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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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sich mit der Bauernfrage zu beschäftigen, worauf alle mit Ausnahme des Für¬
sten Gagarin mit "Ja" antworteten. Das Comite sammelte nun gegen hun¬
dert im Manuscript circulirende Emancipationsentwürfe, erhielt vom Ministerium
weiteres Material und wählte einen Ausschuß, alle diese Documente zu studiren.
Nachdem dies geschehen, wurde der Beschluß gefaßt, die Sache mit Zuziehung
des Adels zu ordnen, zu dem Ende in einem Rescript an den Minister des
Innern die Grundsätze, welche die Regierung zur Lösung der" Aufgabe für ge¬
eignet hielt, anzugeben und die Landesmarschälle einzuladen, dieselben mit den
erfahrensten Gutsbesitzern zu erörtern und darnach Gutachten für das Ministe¬
rium des Innern abzufassen, welches daraus ein der kaiserlichen Bestätigung
vorzulegendes Reglement entwerfen sollte -- ein Verfahren, welches in der
Geschichte Rußlands das e>ste Beispiel einer von unten auf erbauten Gesetz¬
gebung war.

Das Comite beschloß nach drei stürmischen Sitzungen im August 1867,
die Verbesserung der Lage der Bauern solle mit möglichster Vorsicht und nur
stufenweise vorgenommen werden, und es wurde deshalb der ganze Geschäfts¬
gang über drei Perioden vertheilt, deren erste die Sammlung aller erforderlichen
Daten durch den Minister des Innern, die zweite die Entwerfung des Regle¬
ments, die dritte endlich die definitive Regelung der Bauernverhältnisse um¬
fassen sollte.

Inzwischen versuchte man den lithauischen Adel zu einer förmlichen Er-
klärung für die Absichten der Regierung zu gewinnen, erhielt aber statt einer
beistimmenden Erklärung Gegenvorschläge, welche die Billigung des Kaisers
nicht fanden. Darauf erging am 20. November ein Rescript an Nasimow, den
Generalgouvemeur von Wilna, Kowno und Grodno, welches für jedes dieser
drei Gouvernements ein besonderes, aus dem Landesmarschall und theils von dem
grundbesitzenden Adel, theils vom Gouverneur gewählten Mitgliedern bestehen¬
des Comitv zur Ausarbeitung detaillirter Gesetzentwürfe nach gewissen von der
Regierung aufgestellten Grundsätzen und daneben eine allgemeine Commission
anordnete, die zu Wilna zusammentreten sollte, um nach jenen Entwürfen einen
für alle drei Gouvernements giltigen zu verfassen. Die Regierung beabsichtigte
durch diese Verhandlungen mit dem lithauischen Adel den russischen auf ihre
Pläne vorzubereiten und für dieselben zu stimmen, und als sie mit jenen Fort¬
schritte zu machen begann, unterrichtete sie durch Rundschreiben des Ministers
des Innern vom 24. November die russischen Gouverneure und Landesmarschälle
von den erwähnten Anordnungen mit dem Zusätze, daß die lithauischen Gou-
vernementscomitss es für nothwendig hielten, die Bauern von der Leibeigen¬
schaft zu befreien. Am S. December erging an Jgnatiew, den Generalgou¬
vemeur von Petersburg, ein gleiches Rescript wie an Nasimow. Das geheime
Comilü zu Petersburg wurde am 8. Januar 1858 in ein Hauptcomit6 für die


sich mit der Bauernfrage zu beschäftigen, worauf alle mit Ausnahme des Für¬
sten Gagarin mit „Ja" antworteten. Das Comite sammelte nun gegen hun¬
dert im Manuscript circulirende Emancipationsentwürfe, erhielt vom Ministerium
weiteres Material und wählte einen Ausschuß, alle diese Documente zu studiren.
Nachdem dies geschehen, wurde der Beschluß gefaßt, die Sache mit Zuziehung
des Adels zu ordnen, zu dem Ende in einem Rescript an den Minister des
Innern die Grundsätze, welche die Regierung zur Lösung der« Aufgabe für ge¬
eignet hielt, anzugeben und die Landesmarschälle einzuladen, dieselben mit den
erfahrensten Gutsbesitzern zu erörtern und darnach Gutachten für das Ministe¬
rium des Innern abzufassen, welches daraus ein der kaiserlichen Bestätigung
vorzulegendes Reglement entwerfen sollte — ein Verfahren, welches in der
Geschichte Rußlands das e>ste Beispiel einer von unten auf erbauten Gesetz¬
gebung war.

Das Comite beschloß nach drei stürmischen Sitzungen im August 1867,
die Verbesserung der Lage der Bauern solle mit möglichster Vorsicht und nur
stufenweise vorgenommen werden, und es wurde deshalb der ganze Geschäfts¬
gang über drei Perioden vertheilt, deren erste die Sammlung aller erforderlichen
Daten durch den Minister des Innern, die zweite die Entwerfung des Regle¬
ments, die dritte endlich die definitive Regelung der Bauernverhältnisse um¬
fassen sollte.

Inzwischen versuchte man den lithauischen Adel zu einer förmlichen Er-
klärung für die Absichten der Regierung zu gewinnen, erhielt aber statt einer
beistimmenden Erklärung Gegenvorschläge, welche die Billigung des Kaisers
nicht fanden. Darauf erging am 20. November ein Rescript an Nasimow, den
Generalgouvemeur von Wilna, Kowno und Grodno, welches für jedes dieser
drei Gouvernements ein besonderes, aus dem Landesmarschall und theils von dem
grundbesitzenden Adel, theils vom Gouverneur gewählten Mitgliedern bestehen¬
des Comitv zur Ausarbeitung detaillirter Gesetzentwürfe nach gewissen von der
Regierung aufgestellten Grundsätzen und daneben eine allgemeine Commission
anordnete, die zu Wilna zusammentreten sollte, um nach jenen Entwürfen einen
für alle drei Gouvernements giltigen zu verfassen. Die Regierung beabsichtigte
durch diese Verhandlungen mit dem lithauischen Adel den russischen auf ihre
Pläne vorzubereiten und für dieselben zu stimmen, und als sie mit jenen Fort¬
schritte zu machen begann, unterrichtete sie durch Rundschreiben des Ministers
des Innern vom 24. November die russischen Gouverneure und Landesmarschälle
von den erwähnten Anordnungen mit dem Zusätze, daß die lithauischen Gou-
vernementscomitss es für nothwendig hielten, die Bauern von der Leibeigen¬
schaft zu befreien. Am S. December erging an Jgnatiew, den Generalgou¬
vemeur von Petersburg, ein gleiches Rescript wie an Nasimow. Das geheime
Comilü zu Petersburg wurde am 8. Januar 1858 in ein Hauptcomit6 für die


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[0252] sich mit der Bauernfrage zu beschäftigen, worauf alle mit Ausnahme des Für¬ sten Gagarin mit „Ja" antworteten. Das Comite sammelte nun gegen hun¬ dert im Manuscript circulirende Emancipationsentwürfe, erhielt vom Ministerium weiteres Material und wählte einen Ausschuß, alle diese Documente zu studiren. Nachdem dies geschehen, wurde der Beschluß gefaßt, die Sache mit Zuziehung des Adels zu ordnen, zu dem Ende in einem Rescript an den Minister des Innern die Grundsätze, welche die Regierung zur Lösung der« Aufgabe für ge¬ eignet hielt, anzugeben und die Landesmarschälle einzuladen, dieselben mit den erfahrensten Gutsbesitzern zu erörtern und darnach Gutachten für das Ministe¬ rium des Innern abzufassen, welches daraus ein der kaiserlichen Bestätigung vorzulegendes Reglement entwerfen sollte — ein Verfahren, welches in der Geschichte Rußlands das e>ste Beispiel einer von unten auf erbauten Gesetz¬ gebung war. Das Comite beschloß nach drei stürmischen Sitzungen im August 1867, die Verbesserung der Lage der Bauern solle mit möglichster Vorsicht und nur stufenweise vorgenommen werden, und es wurde deshalb der ganze Geschäfts¬ gang über drei Perioden vertheilt, deren erste die Sammlung aller erforderlichen Daten durch den Minister des Innern, die zweite die Entwerfung des Regle¬ ments, die dritte endlich die definitive Regelung der Bauernverhältnisse um¬ fassen sollte. Inzwischen versuchte man den lithauischen Adel zu einer förmlichen Er- klärung für die Absichten der Regierung zu gewinnen, erhielt aber statt einer beistimmenden Erklärung Gegenvorschläge, welche die Billigung des Kaisers nicht fanden. Darauf erging am 20. November ein Rescript an Nasimow, den Generalgouvemeur von Wilna, Kowno und Grodno, welches für jedes dieser drei Gouvernements ein besonderes, aus dem Landesmarschall und theils von dem grundbesitzenden Adel, theils vom Gouverneur gewählten Mitgliedern bestehen¬ des Comitv zur Ausarbeitung detaillirter Gesetzentwürfe nach gewissen von der Regierung aufgestellten Grundsätzen und daneben eine allgemeine Commission anordnete, die zu Wilna zusammentreten sollte, um nach jenen Entwürfen einen für alle drei Gouvernements giltigen zu verfassen. Die Regierung beabsichtigte durch diese Verhandlungen mit dem lithauischen Adel den russischen auf ihre Pläne vorzubereiten und für dieselben zu stimmen, und als sie mit jenen Fort¬ schritte zu machen begann, unterrichtete sie durch Rundschreiben des Ministers des Innern vom 24. November die russischen Gouverneure und Landesmarschälle von den erwähnten Anordnungen mit dem Zusätze, daß die lithauischen Gou- vernementscomitss es für nothwendig hielten, die Bauern von der Leibeigen¬ schaft zu befreien. Am S. December erging an Jgnatiew, den Generalgou¬ vemeur von Petersburg, ein gleiches Rescript wie an Nasimow. Das geheime Comilü zu Petersburg wurde am 8. Januar 1858 in ein Hauptcomit6 für die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/252>, abgerufen am 22.07.2024.