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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Herzog Johann der Dritte von Cleve-Jülich-Berg verordnete im Jahre 1S27.
daß Bleichen und Zwirnen nirgends in seinem Lande geschehen'solle außer in
den Flecken Elverfeld und Barmer, bis er oder Einer seiner Nachkommen das
Privileg etwa gegen Zurückerstattung der dafür erlegten 861 Goldgulden wider¬
rufe Damit war aus dem freien, aller Unsicherheit der damaligen Zustände
preisgegebenen Gewerbe eine geschützte und bevorrechtete Zunft geworden. Sie
nannte sich "Garn-Nahrung". Alljährlich auf Sanct Margarethentag. 13. Juli,
wurden zwei Borsteber oder "Garn-Meister" aus Elberfeld und zwei aus Bar¬
mer gewählt. Jeder, der sich an dem Betrieb des Gewerbes auf irgendeiner
seiner verschiedenen Stufen betheiligen wollte, mußte schwören > dem Gewerbe
keinen Schaden thun, sondern steif für das Beste desselben sorgen zu wollen.
Die herzogliche Urkunde bestimmte Anfangs- und Schlußzeit des Bleichens,
sowie das Maximum des Garns, welches der Einzelne sollte machen oder blei¬
chen dürfen. Gesponnen wurde indessen zu jener Zeit das Garn noch meistens
auswärts, in Westfalen (Herford) und Niedersachsen (Lüneburg und Hildesheim).
Wo es dem Landvolk im Winter zu thun gab, und kam nur zur Bleiche ins
Wupperthal. Da legte man es auf die Nieselwiesen, wie man wegen der künst¬
lich vervielfältigten Bewässerung heute sagen würde, und Hunderte von Men¬
schen waren unablässig beschäftigt, das Wasser hoch im Bogen über die aus¬
gebreiteten Garnmassen zu sprengen. Dieses Berfahren des Bleichens hat sich
erhalten, wenn auch seine industrielle Bedeutung längst auf rein locale Zwecke
zusammengeschrumpft ist.

Im Jahre 1690 waren 15 große Bleichen vorhanden, auf denen 2400
Centner Garn gebleicht wurden. Im Jahre 1774 zählte man 100 Bleichen
mit 4000, im Jahre 1790 ISO Bleichen mit 6000 Eentnern Garn. Die
"Garn.Nahrung" bestand bis zur französischen Zeit, und blieb officiell an der
Spitze der Industrie, wiewohl diese inzwischen schon nach jeder Richtung hin
über den engen Rahmen der Zunftverfassung hinausgediehen war.

Seit dem Ende des siebzehnten, vorzugsweise aber im Laufe des acht¬
zehnten Jahrhunderts gesellte sich zum Bleichen das Weben und Färben. Statt
des blos gebleichten Garnes begann man gefärbten Nähzwirn, Leinwand, leinene
Bänder, Sack- und Halstücher, Bettzwilliche und Borten, d.h. das gestreifte
Zeug, welches die Sklaven in Westindien zu tragen pflegten, auszuführen. Schon
seit anderthalb Jahrhunderten arbeitet man auf diese Weise im Wupperthale
für die Neue Welt. Zur Zeit des siebenjährigen Krieges kam die Fabrikation
der Siamoisen d. h. der halbbaumwollenen Zeuge auf; die erste Fabrik legte
H- I- Schuchard in Barmer an. Die Bettziechenmanufactur bürgerte sich noch
etwas früher ein, durch Arbeiten, welche aus Brabant herangezogen wurden.
Aehnlich war es mit der Band- und Spitzenfabrikation. Beide zu verarbeiten,
sah man sich lange durch das Monopol eines Handlungshauses in Mühlheim


Herzog Johann der Dritte von Cleve-Jülich-Berg verordnete im Jahre 1S27.
daß Bleichen und Zwirnen nirgends in seinem Lande geschehen'solle außer in
den Flecken Elverfeld und Barmer, bis er oder Einer seiner Nachkommen das
Privileg etwa gegen Zurückerstattung der dafür erlegten 861 Goldgulden wider¬
rufe Damit war aus dem freien, aller Unsicherheit der damaligen Zustände
preisgegebenen Gewerbe eine geschützte und bevorrechtete Zunft geworden. Sie
nannte sich „Garn-Nahrung". Alljährlich auf Sanct Margarethentag. 13. Juli,
wurden zwei Borsteber oder „Garn-Meister" aus Elberfeld und zwei aus Bar¬
mer gewählt. Jeder, der sich an dem Betrieb des Gewerbes auf irgendeiner
seiner verschiedenen Stufen betheiligen wollte, mußte schwören > dem Gewerbe
keinen Schaden thun, sondern steif für das Beste desselben sorgen zu wollen.
Die herzogliche Urkunde bestimmte Anfangs- und Schlußzeit des Bleichens,
sowie das Maximum des Garns, welches der Einzelne sollte machen oder blei¬
chen dürfen. Gesponnen wurde indessen zu jener Zeit das Garn noch meistens
auswärts, in Westfalen (Herford) und Niedersachsen (Lüneburg und Hildesheim).
Wo es dem Landvolk im Winter zu thun gab, und kam nur zur Bleiche ins
Wupperthal. Da legte man es auf die Nieselwiesen, wie man wegen der künst¬
lich vervielfältigten Bewässerung heute sagen würde, und Hunderte von Men¬
schen waren unablässig beschäftigt, das Wasser hoch im Bogen über die aus¬
gebreiteten Garnmassen zu sprengen. Dieses Berfahren des Bleichens hat sich
erhalten, wenn auch seine industrielle Bedeutung längst auf rein locale Zwecke
zusammengeschrumpft ist.

Im Jahre 1690 waren 15 große Bleichen vorhanden, auf denen 2400
Centner Garn gebleicht wurden. Im Jahre 1774 zählte man 100 Bleichen
mit 4000, im Jahre 1790 ISO Bleichen mit 6000 Eentnern Garn. Die
„Garn.Nahrung" bestand bis zur französischen Zeit, und blieb officiell an der
Spitze der Industrie, wiewohl diese inzwischen schon nach jeder Richtung hin
über den engen Rahmen der Zunftverfassung hinausgediehen war.

Seit dem Ende des siebzehnten, vorzugsweise aber im Laufe des acht¬
zehnten Jahrhunderts gesellte sich zum Bleichen das Weben und Färben. Statt
des blos gebleichten Garnes begann man gefärbten Nähzwirn, Leinwand, leinene
Bänder, Sack- und Halstücher, Bettzwilliche und Borten, d.h. das gestreifte
Zeug, welches die Sklaven in Westindien zu tragen pflegten, auszuführen. Schon
seit anderthalb Jahrhunderten arbeitet man auf diese Weise im Wupperthale
für die Neue Welt. Zur Zeit des siebenjährigen Krieges kam die Fabrikation
der Siamoisen d. h. der halbbaumwollenen Zeuge auf; die erste Fabrik legte
H- I- Schuchard in Barmer an. Die Bettziechenmanufactur bürgerte sich noch
etwas früher ein, durch Arbeiten, welche aus Brabant herangezogen wurden.
Aehnlich war es mit der Band- und Spitzenfabrikation. Beide zu verarbeiten,
sah man sich lange durch das Monopol eines Handlungshauses in Mühlheim


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/283>, abgerufen am 22.07.2024.