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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Sardinien ihm das Obernovarese überlasse, weil er der Ansicht war, daß die
Simplonstraße vielmehr zum Vertheidigungssystem der Lombardei gehöre. Ich
höre, daß Ihre Gründe auf die entgegengesetzte Ansicht hinauslaufen. Nun ich
werde sie dem Kaiser mittheilen, der sie sicher mit dem größten Wohlwollen
prüfen wird.

Damit war Oestreich mit seinem Gelüste auch diesmal abgewiesen. Aber
nicht für immer. Schon beim zweiten pariser Vertrag kam es auf sein Ver¬
langen zurück, und zu Ende des Jahres sing es abermals an, den turiner Hos
zu bombardiren, wie Victor Emanuel an seinen Bruder Felix schrieb. Die
Oestreicher, fügte der König in seinem Schreiben hinzu, wollen alle Italiener
unterdrücken, um sie zu zähmen, wie man wilde Thiere zähmt. Aber wir sind
stark genug, auf den Hauptpunkten festzustehen. Sie nehmen Italien gegen¬
über ganz die Haltung der Franzosen zur Zeit unserer Katastrophe an. Nur
haben sie nicht die Neigungen der Völker für sich, auch befinden wir uns nicht
mehr in der schwachen militärischen Lage wie damals. Victor Emanuel war
zum entschiedensten Widerstand entschlossen. Der Minister des Auswärtigen
wurde angewiesen, dem Grasen. Staremberg zu erwiedern, daß der König von
Sardinien niemand das Geringste schuldig sei und darum rund verweigere, eine
Handbreit Boden abzutreten. Oestreich berief sich dagegen von neuem auf die
Verpflichtung, die es übernommen, Italien gegen jeden möglichen Angriff zu
schützen. Gegen diese Pression rief der turiner Hof abermals die Hilfe der
Cabinete von London, Berlin und Se. Petersburg an. Es galt diesmal ins¬
besondere Castlereagh zu gewinnen, der sich wieder unsäglich schwach und Oest¬
reich willfährig zeigte. Gras d'Aglio richtete eine Note an ihn, worin er im
Namen seines Königs das lebhafte Bedauern aussprach, daß die britische Re¬
gierung die östreichischen Ansprüche begünstige, man könne nicht begreifen, daß
in diesem Falle Großbritannien von seinem constanten Wohlwollen gegen Sar¬
dinien sich entferne, um ein Project zu begünstigen, das den wesentlichen Ter¬
ritorialinteressen des heutigen Savoyen zuwiderlaufe. Auf ausdrücklichen Be¬
fehl und im Namen des Königs stelle er die Bitte, daß das londoner Cabinet
sich nicht dabei beruhige, Oestreich in solchem Punkt, zu unterstützen, daß es
vielmehr auf dasselbe einwirken wolle, um von einem Verlangen abzustehen, das
weder rechtlich begründet, noch im europäischen Interesse sei. Castlereagh gab
gar keine Antwort, und als d'Aglio ihm nun mündlich zu Leibe ging, wollte
er erst ungeduldig das Gespräch abbrechen, und sagte endlich, als d'Aglio
ihm keine Ruhe ließ: Es handelt sich nicht darum, dem turiner Hof irgend¬
einen Zwang anzuthun. Oestreichs Verlangen ist nur ein einfacher Vorschlag,
den Ihr König annehmen oder verweigern kann. Ich sehe, daß Sie nicht auf-
hören, über die kleinsten Dinge Lärm zu schlagen und beim leisesten Schein
argwöhnisch zu werden.


Sardinien ihm das Obernovarese überlasse, weil er der Ansicht war, daß die
Simplonstraße vielmehr zum Vertheidigungssystem der Lombardei gehöre. Ich
höre, daß Ihre Gründe auf die entgegengesetzte Ansicht hinauslaufen. Nun ich
werde sie dem Kaiser mittheilen, der sie sicher mit dem größten Wohlwollen
prüfen wird.

Damit war Oestreich mit seinem Gelüste auch diesmal abgewiesen. Aber
nicht für immer. Schon beim zweiten pariser Vertrag kam es auf sein Ver¬
langen zurück, und zu Ende des Jahres sing es abermals an, den turiner Hos
zu bombardiren, wie Victor Emanuel an seinen Bruder Felix schrieb. Die
Oestreicher, fügte der König in seinem Schreiben hinzu, wollen alle Italiener
unterdrücken, um sie zu zähmen, wie man wilde Thiere zähmt. Aber wir sind
stark genug, auf den Hauptpunkten festzustehen. Sie nehmen Italien gegen¬
über ganz die Haltung der Franzosen zur Zeit unserer Katastrophe an. Nur
haben sie nicht die Neigungen der Völker für sich, auch befinden wir uns nicht
mehr in der schwachen militärischen Lage wie damals. Victor Emanuel war
zum entschiedensten Widerstand entschlossen. Der Minister des Auswärtigen
wurde angewiesen, dem Grasen. Staremberg zu erwiedern, daß der König von
Sardinien niemand das Geringste schuldig sei und darum rund verweigere, eine
Handbreit Boden abzutreten. Oestreich berief sich dagegen von neuem auf die
Verpflichtung, die es übernommen, Italien gegen jeden möglichen Angriff zu
schützen. Gegen diese Pression rief der turiner Hof abermals die Hilfe der
Cabinete von London, Berlin und Se. Petersburg an. Es galt diesmal ins¬
besondere Castlereagh zu gewinnen, der sich wieder unsäglich schwach und Oest¬
reich willfährig zeigte. Gras d'Aglio richtete eine Note an ihn, worin er im
Namen seines Königs das lebhafte Bedauern aussprach, daß die britische Re¬
gierung die östreichischen Ansprüche begünstige, man könne nicht begreifen, daß
in diesem Falle Großbritannien von seinem constanten Wohlwollen gegen Sar¬
dinien sich entferne, um ein Project zu begünstigen, das den wesentlichen Ter¬
ritorialinteressen des heutigen Savoyen zuwiderlaufe. Auf ausdrücklichen Be¬
fehl und im Namen des Königs stelle er die Bitte, daß das londoner Cabinet
sich nicht dabei beruhige, Oestreich in solchem Punkt, zu unterstützen, daß es
vielmehr auf dasselbe einwirken wolle, um von einem Verlangen abzustehen, das
weder rechtlich begründet, noch im europäischen Interesse sei. Castlereagh gab
gar keine Antwort, und als d'Aglio ihm nun mündlich zu Leibe ging, wollte
er erst ungeduldig das Gespräch abbrechen, und sagte endlich, als d'Aglio
ihm keine Ruhe ließ: Es handelt sich nicht darum, dem turiner Hof irgend¬
einen Zwang anzuthun. Oestreichs Verlangen ist nur ein einfacher Vorschlag,
den Ihr König annehmen oder verweigern kann. Ich sehe, daß Sie nicht auf-
hören, über die kleinsten Dinge Lärm zu schlagen und beim leisesten Schein
argwöhnisch zu werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/28>, abgerufen am 22.07.2024.