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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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erging die Weisung, sich in aller Stille rückwärts zu concentriren. Der wür-
tenbergische Staatsanzeiger verfiel plötzlich in eine anständigere Haltung, fing
an mit ungewohntem Respect vom preußischen Staat zu reden, und eines Tags
las man in der Zeitung, daß die Wohnung des berühmten "Culturhistorikers",
der bisher die Hauptredaction geführt. Umstände halber sogleich zu vermiethen
sei. Dies alles konnte man als Symptome betrachten, daß man auf einen
angemessenen Empfang der Pickelhauben bedacht war; aber von Aufregung in
der Bevölkerung war wenig zu spüren, wofern man nicht die erhöhte Ge¬
schäftigkeit der im Innern des Hauses waltenden Frauen darunter verstehen
wollte. Denn unsere Hausfrauen rüsteten sich wacker auf die gefürchteten Gäste
und wollten nicht zu leicht erfunden werden. Anstatt die "nächtliche Axt" zum
Empfang zu bereiten, wie ein Stuttgarter Blatt empfohlen hatte, waren sie
emsig beflissen, ihre Mundvorräthe zu vervollständigen, wobei im Voraus der
Geschmack der fremden Landeskinder in prüfende Erwägung gezogen wurde, und
manch freundlicher Schinken zierte die Speisekammer, indessen der sorgliche Haus¬
herr seiner Cigarre verschmitzt eine billigere Sorte beigesellte, die er nun das
Vergnügen hat selber in Rauch zu verwandeln.

Jetzt sind wir fast noch besser weggekommen, als wir gedacht; freilich
stehen wir erst noch in Erwartung, welche Bedingungen das Ministerium Varn-
büler beim endlichen Friedensschluß für das Land erlangen wird. Erst dann
wird sich übersehen lassen, was uns der muthwillige Kriegsschwindel für Früchte
getragen. Inzwischen ist doch schon jetzt bei nicht wenigen die Ernüchterung
eingetreten, wenn sie bedenken, daß uns der ganze Krieg erspart worden wäre,
wenn man die preußische Aufforderung zur Neutralität beherzigt und sich nicht
allen vernünftigen Erwägungen zum Trotz in eine kindische Erhitzung hinein¬
gesteigert hätte für Oestreich, das uns jetzt im Stich gelassen hat, und für den
deutschen Bund, der nun rettungslos zusammengebrochen ist. und dessen "Recht"
kein ehrlicher Mann auf seine Fahne hätte schreiben sollen. Freilich einem
schwäbischen Kopf kommt es hart an, sich davon zu überzeugen, daß er im
Unrecht gewesen, und wenn er davon überzeugt ist, wird er es wenigstens nicht
leicht gestehen. Der Mythus, daß unsere Waffen für das Recht und die Inter¬
essen der deutschen Nation kämpften, wird lange noch eine gewisse Macht üben,
trotzdem daß, wo immer zwei Schwaben zusammen reden, die Kleinstaaterei so
rücksichtslos verurtheilt wird als irgendwo im Norden. Die Ueberzeugung war
längst allgemein, daß die Fortsetzung des Kriegs am Main ein Unding, eine
Tollheit sei, aber unsere Abgeordneten konnten sich unmöglich dazu entschließen,
den Wunsch nach. Herstellung des Friedens auszusprechen oder gar auf Beseiti¬
gung eines Ministeriums zu dringen, das selbstverständlich die Friedensverhand-
lungen nur erschweren kann. Man ist sich vollkommen klar darüber, daß wir
ans nationalen und volkswirthschaftlichen Gründen auf die Verbindung mit


erging die Weisung, sich in aller Stille rückwärts zu concentriren. Der wür-
tenbergische Staatsanzeiger verfiel plötzlich in eine anständigere Haltung, fing
an mit ungewohntem Respect vom preußischen Staat zu reden, und eines Tags
las man in der Zeitung, daß die Wohnung des berühmten „Culturhistorikers",
der bisher die Hauptredaction geführt. Umstände halber sogleich zu vermiethen
sei. Dies alles konnte man als Symptome betrachten, daß man auf einen
angemessenen Empfang der Pickelhauben bedacht war; aber von Aufregung in
der Bevölkerung war wenig zu spüren, wofern man nicht die erhöhte Ge¬
schäftigkeit der im Innern des Hauses waltenden Frauen darunter verstehen
wollte. Denn unsere Hausfrauen rüsteten sich wacker auf die gefürchteten Gäste
und wollten nicht zu leicht erfunden werden. Anstatt die „nächtliche Axt" zum
Empfang zu bereiten, wie ein Stuttgarter Blatt empfohlen hatte, waren sie
emsig beflissen, ihre Mundvorräthe zu vervollständigen, wobei im Voraus der
Geschmack der fremden Landeskinder in prüfende Erwägung gezogen wurde, und
manch freundlicher Schinken zierte die Speisekammer, indessen der sorgliche Haus¬
herr seiner Cigarre verschmitzt eine billigere Sorte beigesellte, die er nun das
Vergnügen hat selber in Rauch zu verwandeln.

Jetzt sind wir fast noch besser weggekommen, als wir gedacht; freilich
stehen wir erst noch in Erwartung, welche Bedingungen das Ministerium Varn-
büler beim endlichen Friedensschluß für das Land erlangen wird. Erst dann
wird sich übersehen lassen, was uns der muthwillige Kriegsschwindel für Früchte
getragen. Inzwischen ist doch schon jetzt bei nicht wenigen die Ernüchterung
eingetreten, wenn sie bedenken, daß uns der ganze Krieg erspart worden wäre,
wenn man die preußische Aufforderung zur Neutralität beherzigt und sich nicht
allen vernünftigen Erwägungen zum Trotz in eine kindische Erhitzung hinein¬
gesteigert hätte für Oestreich, das uns jetzt im Stich gelassen hat, und für den
deutschen Bund, der nun rettungslos zusammengebrochen ist. und dessen „Recht"
kein ehrlicher Mann auf seine Fahne hätte schreiben sollen. Freilich einem
schwäbischen Kopf kommt es hart an, sich davon zu überzeugen, daß er im
Unrecht gewesen, und wenn er davon überzeugt ist, wird er es wenigstens nicht
leicht gestehen. Der Mythus, daß unsere Waffen für das Recht und die Inter¬
essen der deutschen Nation kämpften, wird lange noch eine gewisse Macht üben,
trotzdem daß, wo immer zwei Schwaben zusammen reden, die Kleinstaaterei so
rücksichtslos verurtheilt wird als irgendwo im Norden. Die Ueberzeugung war
längst allgemein, daß die Fortsetzung des Kriegs am Main ein Unding, eine
Tollheit sei, aber unsere Abgeordneten konnten sich unmöglich dazu entschließen,
den Wunsch nach. Herstellung des Friedens auszusprechen oder gar auf Beseiti¬
gung eines Ministeriums zu dringen, das selbstverständlich die Friedensverhand-
lungen nur erschweren kann. Man ist sich vollkommen klar darüber, daß wir
ans nationalen und volkswirthschaftlichen Gründen auf die Verbindung mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/291>, abgerufen am 03.07.2024.