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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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beide Regierungen zur Zeit nicht wollen, soll Preußen einen neuen europäischen
Krieg darum beginnen, um zuletzt im glücklichen Fall nicht nur Haß und Wider¬
willen der Dynastien, auch Haß und Widerwille" der Völker gegen sich zu
steigern? Mögen sie so frei sein, als sie können, und wenn sie diese Freiheit
für ein Unglück halten, mögen sie das selbst ihren Regierungen und uns be¬
währen, nicht durch vereinzelte Stimmen, sondern durch die Thal.

Unterdeß beweist das Ministerium Matby in Baden und die preußischen
Verhandlungen mit der badischen Regierung, denen voraussichtlich ein ähn¬
licher Pact mit Hessen-Darmstadt folgen wird, sehr deutlich, daß Preußen jeden
Augenblick seiner Pflicht gegen den Süden gedenkt. Das Uebrige können wir
ruhig der Zeit überlassen.

Anders als in Italien vollzieht sich die Wiedergeburt Deutschlands. Dort
hatte Fremdherrschaft den nationalen Stolz bis zur höchsten Leidenschaft auf¬
geregt, und die Regierung des einzigen lebensfähigen Kleinstaates in Italien
benutzte das flammende Nationalgefühl, um unter dem Schutz und mit den
Heeren einer auswärtigen Macht die fremden Dynastien zu vertreiben, die ita¬
lienischen Landschaften zu einer Einheit zu binden. Die hohe Begeisterung des
italienischen Volkes war dort die wirksamste Hilfe zur Gründung eines Gro߬
staats, sie vermochte doch nicht eine tiefe nationale Demüthigung abzuwehren.
Landgebiet, das durch Jahrhunderte mit Italien verbunden war, mußte an das
verbündete Frankreich abgetreten werden. In Deutschland wurde der erste große
Schritt zur Vereinigung aus entgegengesetztem Wege gethan. Ohne jeden
Enthusiasmus des Volkes, ohne Hilfe des Auslandes, ja. beargwöhnt von dem
gestimmten Europa, unternahm ein deutscher Staat die Unterwerfung und Ver¬
einigung der übrigen. Aber dieser Staat umfaßte weit mehr als die Hälfte
der deutschen Bürger, er war in der That schon seit langen Jahren in den
größten realen Interessen der Führer und Vertreter des ganzen Deutschlands
gewesen. Was er durch Gewalt durchsetzte, war Anerkennung der Obmacht.
welche er seiner Bedeutung nach über die übrigen entweder ausübte oder aus¬
zuüben berechtigt war. In Italien ist durch eine Echebung des Volkes ein
Großstaat geschaffen worden, in Deutschland sind durch die militärische Zucht
eines großen Staats die Regierungen der einzelnen Landschaften zu politischer
Einheit bekehrt worden. Sehr verschieden waren die Wege zur Einheit, der
Segen wird, so hoffen wir ^' ^""es.-ber darum nicht geringer sein, als
für die Verbündeten im Süden der Alpen.




beide Regierungen zur Zeit nicht wollen, soll Preußen einen neuen europäischen
Krieg darum beginnen, um zuletzt im glücklichen Fall nicht nur Haß und Wider¬
willen der Dynastien, auch Haß und Widerwille» der Völker gegen sich zu
steigern? Mögen sie so frei sein, als sie können, und wenn sie diese Freiheit
für ein Unglück halten, mögen sie das selbst ihren Regierungen und uns be¬
währen, nicht durch vereinzelte Stimmen, sondern durch die Thal.

Unterdeß beweist das Ministerium Matby in Baden und die preußischen
Verhandlungen mit der badischen Regierung, denen voraussichtlich ein ähn¬
licher Pact mit Hessen-Darmstadt folgen wird, sehr deutlich, daß Preußen jeden
Augenblick seiner Pflicht gegen den Süden gedenkt. Das Uebrige können wir
ruhig der Zeit überlassen.

Anders als in Italien vollzieht sich die Wiedergeburt Deutschlands. Dort
hatte Fremdherrschaft den nationalen Stolz bis zur höchsten Leidenschaft auf¬
geregt, und die Regierung des einzigen lebensfähigen Kleinstaates in Italien
benutzte das flammende Nationalgefühl, um unter dem Schutz und mit den
Heeren einer auswärtigen Macht die fremden Dynastien zu vertreiben, die ita¬
lienischen Landschaften zu einer Einheit zu binden. Die hohe Begeisterung des
italienischen Volkes war dort die wirksamste Hilfe zur Gründung eines Gro߬
staats, sie vermochte doch nicht eine tiefe nationale Demüthigung abzuwehren.
Landgebiet, das durch Jahrhunderte mit Italien verbunden war, mußte an das
verbündete Frankreich abgetreten werden. In Deutschland wurde der erste große
Schritt zur Vereinigung aus entgegengesetztem Wege gethan. Ohne jeden
Enthusiasmus des Volkes, ohne Hilfe des Auslandes, ja. beargwöhnt von dem
gestimmten Europa, unternahm ein deutscher Staat die Unterwerfung und Ver¬
einigung der übrigen. Aber dieser Staat umfaßte weit mehr als die Hälfte
der deutschen Bürger, er war in der That schon seit langen Jahren in den
größten realen Interessen der Führer und Vertreter des ganzen Deutschlands
gewesen. Was er durch Gewalt durchsetzte, war Anerkennung der Obmacht.
welche er seiner Bedeutung nach über die übrigen entweder ausübte oder aus¬
zuüben berechtigt war. In Italien ist durch eine Echebung des Volkes ein
Großstaat geschaffen worden, in Deutschland sind durch die militärische Zucht
eines großen Staats die Regierungen der einzelnen Landschaften zu politischer
Einheit bekehrt worden. Sehr verschieden waren die Wege zur Einheit, der
Segen wird, so hoffen wir ^' ^»»es.-ber darum nicht geringer sein, als
für die Verbündeten im Süden der Alpen.




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[0228] beide Regierungen zur Zeit nicht wollen, soll Preußen einen neuen europäischen Krieg darum beginnen, um zuletzt im glücklichen Fall nicht nur Haß und Wider¬ willen der Dynastien, auch Haß und Widerwille» der Völker gegen sich zu steigern? Mögen sie so frei sein, als sie können, und wenn sie diese Freiheit für ein Unglück halten, mögen sie das selbst ihren Regierungen und uns be¬ währen, nicht durch vereinzelte Stimmen, sondern durch die Thal. Unterdeß beweist das Ministerium Matby in Baden und die preußischen Verhandlungen mit der badischen Regierung, denen voraussichtlich ein ähn¬ licher Pact mit Hessen-Darmstadt folgen wird, sehr deutlich, daß Preußen jeden Augenblick seiner Pflicht gegen den Süden gedenkt. Das Uebrige können wir ruhig der Zeit überlassen. Anders als in Italien vollzieht sich die Wiedergeburt Deutschlands. Dort hatte Fremdherrschaft den nationalen Stolz bis zur höchsten Leidenschaft auf¬ geregt, und die Regierung des einzigen lebensfähigen Kleinstaates in Italien benutzte das flammende Nationalgefühl, um unter dem Schutz und mit den Heeren einer auswärtigen Macht die fremden Dynastien zu vertreiben, die ita¬ lienischen Landschaften zu einer Einheit zu binden. Die hohe Begeisterung des italienischen Volkes war dort die wirksamste Hilfe zur Gründung eines Gro߬ staats, sie vermochte doch nicht eine tiefe nationale Demüthigung abzuwehren. Landgebiet, das durch Jahrhunderte mit Italien verbunden war, mußte an das verbündete Frankreich abgetreten werden. In Deutschland wurde der erste große Schritt zur Vereinigung aus entgegengesetztem Wege gethan. Ohne jeden Enthusiasmus des Volkes, ohne Hilfe des Auslandes, ja. beargwöhnt von dem gestimmten Europa, unternahm ein deutscher Staat die Unterwerfung und Ver¬ einigung der übrigen. Aber dieser Staat umfaßte weit mehr als die Hälfte der deutschen Bürger, er war in der That schon seit langen Jahren in den größten realen Interessen der Führer und Vertreter des ganzen Deutschlands gewesen. Was er durch Gewalt durchsetzte, war Anerkennung der Obmacht. welche er seiner Bedeutung nach über die übrigen entweder ausübte oder aus¬ zuüben berechtigt war. In Italien ist durch eine Echebung des Volkes ein Großstaat geschaffen worden, in Deutschland sind durch die militärische Zucht eines großen Staats die Regierungen der einzelnen Landschaften zu politischer Einheit bekehrt worden. Sehr verschieden waren die Wege zur Einheit, der Segen wird, so hoffen wir ^' ^»»es.-ber darum nicht geringer sein, als für die Verbündeten im Süden der Alpen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/228>, abgerufen am 22.07.2024.