfniß ge¬
hören, die erste Rede des Grafen Bismarck in der Kammer, der Friede, die
'Verkündigung der neuen Erwerbungen werden täglich erhofft. Nicht unmöglich,
daß die ganze reiche Gabe mit einem Mal dem Publikum zu Theil wird.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/296>, abgerufen am 03.07.2024.